Donnerstag, Oktober 10

Die Konsolidierung der Halbleiterindustrie hat eine potenziell gefährliche Dynamik gebrochen. Weil das Feld der Gewinner breiter wurde, steht einem starken vierten Quartal wenig im Weg.

Die Aktienmärkte haben sich bislang deutlich besser entwickelt als von den meisten Experten Anfang Jahr erwartet. Der MSCI Welt schloss letzte Woche mit einem Plus von 16,7%. Deutlich besser präsentierte sich der S&P 500, dessen Kursgewinn bei knapp 21% lag. Mit einem Plus von 65,8% stellte allerdings der DJ US Semiconductors auch nach der Korrektur und der danach eingesetzten Konsolidierung die diversifizierten Indizes dieser Welt in den Schatten.

Die Korrektur – das war das wichtigste Börsenereignis des Jahres! Sie hat die begonnene Blasenbildung im DJ US Semiconductors beendet und damit eine in den Ansätzen manifest gewordene Entwicklung im Keim erstickt, bevor sie toxisch werden konnte.

Die Rede ist von der Zunahme der Kapitalisierung einer Industrie – der Halbleiterindustrie – zulasten fast aller anderen Industrien. Nur wenige konnten im Windschatten von Semiconductors halbwegs annehmbare relative Werte erzielen.

Aus meiner Sicht befinden sich die Aktienmärkte dank dieser Korrektur in einer sehr guten Ausgangslage für ein starkes viertes Quartal.

Die wohl einzige Gefahr dürfte in einer Eskalation des Krieges im Nahen Osten weit über das Ausmass, das die Märkte bereits einkalkuliert haben, liegen. Und sie haben eine erhebliche Eskalation ins Auge gefasst, wenn ich die Reaktion der Kurse auf spezifische Nachrichten des Kriegsgeschehens richtig interpretiere.

Die wichtigsten Gründe für meine Einschätzung fasse ich wie folgt zusammen:

Die Portfolios sind wieder diversifiziert

Die Entwicklung der relativen Preise seit Anfang August weist darauf hin, dass die Portfolios breiter gestreut wurden, was zwischen dem 19. April und Anfang August immer weniger der Fall war.

Das ist deshalb wichtig, weil Kurslawinen ausgelöst werden, wenn zu viele Portfolios zu wenig diversifiziert sind.

Eine solche Lawine war der Auslöser des Bärenmarktes, der im März 2000 einsetzte und im Oktober 2002 mit einem Verlust von 51,5% im MSCI Welt endete. Der Nasdaq 100 büsste gar 83,5% ein. Zuvor wurden Telecom-, Medien- und Technologieaktien in einer spekulativen Blase historischen Ausmasses in die Höhe getrieben. Die Kapitalisierung dieser Sektoren hatte mehr als 40% erreicht.

Ihre Baisse beeinflusste auch stark die Entwicklung der Indizes. Trotzdem stiegen während der Zeit der Indexbaisse rund 25% der US-Aktien, weil die Ursache des Bärenmarktes nicht in einer Dysfunktionalität eines zentralen Bereichs der US-Wirtschaft lag. Zentrale Bereiche sind Finanzinfrastruktur, Energie und neuerdings natürlich die Produktionsstätten für Halbleiter.

Mehr als die Hälfte der Sektoren sind in den stärksten Industrien vertreten

Dank dem Mut zur Diversifikation, der vor der Korrektur jene Anleger weitgehend verlassen hatte, deren Karriere davon abhing, mit ihren Portfolios mindestens eine indexkonforme Rendite zu erzielen, sind unter den fünfzehn stärksten Industrien sechs Sektoren von insgesamt elf vertreten: Financials mit vier Industrien, Information Technology mit drei, Consumer Discretionary mit drei, Industrials mit zwei, Utilities mit zwei und Consumer Staples mit einer.

Auch das ist eine Manifestation einer guten Marktbreite, die den Schluss zulässt, dass die Handlungsmotivation darin liegt, dass die Umstände grundsätzlich positiv für die Anlageklasse Aktie eingestuft werden.

Cluster haben sich ausgebreitet

Alle Industrien auf der Top-15-Liste und darüber hinaus wenig ins Gewicht fallende Bereiche wie der MSCI Real Estate oder Goldminen bilden positive Cluster.

Die Definition eines Clusters ist eine Ansammlung von Populationen in einer Industrie, einem Sektor, einer Region oder einem Land, die übereinstimmende Erwartungen hegen, obwohl die Methode, wie sie zu ihren Erwartungen gelangen, unterschiedlich sind.

Sichtbar wird ein Cluster daran, dass sich eine sehr hohe Anzahl Aktien in die gleiche Richtung bewegt. Ich habe für mich eine Quote von mindestens 80% festgelegt. Der einzige Unterschied zwischen den einzelnen Aktien ist das Momentum, aber nicht die Richtung der Kursbewegung.

Selbst die Schwächsten sind nicht sehr schwach

Unter den fünfzehn schwächsten Industrien weisen vier positive Kurstrends auf, vier weitere neutrale und nur sieben negative. Davon stellen nur drei negative Cluster dar.

Unter den fünfzehn schwächsten Industrien stammen elf aus Sektoren, die auch unter den fünfzehn stärksten Industrien vertreten sind. Es sind dies fünf aus Consumer Discretionary, drei aus Industrials, zwei aus Consumer Staples und eine aus Information Technology. Bei letzterer handelt es sich um Semiconductors, die auf Platz drei unter den schwächsten Industrien steht.

Das zeigt, dass gedacht und gerechnet wird und nicht positive Rückkoppelungen die Käufer zu hektischem Treiben anleiten, was den klassischen Minsky-Moment herbeiführen würde.

Was könnte die Weichen noch verstellen?

Zum Schluss möchte ich noch einmal auf die tragischen Ereignisse im Nahen Osten zurückkommen. Sie können eskalieren. Ich glaube aber nicht, dass eine weitere Zuspitzung der Katastrophe im Aktienmarkt mehr anrichten würde als einen vorübergehenden Rücksetzer – vom Einsatz von Nuklearwaffen, einer Intervention Russlands zugunsten Irans oder ähnlichem abgesehen.

Märkte in der gegebenen Konstellation pflegen negative Nachrichten zu verdrängen. Wie auch Professor Didier Sornette in seinem für mich nach wie vor hervorragenden Buch «Why Stock Markets Crash» festgestellt hat, müssen die Voraussetzungen endogen geschaffen werden, damit exogene Ereignisse einen Bärenmarkt auslösen können.

Ich werde deshalb nicht zu den Verkäufern gehören, wenn der Wahnsinn weiter eskaliert. Das deshalb, weil meine Allokation auf alle persönlich wichtigen Faktoren wie anderweitige Liquidität, Einkommen, Ausgaben etc. abgestimmt ist. Das nennt man Strategie. Sie sollte nur dann geändert werden, wenn sich die persönliche Situation verändert. Exogene Ereignisse dürfen nie die Strategie verändern.

Wenn diese Regel nicht beachtet wird, dann liegt dahinter meistens eine Überschätzung des eigenen Wissens. In der Regel wird diese Überschätzung noch verstärkt durch Überlegungen zu politischen Entwicklungen, die auf Grundlage öffentlich verfügbarer Informationen beurteilt werden. Wenn die Archive dreissig Jahre nach den Ereignissen geöffnet werden, stellt sich meistens heraus, dass wesentliche Informationen zurückgehalten wurden – aus durchaus nachvollziehbarer Staatsraison. Das alles ist aber keine vernünftige Grundlage für Veränderungen der Strategie.

Alfons Cortés

Alfons Cortés ist seit März 1971 professionell an der Börse unterwegs. Bis Juni 2017 war er Geschäftsführender Partner von UnifinanzTrust reg., Vaduz. Seit Juli 2017 ist er Senior Partner im Unternehmen und für den Bereich Research zuständig. Diesem hat er von Anbeginn seiner Tätigkeit an besonderes Augenmerk zukommen lassen. Daraus erwuchs die prominente Position des Unternehmens in der Anwendung von Behavioral-, Neuro- und Evolutionary Finance. Cortés hat nicht nur als Vermögensverwalter und Analyst, sondern auch als Mitglied von Anlageausschüssen institutioneller Anleger über Jahrzehnte Erfahrungen mit den Finanzmärkten gesammelt. Er schreibt jeden zweiten Donnerstag eine Kolumne für The Market.
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