Montag, September 30

Bei der Abstimmung soll es um Uferschutz gehen – aber im Initiativkomitee sitzen zahlreiche Stadionprojektgegner.

Zürich wartet auf sein Fussballstadion, und mit jedem Tag Warten nimmt die Situation absurdere Züge an. Mittlerweile sind 1421 Tage seit der Abstimmung vergangen, bei der sich knapp 60 Prozent der Stimmberechtigten für den Stadionbau auf dem Hardturmareal ausgesprochen haben, notabene zum zweiten Mal, weil die Projektgegner eine zweite Abstimmung über den Gestaltungsplan erzwungen hatten.

Immer wieder haben es die Stadionbauherren mit Appellen an die Gegner des Projekts versucht, sich «endlich als faire Verlierer» zu zeigen. Vergeblich. Der Rechtsstreit schleppt sich dahin, obwohl die Gegner bisher durchwegs unterlagen.

Der Fall liegt momentan beim Verwaltungsgericht – auch schon wieder fast ein Jahr. Und jetzt steht in der Stadt Zürich am 22. September ein Urnengang an, der das Projekt erneut gefährden könnte: die sogenannte Uferschutzinitiative, die punktgenau auf das Stadionprojekt zielt.

Stadiongegner geben sich nicht zu erkennen

Doch wer sind die Gegner des Projekts überhaupt, an deren Adresse die Appelle an die Fairness gerichtet sind?

Die Frage lässt sich nicht so leicht beantworten. Die Gegnerschaft ist auf Anonymität bedacht. Dies gilt insbesondere für den Verein Pro Limmatraum, der mit öffentlichen Informationen über sich geizt.

Der Verein kämpft an vorderster Front gegen das Bauvorhaben und insbesondere die geplanten Hochhäuser. Das Projekt namens «Ensemble» umfasst ein Stadion für 18 000 Zuschauer, eine Genossenschaftssiedlung mit gemeinnützigen Wohnungen und zwei Hochhäuser. Es ist ohne Hochhäuser nicht finanzierbar.

Die Onlineplattform «Tsüri» hat öffentlich gemacht, dass der Verein Pro Limmatraum in einem Versand an die Mitglieder aktiv nach Beschwerdeführer gegen den Stadionbau gesucht hat. Später habe er seine Mitglieder informiert, ein Rekurs gegen den Stadionbau sei eingereicht worden. Wer die konkreten Beschwerdeführer sind, ist nicht bekannt.

Im Artikel werden einige Mitglieder des Vereins Pro Limmatraum genannt. Darunter sind die rot-grün geprägten IG Freiräume und IG am Wasser, vereinzelt auch bürgerliche Vertreter wie Felix E. Müller, Ex-Chefredaktor der «NZZ am Sonntag».

Müller bestätigt auf Anfrage seine Mitgliedschaft im Verein. Er betont, dass dieser «aus einer breiten Gruppe von Leuten» bestehe, viele aus linken Kreisen. Selbst sei er nicht Beschwerdeführer. Es gebe aber einen Rekurs von zahlreichen Einzelpersonen, welcher auch vom Verein Pro Limmatraum als juristischer Person unterzeichnet worden sei.

Aufgeführt ist im «Tsüri»-Artikel weiter der Unternehmer Urs Zweifel, Neffe des verstorbenen Zweifel-Gründers und Verwaltungsrat der Zweifel Pomy-Chips AG. Diese Verbindung hat zu Boykottaufrufen von Fussballfans an die Adresse von Zweifel Pomy-Chips geführt.

Allerdings stellt Zweifel gegenüber der NZZ klar, dass er nie Mitglied des Vereins Pro Limmatraum gewesen sei. Er habe lediglich «das Anliegen via Verein finanziell unterstützt». Persönlich habe er keine Beschwerde gegen den Stadionbau eingelegt.

Interessant ist die Frage nach der Gegnerschaft auch mit Blick auf die anstehende Abstimmung vom 22. September. Die sogenannte Uferschutzinitiative soll das Limmatufer vor Hochhäusern schützen. «Ensemble» ist das einzige Hochhausprojekt, das dort geplant ist. Das ist auffällig.

Ebenso auffällig ist, dass zwischen dem Abstimmungskomitee der Uferschutzinitiative und den Mitgliedern des Vereins Pro Limmatraum Verbindungen bestehen. Sogar die Websites der beiden Vereine sind gleich aufgebaut.

Im Abstimmungskomitee sitzen viele «Ensemble»-Projektgegner. Unter anderem Martin Schlup, notabene Präsident von Pro Limmatraum. Lisa Kromer, Präsidentin der IG Freiräume Zürich-West, die den Gestaltungsplan an der Urne bekämpft hat. Die GLP-Kantonsrätin Sandra Bienek, Wortführerin bei der ersten «Ensemble»-Abstimmung 2019. Oder die beiden Grünen Markus Knauss und Gabi Petri, die als VCS-Funktionäre das allererste Stadionprojekt von 2003 mit Rekursen in die Knie gezwungen haben. Nicht mit von der Partie sind im Komitee Felix E. Müller und Urs Zweifel.

«Uferschutz» zielt ausschliesslich auf «Ensemble»

Was die Ausgangslage aus Sicht der Stimmberechtigten vor dem nächsten Urnengang undankbar macht: Glasklar sind die Auswirkungen der Uferschutzinitiative auf das Stadionprojekt nicht.

Der Bau von Hochhäusern soll verboten werden – nicht nur direkt am Flussufer, sondern in einem Streifen, der die vierfache Breite der Limmat umfasst. Es ist die exakte Distanz von der Limmat zu den geplanten Hochhäusern des Stadionprojekts.

Die Stadt Zürich stellt sich auf den Standpunkt, dass der Stadionbau als bereits beschlossenes Projekt nicht von der Initiative betroffen wäre. So wäre das Vorhaben auf der Zeitachse zu weit fortgeschritten, als dass es noch von der Volksinitiative torpediert werden könnte.

Nur: Im Initiativtext ist explizit von «bestehenden Bauten» die Rede, welche nicht unter die Initiative fallen würden. Das Stadion und die beiden Hochhäuser sind aber eindeutig kein «bestehender Bau». Gegenüber der NZZ hat der Rechtsprofessor Alain Griffel bereits vor rund einem Jahr gesagt, dass er ein Restrisiko erkenne.

Die Initianten der Uferschutzinitiative versprechen, ihr Anliegen habe nichts mit dem Stadionprojekt zu tun, es gehe allein um den Schutz von Erholungsräumen. Doch das «Ensemble»-Projektteam ist alarmiert.

Der Sprecher Markus Spillmann sagt: «Wird die Initiative angenommen, droht ein weiterer Rechtsstreit über die Umsetzung und damit eine weitere Verzögerung.»

Spillmann bezeichnet die Initiative als «Versuch einer weiteren Verhinderung». Anders könne man sie fast nicht deuten. Zumal an der Limmat keinerlei andere Hochhausprojekte geplant seien. Die Initiative ziele also direkt auf dieses Projekt – und auf kein anderes.

Als die Initiative im Stadtparlament beraten wurde, war die Stadionfrage in der Debatte dennoch kein Thema. Weshalb? Der FDP-Gemeinderat Roger Suter, Mitglied der einschlägigen Kommission im Stadtparlament, sagt, der Stadtrat habe in seiner Weisung nochmals unterstrichen, dass die Initiative das Stadionprojekt nicht betreffen werde.

Abgesehen davon stehe das Anliegen ohnehin «völlig quer in der Landschaft», sagt Suter. Zum Uferschutz gebe es bereits eine Vielzahl von Vorgaben. «Würde die Initiative angenommen, würde das Bauen noch komplizierter, weil eine weitere Möglichkeit zur Einsprache gegen Hochhausprojekte geschaffen würde.»

Gegenvorschlag ohne Gefahr fürs Stadion

Die Beratungen im Stadtparlament dürfte das «Ensemble»-Projektteam insofern mit Erleichterung zur Kenntnis genommen haben, als der Stadtrat einen Gegenvorschlag formuliert hat. Darin ist die fragliche Abstandslinie zur Limmat nicht mehr enthalten.

Und der Gegenvorschlag hat gute Chancen. SP, AL und Grüne sind dafür. Die Grünen sprechen sich sowohl für die Initiative als auch für den Gegenvorschlag aus, aber sollte es zum Stichentscheid kommen, sind sie ebenfalls für den Gegenvorschlag. Eine Mitte-rechts-Allianz von SVP, FDP, GLP und Mitte lehnt beides ab.

Euphorisch dürften die Stadioninitianten allerdings auch dann nicht werden, sollte die Abstimmung in ihrem Sinne ausfallen. Sie befinden sich nach wie vor inmitten eines mühsamen rechtlichen Parcours und haben erst eine von wahrscheinlich sechs juristischen Hürden übersprungen.

Diese erste Hürde war der Erfolg vor dem Baurekursgericht. Es folgt das Verwaltungsgericht und wahrscheinlich das Bundesgericht.

Dann erst wäre der Gestaltungsplan rechtskräftig. Und dann erst könnte die Stadt eine Baubewilligung erteilen – die dann erneut über drei Instanzen angefochten werden könnte.

Ab dem Zeitpunkt einer rechtskräftigen Baubewilligung dauert es ein Jahr, bis Stadion und Genossenschaftsbau erstellt sind. Bis die Hochhäuser fertig sind, dauert es nochmals zusätzlich zwei Jahre.

Nach der zweiten Stadionabstimmung 2020 hatte der FCZ-Präsident Ancillo Canepa von einem Stadionbetrieb ab Sommer 2024 geträumt. Dann würde in der neuen Arena jetzt der Ball rollen. Stattdessen liegt weiter bleierne Lähmung über dem Hardturmareal.

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