Donnerstag, August 21

Innovation, Fortschritt, Wohlstand: Jahrzehntelang war Deutschland eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Das ist vorbei. Der Motor stottert. Der Wirtschaftspublizist Wolfgang Münchau sucht nach den Gründen.

Die Deutschen haben viel von dem erfunden, was im 20. Jahrhundert wichtig war. Den Benzinmotor zum Beispiel, den Bunsenbrenner oder das Elektronenmikroskop. Das hat das Land zu Wohlstand geführt. Aber Deutschland hat keine Dinge erfunden, die im 21. Jahrhundert relevant sind. Weder das Smartphone, den Computer noch das elektrische Auto.

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Genau darin liegt für Wolfgang Münchau das Grundproblem der einst erfolgreichsten Industrienation der Welt. Deutschlands Wirtschaft habe kein konjunkturelles Problem, wie gerne behauptet werde, sondern ein strukturelles, so ist Münchau überzeugt. Darüber könnten auch staatliche Stimuli oder ein kurzfristiges Anziehen der Konjunktur nicht hinwegtäuschen. Derlei Strohfeuer seien beim Niedergang einst grosser Wirtschaftsmächte der Normalfall, das Ende komme selten mit einem Knall, sondern schleichend. Dieses Ende sieht Münchau für den deutschen Wirtschaftsstandort erreicht.

Im neuen Buch «Kaputt. Das Ende des deutschen Wirtschaftswunders» erzählt der deutsche Wirtschaftspublizist und Mitgründer des Think-Tanks Eurintelligence eine Geschichte des Niedergangs. Rezepte für eine mögliche Kur bekommt man bei ihm allenfalls implizit mitgeliefert, man muss sie selbst schlussfolgern. Das ist schade. Kritisieren ist bekanntlich leichter, als darzulegen, wie es besser gehen würde.

Gasheizung und Dieselmotor

Das Defizit der deutschen Wirtschaft ist für Münchau nicht die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. Wenn das so wäre, schreibt er, liesse sich konkret dagegen vorgehen, mit Reformen und steuerlichen Erleichterungen, wie das der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder mit seiner Agenda 2010 erfolgreich vorgemacht hat. Das tatsächliche Dilemma liege in einem veralteten Angebotsportfolio oder, wie Münchau es nennt: «Wenn man (. . .) auf die Produktion von Gasheizungen und Dieselmotoren spezialisiert ist, dann sind nicht die Kosten das Problem, sondern die Produkte.»

Deutschland war ein Hauptprofiteur der Hyperglobalisierung, die Münchau im Zeitraum 1990 bis 2020 festmacht. In diesen drei Jahrzehnten habe Deutschland ein Geschäftsmodell entwickelt, das exzellent funktionierte, aber den Keim des Niedergangs bereits in sich trug. Leider waren die Akteure in den Unternehmen, der Politik und in den Gewerkschaften zur sehr vom Erfolg berauscht, um dies wahrhaben zu wollen.

Denn die Begleiterscheinung von Wachstum und Wohlstand war eine gnadenlose Abhängigkeit: von billigem Gas aus Russland, vom chinesischen Markt sowie von, wie wir heute wissen, einem volatilen Sicherheitsversprechen der USA.

Der Staat steht immer bereit

Die wesentlichen Fehlentscheidungen verortet Münchau in den 2010er Jahren, als die gigantischen Leistungsbilanzüberschüsse nicht dafür genutzt wurden, um in neue, zukunftsweisende Technologien zu investieren, sondern politisch überwiegend für Konsumzwecke aufgebraucht wurden, während die Unternehmen in der analogen Welt des 20. Jahrhunderts verhaftet blieben.

Münchau zitiert Topmanager von Siemens und Volkswagen, die sowohl die frühen Mobiltelefone als auch die Elektromobilität als lächerliches Spielzeug abtaten. Das Resultat dieser Ignoranz erlebe man heute: Die deutsche Wirtschaft habe auf praktisch allen zukunftsrelevanten Feldern technologisch den Anschluss verpasst.

Eine zentrale Ursache des Niedergangs erkennt Münchau im deutschen Korporatismus, der über Jahrzehnte als ein wesentlicher Erfolgsgarant der «Deutschland AG» galt. Im Schulterschluss von Unternehmen, Banken, Politik und Gewerkschaften wurde sichergestellt, dass die Geschäfte geräuschlos über die Bühne gingen. Und wenn einmal etwas schiefging, wie etwa 2002 bei der Insolvenz des Baukonzerns Holzmann AG, stand der Staat mit grossen Geldsummen bereit. Im Kern unrentable Geschäftsmodelle und die daran hängenden Arbeitsplätze wurden künstlich am Leben gehalten.

Global abgehängt

Deshalb, so Münchau, habe die deutsche Wirtschaft nie den Schritt hin zu echter Diversifizierung gemacht. Noch im Jahr 2021 sassen beim sogenannten Mobilitätsgipfel im Bundeskanzleramt ausschliesslich die Automobilhersteller am Tisch. Statt auf neue Pfade zu führen, hat der deutsche Korporatismus massgeblich dazu beigetragen, veraltete Strukturen immer weiter zu zementieren. Erst der russische Angriff auf die Ukraine brachte das Kartenhaus der Abhängigkeiten zum Einsturz und führte einer offenkundig überforderten Ampelregierung die Kehrseite des deutschen Geschäftsmodells vor Augen.

Friedrich Merz habe das Problem im Wahlkampf richtig analysiert, schreibt Münchau am Ende seines Buches. Doch sei davon im Regierungshandeln nichts angekommen. Statt auf Technologien setze die Bundesregierung zu einseitig auf die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit, was zwar das Sicherheitsdefizit verringere, das eigentliche Problem aber nicht antaste: den starren deutschen Korporatismus mit seinen zahllosen Abhängigkeiten, der echten technologischen Fortschritt unmöglich mache.

Nur vereinzelt finden sich Lichtblicke in Münchaus Geschichte des Niedergangs. Die grünen Technologien bieten nach wie vor Chancen, ist er überzeugt. Auch bei der Aufbereitung grosser Industriedatenmengen durch künstliche Intelligenz bestünde Potenzial. Doch laufe man auch hier Gefahr, aufgrund ausufernder Bürokratievorgaben global abgehängt zu werden – allen voran von den USA, die mit gezielter Industriepolitik die wenigen attraktiven deutschen Player über den Atlantik lockten.

Wolfgang Münchau: Kaputt. Das Ende des deutschen Wirtschaftswunders. Herder-Verlag, Freiburg im Breisgau 2025. 256 S., Fr. 34.90.

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