Sonntag, September 29

Aus den letzten Wahlen ging das Linksbündnis der Neuen Volksfront als grösste Fraktion hervor. Die Regierung Barnier setzt sich nun aber aus Bürgerlichen bis Rechtskonservativen zusammen.

Die Angst, eine Marine Le Pen könnte dereinst Frankreich regieren, bringt die politische Elite dermassen in Wallung, dass sie darüber beinahe den Verstand verliert. Bei Emmanuel Macron, eigentlich für sein politisches Gespür bekannt, führte der Sieg der Rechtspopulisten bei der Europawahl Anfang Juni zu einer regelrechten Kurzschlusshandlung: Er löste das französische Parlament auf und rief Neuwahlen aus. Er meinte, das führe zu einer Klärung der politischen Mehrheiten.

Jetzt, fast drei Monate später, kann man sagen: Geklärt wurde nichts. Im Parlament haben sich drei Blöcke gebildet: links, Mitte, rechts, wobei das linke Bündnis Neue Volksfront die grösste Fraktion bildet. Das Rassemblement national (RN) hat um fast 40 Prozent zugelegt. Mit dem mutmasslichen Segen von Marine Le Pen hat der neue Premierminister Michel Barnier nun eine Regierung gebildet. Sie ist weiter rechts positioniert als die alte – mit Köpfen, die fast alle aus dem Mitte-rechts-Lager stammen, das die Wahl klar verloren hat.

Zu Macrons Verteidigung kann man sagen, dass die alte Regierung bereits etwas abgewirtschaftet war und dass ihr schon im Frühling drohte, ein allfälliges Misstrauensvotum im Herbst nicht zu überstehen. Diese Annahme ist jedoch hypothetisch und wurde vor Beginn der Olympischen Spiele getroffen. Der Grossanlass hat die Franzosen nicht nur elektrisiert und geeint, sondern hat sie auch ein Stück weit mit der teilweise verhassten Regierung versöhnt, die den Anlass vorbildlich mitorganisierte.

Rentenreform, Asylreform

Wir werden nie erfahren, wie es mit der alten Regierung weitergegangen wäre. Tatsache aber ist: Sie hatte im Parlament eine relative Mehrheit, im Gegensatz zur neuen Regierung. Und sie hat in einer schwierigen Ausgangslage und gegen grossen Widerstand einiges erreicht. Die Rentenreform mit höherem Rentenalter, Macrons wichtigstes Geschäft der letzten Jahre, ist durchs Parlament gekommen wie auch ein schärferes Einwanderungsgesetz.

Die alte Regierung, schon sie eine bürgerliche, hatte zudem Gesichter, die für Stabilität und Glaubwürdigkeit standen. Einen Bruno Le Maire etwa, den Warner in Sachen Staatsschulden. Sein Wort hatte Gewicht. Einen Gérard Darmanin, als Innenminister gefürchtet und respektiert.

Der neue Wirtschafts- und Finanzminister Antoine Armand ist dagegen ein in breiten Kreisen Unbekannter, aber ein enger Vertrauter Macrons. Der neue Innenminister Bruno Retailleau versucht, sich als noch härterer Hund als Darmanin zu verkaufen, und biedert sich bei den Rechtspopulisten an. Er ist eine Reizfigur, weil er sich gegen das Recht auf Abtreibung ausspricht und auch die Ehe für alle früher abgelehnt hat.

Was also bringt die neue Regierung Frankreich? Es würde überraschen, wenn sie in dieser Konstellation mehr erreicht als die letzte, falls sie überhaupt die nächsten Wochen übersteht. Mehrheiten zu Sachfragen dürften schwer zu finden sein, weil sich die Zusammenarbeit im rechten Lager und mit der Mitte als holprig herausstellen dürfte.

Doch vor allem: Bildet die neue Regierung den Wählerwillen ab? Daran darf gezweifelt werden. Und genau das ist das Problem: Barnier schielt zu den Rechtspopulisten. Dabei geht vergessen, wer in Frankreich wirkungsvoll Opposition betreibt: die Linke. Es sind die Gewerkschaften, die wochenlang das Land lahmlegen können, angestachelt von prononciertem Linkspopulismus.

Dieser Linkspopulismus könnte nun Aufwind bekommen, weil Emmanuel Macron die Chance verpasst hat, die Linke zu entzaubern. Die Linke bekommt keinen Platz in der neuen Regierung und wird somit vollständig in die Oppositionsrolle gedrängt. Daran sind die Linken einerseits selber schuld: Sie haben jedes Angebot verschmäht, vermutlich im Wissen darum, was ihre Opposition von der Strasse bewirken kann.

Allerdings hat Macron alle Ansprüche der Linken auf eine Regierungsbildung abgelehnt. Hätte er sie wirken lassen, hätte sich vermutlich schnell herausgestellt, dass sie ihre radikalen Forderungen überdenken muss, um Regierungspartner zu finden. Vielleicht wäre ihr Bündnis von linksradikal bis Mitte-links daran zerbrochen. Das wäre für Frankreich heilsam gewesen.

Was bleibt von der Neuwahl, ist ein Staatspräsident, der sich völlig verkalkuliert hat. Es bleiben politikverdrossene Bürger, die sich fragen, warum man sie an die Urne rief, und eine Linke, die in ihrer Oppositionsrolle so viel Legitimität hat wie selten zuvor.

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