Samstag, Januar 18

Israels Regierung hat das Abkommen mit der Terrororganisation bewilligt. Bereits am Sonntag sollen die Waffen schweigen und die ersten Geiseln freikommen. Nun stellt sich die Frage: Kann Netanyahu seine Koalition zusammenhalten?

Die Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas ist Tatsache: Am frühen Samstagmorgen hat die israelische Regierung nach stundenlangen Beratungen dem Abkommen über eine Waffenruhe mit der islamistischen Hamas zugestimmt. Laut Berichten stimmten 24 Minister für die Vereinbarung, acht stimmten dagegen. Am Nachmittag hatte bereits das kleinere Sicherheitskabinett der Vereinbarung mit der Terrororganisation aus dem Gazastreifen zugestimmt.

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Zuvor war die ursprünglich für Donnerstagvormittag anberaumte Kabinettssitzung auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Es schien, als stehe die Waffenruhe auf Messers Schneide. Aus Netanyahus Büro hiess es, die Hamas habe in letzter Minute neue Bedingungen gestellt und eine «Krise» verursacht. In der Nacht auf Freitag kam die Entwarnung: Sämtliche Details seien geklärt worden, Israel und die Hamas hätten die Vereinbarung unterzeichnet.

Nun steht dem Beginn der Waffenruhe am Sonntag um 12 Uhr 15 Ortszeit und der Freilassung der ersten drei Geiseln nichts mehr im Weg. Zwar können vor Israels Oberstem Gericht noch Petitionen gegen das Abkommen eingereicht werden. Doch es gilt als praktisch ausgeschlossen, dass die Richter noch intervenieren. Dennoch kann sich Benjamin Netanyahu nicht zurücklehnen: Denn die Vereinbarung mit der Hamas stellt seine Regierung vor eine Zerreissprobe.

Rechtsextreme Partei verlässt Koalition

Es sind insbesondere Netanyahus Koalitionspartner von der extremen Rechten, die dem Ministerpräsidenten Kopfschmerzen bereiten. Sie fordern, dass der Krieg bis zur endgültigen Zerschlagung der Hamas weitergeführt wird, und sprechen sich für die Errichtung jüdischer Siedlungen im Gazastreifen sowie die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus. Entsprechend stimmten sie am Freitagnachmittag gegen das Abkommen mit der Hamas.

Doch nicht nur das: Itamar Ben-Gvir, Israels rechtsextremer Minister für nationale Sicherheit, kündigte am Donnerstagabend an, dass er mit seiner Partei Jüdische Macht aus der Koalition austreten werde, falls die Regierung das Abkommen bewilligen sollte. Dieses bezeichnete er als «desaströs»: «Es befreit Hunderte Terroristen, die Blut an ihren Händen haben und nach ihrer Freilassung versuchen werden, den nächsten Juden zu ermorden.»

Am Dienstag hatte Ben-Gvir zudem stolz verkündet, er habe dank seinem politischen Einfluss im vergangenen Jahr mehrfach eine Einigung mit der Hamas verhindert. Mit seinen Äusserungen löste er in Israel eine Welle der Empörung aus. Kritiker der Regierung sahen sich in ihrer Annahme bestätigt, dass es primär politische Überlegungen waren, die im vergangenen Jahr die Gespräche über ein Abkommen wiederholt scheitern liessen.

Zwar verfügt Netanyahus Koalition auch ohne die sechs Abgeordneten von Ben-Gvirs Partei immer noch über eine knappe Mehrheit von 62 Sitzen im Parlament. Allerdings könnte auch die Partei des ebenfalls rechtsextremen Finanzministers Bezalel Smotrich Netanyahu die Gefolgschaft versagen. Ohne die sechs Parlamentarier von Smotrichs Partei Religiöser Zionismus verlöre die Regierung ihre Mehrheit in der Knesset.

Netanyahu steht vor einer Entscheidung

In den vergangenen Tagen hatte sich Netanyahu deshalb mehrfach mit Smotrich getroffen, um ihn davon zu überzeugen, in der Koalition zu verbleiben. Der Finanzminister fordert, dass der Krieg nach Ablauf der ersten, sechswöchigen Phase der Waffenruhe wieder aufgenommen werde. Sonst werde auch Religiöser Zionismus die Koalition verlassen. Das Abkommen sieht in der zweiten Phase ein definitives Ende des Krieges vor. Laut Medienberichten sollen Netanyahu und Smotrich zuletzt eine Einigung erzielt haben – wobei unklar ist, was diese genau beinhaltet.

Am Freitag kündigte Israels Verteidigungsminister Israel Katz an, alle israelischen Siedler, die sich in sogenannter Administrativhaft befinden, sofort freizulassen. Diese erlaubt es, Verdächtige aus Sicherheitsgründen ohne Anklage für sechs Monate und mehr festzuhalten. Davon sind vor allem Palästinenser betroffen, in seltenen Fällen aber auch gewaltbereite jüdische Siedler aus dem Westjordanland. Der Schritt von Katz wurde von manchen Beobachtern als Zugeständnis an Smotrich interpretiert, um sicherzustellen, dass dieser zumindest während der ersten Phase in der Regierung verbleibt.

Jedenfalls dürfte Netanyahu spätestens in sechs Wochen vor einer folgenschweren Entscheidung stehen: Nimmt er den Krieg wieder auf und lässt das Abkommen scheitern, um seine Koalition zusammenzuhalten – oder hält er die Vereinbarung aufrecht und lässt es auf Neuwahlen ankommen? Zwar haben Parteien der Opposition dem Ministerpräsidenten angeboten, im Falle eines Austritts von Smotrich die Koalition zu stützen. Damit würde Netanyahu aber sein politisches Schicksal in die Hände seiner Gegner legen.

Netanyahu spekuliert womöglich darauf, dass ihm das Abkommen zur Befreiung der Geiseln einen Popularitätsschub verleiht und er aus Neuwahlen als Sieger hervorgehen würde. Rund 70 Prozent der Israeli unterstützen laut Umfragen die Waffenruhe mit der Hamas. Allerdings sind unter jenen, die das Abkommen entschieden ablehnen, viele treue Wähler seiner Koalition. Netanyahu würde also hoch pokern.

Was macht Donald Trump?

Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass sich Netanyahu letztlich für seine rechts-religiöse Koalition und für den Krieg entscheiden wird. Dabei dürfte allerdings auch der gewählte amerikanische Präsident Donald Trump ein Wörtchen mitreden, der das Abkommen als grossen Erfolg gefeiert hat. Noch ist unklar, was von seiner Regierung zu erwarten ist. Einerseits hatte Trumps designierter Berater für nationale Sicherheit, Mike Waltz, am Mittwoch in einem Interview mit Fox News gesagt, dass die USA Israel bei einer erneuten Offensive im Gazastreifen unterstützen würden: «Wenn die Hamas sich nicht an die Bedingungen dieser Vereinbarung hält, sind wir auf (Israels) Seite.»

Im selben Interview betonte Waltz allerdings, dass eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und Saudiarabien eine «riesige Priorität» sei. Ginge der Krieg weiter, wäre dieses Prestigeprojekt von Trump infrage gestellt. Gegenüber der «New York Times» sagt Yonahan Plesner, der Direktor des unabhängigen Israel Democracy Institute: «Wenn Netanyahu zwischen einer engen Beziehung zur Trump-Regierung und Smotrich und Ben-Gvir wählen muss, wird er sich für Trump entscheiden.»

Es ist durchaus denkbar, dass Netanyahu seine Entscheidung noch nicht getroffen hat. Der gewiefte Politiker hält sich jeweils alle Optionen bis zum letzten Moment offen.

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