Donnerstag, Mai 1

Sollen Bund und Kantone die Prämien der Krankenkassen weit mehr verbilligen als bisher? Das fordert eine SP-Volksinitiative, die vor allem dem Bund jährliche Zusatzkosten von mehreren Milliarden Franken brächte. Die Stimmbürger entscheiden am 9. Juni.

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Krankenkassenprämien steigen vor allem wegen des zunehmenden Konsums von Gesundheitsleistungen prozentual deutlich stärker als die Löhne und die Gesamtwirtschaft. In Umfragen beklagen sich viele über die Höhe der Krankenkassenprämien. Die SP-Volksinitiative fordert einen massiven Ausbau der staatlichen Prämienverbilligung. Zudem soll der Bundesanteil an den Prämienverbilligungen stark steigen. 
  • Die Ärmsten zahlen schon jetzt wenig bis nichts an ihre Krankenkassenprämie. Von der Initiative würde vor allem der untere Mittelstand profitieren. Die Kosten hängen von der Art der Umsetzung ab. Der Bundesrat schätzt die jährlichen Zusatzkosten für den Staat auf Basis des Wunschszenarios der Initianten für 2030 auf 7 bis fast 12 Milliarden Franken pro Jahr. Dies wäre durch Sparanstrengungen an anderen Orten oder durch Steuererhöhungen zu finanzieren. Zur Finanzierung sagt die Initiative nichts.

Die Vorlage im Detail

Die Prämien der obligatorischen Krankenversicherung sind für Personen in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen seit langem subventioniert. 2022 erhielten knapp 26 Prozent aller Versicherten eine solche Subvention. Die Prämienverbilligungen beliefen sich total auf knapp 5,4 Milliarden Franken. Gut die Hälfte davon entfiel auf den Bund, den Rest zahlten die Kantone. Die von der SP lancierte Volksinitiative fordert, dass künftig kein Versicherter mehr als 10 Prozent seines verfügbaren Einkommens für die Prämie der obligatorischen Krankenversicherung ausgeben muss.

Der Initiativtext lässt offen, welche Prämie als Massstab für die Berechnung gelten soll und wie das verfügbare Einkommen zu definieren ist. Die Initianten hatten bei der Lancierung der Initiative die Kosten auf Basis der Zahlen von 2016 auf 3,2 bis 4 Milliarden Franken pro Jahr geschätzt. Der Bundesrat schätzte später auf Basis der Zahlen von 2020 unter sonst ähnlichen Annahmen die Mehrkosten auf 3,5 bis 5 Milliarden Franken pro Jahr, wovon der Grossteil zulasten des Bundes ginge. Wegen des erwarteten weiteren Anstiegs der Prämien würden die Zusatzkosten von Jahr zu Jahr steigen. So wären es laut Schätzung des Bundesrats 2030 bereits 7 bis fast 12 Milliarden Franken pro Jahr. Davon würden 6 bis 9 Milliarden auf den Bund entfallen.

Teure Volksinitiative

Mittlere Schätzung der Kosten der Prämienverbilligungs-Initiative für Bund und Kantone, je nach Szenario*. In Milliarden Franken pro Jahr

Kostenwachstum 1% über BIP

Kostenwachstum 2% über BIP

Es geht um grosse Summen – die zudem auf Jahrzehnte hinaus noch weiter wachsen dürften. Die Subventionen für Versicherte des unteren Mittelstands würden deutlich steigen, die Kosten für den Staat würden stark zunehmen. Zudem würden die ohnehin schon sehr beschränkten Sparanreize für die Stimmbürger und die Kantone noch weiter abnehmen. Ein Erfolg der Volksinitiative würde daher das Kostenwachstum im Gesundheitswesen noch weiter anheizen.

Die Prämien spiegeln im Wesentlichen die Entwicklung der Kosten in der obligatorischen Krankenversicherung. Von 2010 bis 2024 sind die Prämien um total etwa 52 Prozent gestiegen, was einem durchschnittlichen Anstieg von rund 3 Prozent pro Jahr entspricht. Im gleichen Zeitraum ist die Wirtschaftsleistung pro Einwohner um 1,1 Prozent pro Jahr gewachsen (total um geschätzte 16 Prozent). Aus diesen Prozentzahlen alleine lässt sich noch kein Budgetdruck der Haushalte ableiten. Denn in absoluten Zahlen sind die Durchschnittslöhne weit stärker gewachsen als die Krankenkassenprämien.

Prozentual dürften die Krankenkassenprämien auch künftig stärker wachsen als die Wirtschaftsleistung pro Kopf, womit bei einem Erfolg der Initiative quasi automatisch auch die Prämiensubventionen weiter wachsen würden. Zentrale Treiber sind die Alterung der Bevölkerung, die Wohlstandszunahme (welche die Nachfrage erhöht) und technische Fortschritte (die oft zu teureren Behandlungen führen). Hinzu kommen die verbreiteten Fehlanreize für Anbieter und Patienten.

Gesundheitskosten steigen prozentual schneller als Löhne

Entwickung der Kosten in der obligatorischen Krankenversicherung im Vergleich zur Lohnentwicklung (Index; 1996 = 100)

Bruttoleistung pro Versicherten

Mittlere Prämie pro Versicherten

Durchschnittslohn pro Vollzeitstelle

Der Bund, der zuletzt gut die Hälfte der Prämienverbilligungen bezahlt hat, müsste künftig mindestens zwei Drittel der gesamten Verbilligungen übernehmen. Deshalb würde der Grossteil der Zusatzkosten zulasten des Bundes gehen. Das könnte auch die interkantonale Umverteilung zulasten von Kantonen mit relativ günstigem Gesundheitswesen und zugunsten von Kantonen mit relativ teurem System und entsprechend hohen Prämien markant verstärken. Allerdings hat das Parlament Spielraum in der Umsetzung – so dass Kantone nicht unbedingt für ihr teures Gesundheitswesen mit zusätzlichen Bundesgeldern belohnt werden müssen.

Das Ausmass der zusätzlich nötigen Prämienverbilligungen hängt stark von der Art der Umsetzung durch das Parlament ab. Die Schätzungen der Initianten und des Bundesrats beruhten auf der sogenannten Standardprämie: Das ist der Durchschnitt der Prämien für das Versicherungsmodell mit der kleinsten Jahresfranchise (300 Franken) und ohne Einschränkung der Arztwahl.

Laut dem jüngsten Monitoring-Bericht des Berner Forschungsbüros Ecoplan im Auftrag des Bundes machte 2020 die Standardprämie bei sieben Modellhaushalten in wirtschaftlich bescheidenen Verhältnissen im Mittel knapp 14 Prozent des verfügbaren Einkommens aus – und damit deutlich mehr als die Schwelle von 10 Prozent gemäss Volksinitiative. Auf Basis der effektiv bezahlten Prämien (genannt «mittlere Prämien») betrug die Durchschnittsbelastung der Modellhaushalte allerdings nur 9,4 Prozent des verfügbaren Einkommens.

Die Rechnungen zu den Modellhaushalten geben kein repräsentatives Bild des für die Prämienverbilligung relevanten Bevölkerungsteils, doch sie liefern gewisse Anhaltspunkte. Würde man die Volksinitiative auf Basis der deutlich günstigeren mittleren Prämien anstelle der Standardprämien umsetzen, lägen die Kosten klar unter den publizierten Schätzungen des Bundesrats. Auch diverse Varianten zwischen den beiden genannten Modellen wären denkbar. 2022 waren rund 85 Prozent aller Versicherten in einem günstigeren Modell – mit erhöhter Jahresfranchise und/oder eingeschränkter Arztwahl. Rund drei Viertel der Versicherten hatten ein Modell mit eingeschränkter Arztwahl.

Das Parlament hat via Gesetzesänderung einen Gegenvorschlag zur Volksinitiative beschlossen. Bei einem Volks-Nein zur Initiative würde der Gegenvorschlag in Kraft treten, sofern es kein erfolgreiches Referendum dagegen gibt. Der Gegenvorschlag enthält ebenfalls einen Ausbau der Prämienverbilligungen, geht aber viel weniger weit als die Volksinitiative. Der Gegenvorschlag bringt keine Zusatzkosten für den Bund, doch er verlangt von den Kantonen neu eine Mindestsumme von 3,5 bis 7,5 Prozent der kantonalen Kosten der obligatorischen Krankenversicherung.

Der Gegenvorschlag baut auf den effektiv bezahlten Prämien der 40 Prozent einkommensschwächsten Versicherten pro Kanton auf: Je mehr im Durchschnitt dieser Gruppe die bezahlten Prämien in Prozent des Einkommens ausmachen, desto höher liegt die Mindestvorgabe an den betreffenden Kanton für das Ausmass der Prämienverbilligung. Der Bund schätzt die Mehrkosten des Gegenvorschlags auf Basis der Zahlen von 2020 auf rund 360 Millionen Franken pro Jahr. Bis 2030 würden die jährlichen Mehrkosten laut Bundesschätzung auf rund 700 bis 960 Millionen Franken steigen.

Für die Initiative kämpft die politische Linke. Sie verweist auf den starken Anstieg der Krankenkassenprämien in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten. Die Haushalte müssen ohne Ausbau der Prämienverbilligung einen zunehmend grösseren Anteil ihres Einkommens für die Krankenkassenprämie bezahlen. In Umfragen beklagen sich oft viele Einwohner über die hohen Prämien. In diversen Umfragen der vergangenen Jahre, wie etwa der jüngsten Befragung zum Sorgenbarometer der Credit Suisse, waren die Krankenkassenprämien das meistgenannte politische Problem. Der von der Initiative geforderte Ausbau der Prämienverbilligung soll vor allem Haushalte mit kleineren bis mittleren Einkommen entlasten. Die Initiative ist für viele Befürworter ein Schritt in die Richtung des Ziels eines Systems mit einkommensabhängigen Prämien. Für ärmere und mittelständische Haushalte sollen die Prämien viel günstiger sein als für Grossverdiener.

Die bürgerlichen Parteien, die Grünliberalen, die Kantone und die Krankenkassenverbände sind gegen die Volksinitiative. Die Gegner verweisen auf die hohen Kosten, die durch Steuererhöhungen oder staatliche Sparübungen an anderen Orten zu finanzieren wären. Kritisiert wird auch die verlangte Verlagerung der Kosten von den Kantonen zum Bund. Die Kantone verlieren dadurch Sparanreize, weil sie künftig einen grösseren Teil der Kosten ihres Gesundheitswesens dem Bund anhängen können. Eine einheitliche Bundesvorgabe für die Kantone stehe zudem im Widerspruch zu den grossen Unterschieden in den kantonalen Systemen und Präferenzen. Gegner kritisieren auch die starre Grenze von 10 Prozent. Bis zu einem gewissen Grad ist bei einer Zunahme des Wohlstands ein überproportionaler Anstieg der Gesundheitskosten «natürlich», weil mit dem Wohlstand die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen überproportional zunimmt.

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