Donnerstag, Januar 16

Israel muss in dem Abkommen schmerzhafte Zugeständnisse machen und den «totalen Sieg» über die Terrororganisation aufschieben. Die Hoffnungen auf ein Ende des Krieges sind verfrüht. Dennoch bietet die Feuerpause Chancen, die nun genutzt werden sollten.

Nach fünfzehn Monaten des Krieges werden voraussichtlich ab Sonntag im Gazastreifen die Waffen schweigen. Das ist in erster Linie eine gute Nachricht: Zwei Millionen Palästinenser in der zerstörten Küstenenklave können nach mehr als einem Jahr voller Tod, Zerstörung und Angst aufatmen. In den nächsten sechs Wochen dürfte sich die prekäre humanitäre Lage deutlich verbessern. Zudem besteht die vorsichtige Hoffnung, dass das Geiseldrama, das ganz Israel traumatisiert hat, endlich ein Ende nehmen wird. Für mindestens 34 der Geiseln, die noch in den Händen der fanatischen Islamisten sind, kommt die Feuerpause aber zu spät. Sie sind bereits tot.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Sosehr nun Erleichterung herrscht – dieses Abkommen ist alles andere als perfekt. Es sichert das Überleben der Hamas und zwingt Israel zu schmerzhaften Zugeständnissen, wie etwa zur Freilassung von Hunderten verurteilten Terroristen aus israelischen Gefängnissen. Die Zerschlagung der Terrororganisation aus Gaza ist und bleibt ein legitimes Ziel der Israeli – zumal diese nicht von ihrem Anspruch, den jüdischen Staat zu zerstören, ablassen wird.

Deshalb ist die Hoffnung, dass die Einigung in Doha zu einem definitiven Ende des Krieges führen wird, völlig verfrüht. Die Hamas wird alles unternehmen, um ihre Machtposition im Gazastreifen nicht zu verlieren. Gelingt ihr dies, hat Israel jedes Recht, den Krieg wieder aufzunehmen und sich gegen die mörderischen Terroristen zu verteidigen.

Donald Trump hat eigene Pläne

Jüngst hatte kaum jemand noch daran geglaubt, dass Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu jemals einem solchen Abkommen zustimmen würde. Er habe die Geiseln längst aufgegeben, hiess es; zudem werfen ihm viele Israeli vor, die Verhandlungen mit der Hamas immer wieder sabotiert zu haben. Nun hat er eingelenkt – und setzt dafür sein politisches Überleben aufs Spiel. Noch ist offen, ob ihm die rechtsextremen Parteien in seiner Regierung, die am liebsten alle Palästinenser vertreiben und jüdische Siedlungen im Gazastreifen errichten würden, die Gefolgschaft versagen werden.

Warum der Sinneswandel Netanyahus? Hat er eingesehen, dass sich die Hamas mit militärischem Druck allein nicht zerschlagen lässt? Nach Einschätzung der Amerikaner haben die Terroristen jüngst mehr neue Kämpfer rekrutiert, als sie verloren haben. Fest steht: Solange dieser Konflikt andauert, wird es immer junge Palästinenser geben, die sich von islamistischen Predigern dazu verführen lassen, mit einem Sturmgewehr in der Hand «Widerstand» zu leisten.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass Netanyahu darauf spekuliert, nun einige Geiseln freizubekommen, nur um dann mit Unterstützung von Präsident Trump den Krieg mit neuer Härte fortzusetzen und auch die israelische Kontrolle über das besetzte Westjordanland zu zementieren. Doch Trump, der selbsternannte «Dealmaker», könnte andere Ziele vor Augen haben: ein Normalisierungsabkommen mit Saudiarabien, einen Friedensplan für den Nahen Osten, einen Friedensnobelpreis. Dies wäre jedenfalls ein hoffnungsvolleres Szenario als ein fortgesetzter Krieg.

Es braucht eine Alternative zur Hamas

All dies wird jedoch davon abhängen, ob es gelingt, die Macht der Hamas zu brechen – und das ist mehr als fraglich. Auch wenn die Terrororganisation militärisch extrem geschwächt ist, hat sie nach wie vor das Sagen im Gazastreifen. Wird keine echte Alternative zur Herrschaft der Islamisten gefunden, wird das auch so bleiben.

Doch wer sollte an ihrer Stelle die Kontrolle übernehmen? Die korrupte Palästinensische Autonomiebehörde – der Wunschkandidat der Biden-Regierung –, die es bis heute nicht geschafft hat, das Massaker vom 7. Oktober 2023 unmissverständlich zu verurteilen? Die Golfmonarchien, die nur dann helfen wollen, wenn gleichzeitig ein palästinensischer Staat entsteht? So oder so wird die Hamas keine Gelegenheit auslassen, eine alternative Nachkriegsordnung zu sabotieren. Die Vorzeichen stehen schlecht.

Trotzdem: Falls tatsächlich in wenigen Wochen die Verhandlungen über die zweite Phase des Abkommens beginnen, sollten die Vermittler jede erdenkliche Chance nutzen, die Hamas zurückzubinden – sie ist es, die einer friedlichen Zukunft für den Gazastreifen im Weg steht. Donald Trump scheint für diese Aufgabe besser gerüstet als sein zaudernder Vorgänger Joe Biden. Nach der Einigung vom Mittwochabend schimmert ein kleines bisschen Hoffnung über dem Nahen Osten. Doch Optimisten haben es bekanntlich schwer in dieser krisengeplagten Region.

Exit mobile version