Dienstag, November 19

Unter den Weltumseglern geht die Angst um. Durch die Foils sind die Boote der Imoca-Klasse schneller und im Handling anstrengender geworden. Von einer der Qualifikationsregatten kehrten zwei Skipper mit Schädel-Hirn-Traumata zurück.

Experten, Journalisten und Fans rieben sich an der Vendée Globe verwundert die Augen: Nach einer Woche lag der bereits 65 Jahre alte Jean Le Cam mit einem Boot ohne Foils in Führung. In der Nonstop-Weltumsegelung sorgte eine ausgedehnte Flautenzone kurz nach Madeira für einen Zusammenschluss des Feldes, die Regatta wurde praktisch neu lanciert.

Das Zwischenklassement wurde kräftig durcheinandergewirbelt. Der Genfer Alan Roura, zuvor knapp unter den ersten zwanzig, war plötzlich Zweiter. Wo vor vier Jahren ein tropischer Sturm herrschte, machte sich nun eine grosse Schwachwind-Zone breit. Für alle stellte sich die Frage: Wo wird der Wind später zunehmen: im Westen, in der Mitte oder im Osten?

Solche Fragen waren für Maxime Sorel nicht mehr relevant. Der Franzose, vor vier Jahren Zehnter an seiner ersten Vendée Globe, musste am Freitag als Erster sein Rennen abbrechen. Bereits kurz nach dem Start hatte er sich bei der Reparatur des blockierten Grosssegels eine Knöchelverletzung zugezogen. Trotz starken Schmerzen setzte er seine Fahrt fort und stieg sogar auf den Mast.

Auf Madeira dann stellte ein Arzt einen Teilriss des Aussenbandes am Knöchel fest. «Ich bin nicht enttäuscht, aber frustriert», sagte Sorel, der im letzten Jahr den Mount Everest bestiegen hatte und damit der einzige Mensch ist, der den «Everest der Meere», wie die Vendée Globe auch genannt wird, bezwungen hat und auch auf dem höchsten Berg der Welt gestanden ist.

Justine Mettraux trägt ab Bootsgeschwindigkeiten von 15 bis 20 Knoten einen Helm, der dem eines Rugbyspielers gleicht

Bei allen Weltumseglern geht die Angst vor Verletzungen um. Durch die Foils sind die Boote der Imoca-Klasse schneller und im Handling anstrengender geworden. Das Leben an Bord, in einem Umfeld, das von heftigen Stössen, grossem Lärm und ständigen Bewegungen geprägt ist, wird für die Segler zu einem Härtetest.

François Gabart, der Sieger der Vendée Globe 2012, sagte vor zwei Jahren: «Man spricht nicht mehr von kleinen Wehwehchen, sondern von Pathologien, die immer mehr denjenigen ähneln, die man bei Verkehrsunfällen findet.» Von einer der Qualifikationsregatten vor knapp einem Jahr kehrten zwei Skipper mit Schädel-Hirn-Traumata zurück. Der Franzose Sébastien Simon erlitt nach einem Sturz eine Verletzung der Halswirbelsäule und musste drei Monate lang ein Korsett tragen.

Sich vor möglichen Unfällen zu schützen, ist unter den Seglern längst ein Thema. Die Genferin Justine Mettraux trägt ab Bootsgeschwindigkeiten von 15 bis 20 Knoten einen Helm, der dem eines Rugbyspielers gleicht. Ebenso die Britin Sam Davies, die sogar zwei Modelle besitzt: einen Helm für den Innenbereich und einen zweiten, Typ Bauhelm, wenn sie auf den Mast klettern muss. Sie trägt zudem eine Schutzweste, nachdem sie sich an der letzten Vendée Globe einige Rippen gebrochen hat. Die beiden Seglerinnen haben auch ihre Navigationssitze entgegen der Fahrtrichtung angebracht, um so Stösse zu absorbieren.

Für Boris Herrmann war die Installation eines neigefähigen «Lotsensitzes» die wichtigste Massnahme, die er und sein Team auf seiner neuen Open-60-Jacht vornahmen. Der Deutsche sagt, der Sitz stütze seinen Rücken ab, und er befinde sich dadurch nahe am Cockpit, so dass er sich sehr schnell aus dem Sitz bewegen könne.

Am extremsten in Sachen Ergonomie ist Charlie Dalin vorgegangen. In einem Video sind die Massnahmen zu sehen, die der Franzose getroffen hat, um das Leben auf dem Boot angenehmer und sicherer zu gestalten. So muss der Skipper nicht mehr von seinem zentralen und stossdämpfenden Sitz aufstehen, alles befindet sich in seiner Reichweite; die Armaturen, die Steuerelemente für die Bildschirme, die Instrumente, das Satellitentelefon, der Sprechfunk, das Radar und sogar der Camping-Kocher.

Mehrere Haltevorrichtungen und spezielle Cockpit-Fenster für eine optimale Durchlüftung verbessern das Leben an Bord ebenfalls. Dalin, der grosse Favorit auf den Sieg, hat sogar eine lichtdämpfende Beleuchtung für die Nacht und für das Aufwachen, und seine Schlafstelle ist nur einen Schritt vom Schalensitz entfernt.

Die Teilnehmer müssen eine obligatorische medizinische Grundausbildung absolvieren

Von solchem Komfort kann Oliver Heer auf seinem fast zwanzig Jahre alten Boot nur träumen. Der Deutschschweizer hat zwar auch ein neues Kojenbett, länger und breiter, aber seine Schlafstelle ist noch mit dem klassischen Lee-Segel versehen, das ihn vor dem Hinausfallen schützt. Wie alle Vendée-Globe-Teilnehmer musste er die obligatorische medizinische Grundausbildung absolvieren, in der den Seglern Notfallmassnahmen beigebracht werden.

Sie mussten vor dem Start auch ein Formular ausfüllen, auf dem ihre medizinische Vorgeschichte und die persönliche Medikamentenliste aufgeführt sind. Sie mussten überdies den Nachweis von medizinischen Untersuchungen zur kardiovaskulären Prävention vorweisen. Und an Bord muss sich die Apotheke befinden, die aus Notfallmedikamenten besteht, die auch ohne Konsultation der Rennärztin eingenommen werden dürfen. In dieser sind unter anderem Antibiotika, Infusions-Sets, Klammern und technischer Klebstoff.

Neben dem Hinweis auf das Tragen von Helmen und Sicherheitsgurten wurde den Skippern die Zusammenarbeit mit Physiotherapeuten nahegelegt, um insbesondere die Stärkung der stabilisierenden Nackenmuskeln zu fördern.

Isabelle Joschke schwört auf Pilates, mit dem sie vor acht Jahren begonnen hat. In einem Interview sagte die Deutsch-Französin, sie habe seither keine chronischen Schmerzen mehr. Und Pilates habe dazu geführt, «dass ich mehr in meinen Füssen verankert bin, was beim Segeln sehr wichtig ist».

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