Sonntag, Februar 23

Gerhard Pfister macht es den beiden Bundesratskandidaten nicht gerade einfach. Die Mitte hat sich am vergangenen Samstag zur Parteiversammlung in Visp getroffen. Dabei ging es auch darum, die beiden Bundesratskandidaten der Basis zu präsentieren. Zur Einstimmung hielt der Parteipräsident eine Rede und zeigte wieder einmal, weshalb er einen Ruf als brillanter Kommunikators hat: Bei ihm ist die Politik immer gross. Unter historischen Narrativen macht er es nicht.

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Der ganze Saal hing an seinen Lippen. Seine Nachredner konnten eigentlich gar nicht mehr gewinnen. Martin Pfister, der Kandidat aus Zug, knüpfte tapfer an die Worte des Parteipräsidenten an. Als Motivation für seine Kandidatur gab er nicht etwa nationale Beweggründe an, sondern geht global: «Die Schweiz hat vielleicht noch nicht richtig verstanden, dass wir in einer politischen Wendezeit sind», sagte er. Der Bundesrat sei für die Bevölkerung eine zentrale Institution des Vertrauens, welche in diesen Zeiten einen Orientierungsrahmen geben müsse.

Markus Ritter, Noch-Bauernpräsident, blieb gedanklich in Bundesbern. Seine Rolle als Bundesrat sehe er im Fall einer Wahl darin, die Aufgabe der Mitte als verbindende Kraft zu leben und das Gremium zusammenzubringen. So weit, so nichtssagend. Egal ob beim Thema Asyl, Europa oder Strom: Die beiden Kandidaten blieben mehrheitlich vage. Sie kamen weder im Esprit noch beim Inhalt an Gerhard Pfisters Rede heran.

Und doch war die Erleichterung im Saal deutlich zu spüren. Anna Kathriner aus Obwalden war zwar «nicht gerade Feuer und Flamme»: «Ich hätte lieber eine Frau gehabt», sagte sie. Doch es sei wichtig, dass die Mitte im Bundesrat sei, daher sei sie froh, dass es eine Auswahl zwischen zwei Kandidaten gebe.

Lange hat man ja gar nicht gewusst, ob die Mitte zwei Kandidaten finden wird. Ja, wie es überhaupt weitergehen würde mit dieser Partei.

Rückblende. Am Donnerstagmorgen dem 23. Januar sitzt Gerhard Pfister mit Schatten unter den Augen im Fraktionszimmer des Bundeshauses. Er hat seit drei Wochen kaum geschlafen und wenn, dann nur mit Schlafmitteln. «Es geht mir wirklich nicht gut», gibt er zu. Gianna Luzio nickt. Die Generalsekretärin der Partei hat in den letzten Monaten crawlen gelernt, sie kann jetzt Bahn nach Bahn nach Bahn durchziehen. Den Kopf freischwimmen. Sie pflegt engen Kontakt zu ihrer Schwester und ihren Buben. Einer der beiden Neffen sagte kürzlich: «Gell, Gianna, es gibt Menschen, die ein böses Bild von dir zeichnen».

Seit Pfister am 6. Januar seinen Rücktritt als Präsident bekannt gegeben hat, haben sich die Ereignisse überschlagen. Bundesrätin Viola Amherd verkündet überraschend, sie wolle bereits Ende März zurücktreten. Dann bricht das Chaos aus. Bevor die Parteispitze die Nachfolge aufgleisen kann, sagt ein Kandidat nach dem anderen ab. Gerhard Pfister und Fraktionschef Philipp Matthias Bregy wirken überrumpelt.

Ein alter Konflikt

Via Medien wird ausserdem ein alter Konflikt wieder aufs Tapet gegraben. Es geht um Vorwürfe anonymer Personen, die bereits im Jahr 2023 in verschiedenen Medien publik gemacht werden. Es herrsche ein schlechtes Arbeitsklima auf dem Generalsekretariat, wird kritisiert.

Zu einer Anklage ist es bis jetzt in keinem Fall gekommen. Der externe Ombudsmann der Mitte, der Berner Anwalt Sven Rüetschi, hat sich im Frühling 2024 mit der Sache befasst, die NZZ konnte entsprechende Dokumente einsehen. Daraus geht hervor, dass auf dem Generalsekretariat der Mitte unter der Leitung von Gianna Luzio weder Führungsprobleme noch ein schlechtes Arbeitsklima bestehen. Ausserdem sieht der Ombudsmann die Gefahr, für politische Zwecke «instrumentalisiert» zu werden.

Dennoch kommen im Januar 2025 alte und neue Vorwürfe erneut in den Medien, dieses Mal im Zusammenhang mit einer allfälligen Bundesratskandidatur Gerhard Pfisters. Ständerätin Andrea Gmür wird im «Tagesanzeiger» zitiert: «Wenn bis zur Bundesratswahl die Sache nicht geklärt ist, geht das nicht mit Herrn Pfister auf dem Ticket». Es gehe ihr um ein «faires Verfahren» für alle Beteiligten. Unterstützung erhält sie von Christina Bachmann-Roth. Die Mitte-Frauen-Präsidentin verlangt eine externe Untersuchung. Ausserdem fordert sie eine weibliche Kandidatin und empfiehlt unter anderem wiederum Gmür.

Bei vielen Mitte-Mitgliedern kommt das Ultimatum via Medien schlecht an, das haben Gespräche der NZZ mit Politikern ergeben und das ist auch in Visp immer noch deutlich zu spüren. Einige machen den Konflikt verantwortlich für Pfisters Absage für eine Bundesratskandidatur. Er selbst bestreitet das, der Entscheid sei schon vorher gefallen. Aber: «Die Forderung nach einer zusätzlichen externen Untersuchung wirkt im Vorfeld der Bundesratswahlen politisch motiviert.»

Gianna Luzio selbst sagt, sie sei eine Person, die viel fordere. Aber: «Ich pflege einen guten und offenen Umgang mit allen Mitarbeitenden.» Und Andrea Gmür? Sie will in Visp nicht mehr über die Sache reden, erzählt aber mehreren Personen, sie fühle sich falsch zitiert und verstanden.

Steckt hinter der Schlammschlacht ein grosser Plan? Vielmehr, das zeigen Gespräche mit vielen Personen in der Partei, brechen diesen Januarwochen innerparteiliche und zwischenmenschliche Dynamiken an die Oberfläche, die im Untergrund schon länger gären.

Die grossen Transformationen der Mitte der letzten Jahre hat wohl mehr verletzte Gefühle und verlorenes Vertrauen hinterlassen, als Gerhard Pfister und Gianna Luzio ahnen konnten, als sie die Verwandlung der CVP zur Mitte vorangetrieben hatten.

Ein vergessener Blick zurück

Bis 2018 war die Bündnerin aus Savognin Teil des Stabs von Bundesrat Alain Berset, dann bewarb sie sich bei der Mitte. Luzio und Pfister wurden bald ein eingespieltes Team: Sie gilt als progressiver als er, auch als beherrschter – und als mutiger. Sie sieht eine Chance und packt sie. «Ohne Gianna hätte ich mich das nie getraut», sagt Pfister heute.

Zusammen wollen sie die behäbige katholische Milieupartei in eine professionalisierte, leistungsfähige Zentrumspartei verwandeln. Gegen viel Widerstand aus den konservativen Stammlanden, aber mit der Sicherheit einer Basisbefragung fangen sie im Jahr 2020 an. Sie formulieren eine linkere Gesundheits- und Sozialpolitik, welche die Positionierung der Mitte als Pol in der Mitte zwischen links und rechts schärfen soll. Pfister sagt jetzt Sätze, die von Cédric Wermuth stammen könnten: «Wir sind gegen die libertäre Globalisierung», beispielsweise.

Dazu kommt die Professionalisierung des Generalsekretariats. Eine Partei hat wenig Geld, es soll möglichst effizient zum Nutzen der ganzen Partei eingesetzt werden. Dem müssen sich alle unterordnen: Von der Praktikantin im Generalsekretariat bis zum mächtigen Ständerat. Die Stossrichtung ist klar: Macht ist auch für die Mitte kein Selbstzweck mehr, der sich von alleine einstellt. Um Wähler muss man kämpfen.

Zwischen Fraktion und Generalsekretariat kommt es zu Spannungen. Die Fraktion kann jetzt nicht mehr einfach auf die Ressourcen der Mitarbeitenden zugreifen. Formulierten die Mitarbeitenden vom Generalsekretariat früher auch mal spontan einen Tweet für einen Parlamentarier oder halfen bei seinen Geschäften, werden die Aufgaben jetzt zentral priorisiert. Dazu wehren sich konservative Ständeräte gegen einen Fraktionszwang und stimmen wiederholt wider die Parteimeinung, wenn sie ihnen zu links ist. Pfister hält dagegen und kanzelt die Kantonsvertreter öffentlich ab. Einige Konservative werfen ihm bis heute vor, die Partei ruiniert zu haben.

Der Erfolg gibt Pfister und Luzio zwar Recht: Die Mitte gewinnt die Wahlen 2023. Doch in ihrem Vorwärtsdrängen vergessen der Präsident und die Generalsekretärin aber wohl, hin und wieder einen Blick zurück zu werfen. Dabei lassen sie Menschen zurück, denen das Tempo zu hoch ist. Die erwähnten Parlamentarier der Bundeshausfraktion, Teile der Mitte-Frauen und der Basis draussen in den Kantonen.

Das hat auch mit Zeitdruck zu tun, sagt Luzio: Die Zeit zwischen dem Namenswechsel 2020 und den Wahlen 2023 sei extrem kurz und intensiv gewesen, das eine oder andere sei dabei wohl zu kurz gekommen. Das rächt sich, als Gerhard Pfister und Amherd ihre Rücktritte geben.

Dass die Arbeit nicht fertig ist, weiss aber auch die Generalsekretärin. Sie hat eine Organisationsentwicklung mit einer externen Firma initiiert, bei der die Zuständigkeiten und Prozesse geklärt werden.

Eine ungewisse Zukunft

Am Samstag in Visp sind die diversen Spannung der vergangenen Zeit noch zu spüren. Aber auch Zuversicht und Freude für die Bundesratswahlen. Urban Bossard ist aus dem Kanton Zug von Martin Pfister angereist. Die «erfahrene Eloquenz» von Ritter und die «ruhige Sachlichkeit» von Pfister hätten ihm gefallen, sagte er sichtlich zufrieden.

Besonders heiter ist die Stimmung, als Philipp Matthias Bregy die Bühne betritt. Es ist deutlich nach 10 Uhr. Doch der Fraktionschef sagt zur Begrüssung, die Partei habe Glück, dass er da sei. «An der Fasnacht stehe ich sonst nie so früh auf.» Typisch Bregy.

Dieser Walliser würde der Partei gut tun, sind viele Parteimitglieder überzeugt. Er hat sein Interesse am Amt des Präsidenten kundgetan, ist beliebt im Parlament und an der Basis. Es wird ihm zugetraut, die Partei zusammenzuhalten.

Neben ihm können es sich auch der Berner Reto Nause und die Luzernerin Karin Stadelmann vorstellen, letztere auch in einer Co-Leitung. Darüber dürften sich die urbanen Kräfte und die Mitte-Frauen freuen, letztere haben bekanntlich keine Bundesratskandidatin zustande gebracht. Nause und Stadelmann sind deutlich progressiver als Bregy, letztere erst noch eine Frau. Doch auch wenn Bregy Präsident würde, eins hat er bereits klar gemacht: Am Kurs der neuen Mitte will er nicht rütteln. Die CVP ist endgültig Geschichte.

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