Freitag, April 18

Die Schweiz und andere «Freunde des Systems» stehen vor einem Dilemma: Wie wehrt man sich gegen Donald Trump, ohne selber die Spielregeln der WTO zu verletzen?

Was gibt es jetzt noch zu feiern? Das fragen sich Delegierte und Beobachter der Welthandelsorganisation in Genf kurz vor der Feier zum 30. Geburtstag der WTO diesen Donnerstag.

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Optimisten wiederholten das bekannte Mantra: Die WTO habe jahrzehntelang für steigenden Wohlstand und einmaliges Wachstum gesorgt, sagt ein Delegierter, der anonym bleiben will. Pessimisten hingegen bezeichneten die Feier als Beerdigung.

Nach Party jedenfalls ist niemandem zumute. Zu tief sitzt der Schock von Anfang April, als der amerikanische Präsident Donald Trump hohe Zölle verkündete. 10 Prozent sollten ab Mittwoch grundsätzlich gegen alle Staaten gelten. Höhere Zölle von 11 bis 49 Prozent sollten gegen 83 bestimmte Staaten gelten. Doch am Mittwochabend setzte Trump die höheren Zölle für 90 Tage aus – mit Ausnahme der Zölle gegen China.

Mit seinem rabiaten Vorgehen stellt Donald Trump praktisch alles infrage, wofür die Welthandelsorganisation steht. Die WTO will möglichst zollfreien Handel zwischen gleichberechtigten Staaten, gemeinsam ausgehandelt und im Konsens beschlossen in ihrem schmucken Gebäude am Genfersee. Trump hingegen wirkte im Rosengarten des Weissen Hauses mit seiner Schautafel, die Länder und Zölle auflistete, wie ein Burgerverkäufer, der seine Preise nach Gutdünken festlegen kann.

10 Prozent Zölle seien das neue Null

In Genf verglichen dieser Tage die Delegierten der 166 WTO-Staaten die Zölle gegen ihre Länder. Wie viel hast du bekommen? Ach, doch nur so wenig. Zehn sei das neue null, sagt der erwähnte Delegierte, nämlich der Standardtarif für alle Länder. Insbesondere weite Teile Süd- und Mittelamerikas kommen mit diesem Mindestzoll vergleichsweise gut weg.

Andere Länder hat es kalt erwischt, etwa die Schweiz: Mit 31 Prozent hatte kaum jemand gerechnet. «Es herrscht in der WTO eine gewisse Unruhe, was man tun soll und was nicht», sagt der Schweizer Botschafter Erwin Bollinger. «Wir müssen vermeiden, mit nicht WTO-konformen Gegenmassnahmen das System auszuhebeln und zu schwächen.»

Das ist das Dilemma: Wie soll man mit einem Akteur wie den USA umgehen, der sich nicht an die vereinbarten Spielregeln hält?

Wenn man selbst die Spielregeln bricht, fördert man die Zerstörung des Systems. Wenn man sich brav an sie hält, unterwirft man sich de facto den USA. Denn die WTO-Streitschlichtung ist seit Jahren gelähmt, weil Washington die Ernennung von Richtern für die Berufungsinstanz blockiert. Die USA werfen den Richtern Kompetenzüberschreitung vor, welche ihre Souveränität einschränke.

China kann anders antworten als die Schweiz

Die Antwort auf dieses Dilemma hängt von der eigenen Stärke ab. China kann den Konflikt auch dank seiner Marktgrösse eher eskalieren lassen: Zunächst antwortete Peking auf Washingtons Zölle von 34 Prozent mit ebenso hohen Zöllen. Als Donald Trump am Dienstag auf 104 Prozent erhöhte, zog China am Mittwoch auf 84 Prozent nach, dann erhöhte Trump wiederum auf 125 Prozent.

Kleineren Staaten hingegen bleibt kaum etwas anderes übrig, als auf die Einhaltung der Regeln zu pochen, Verhandlungen anzustreben und sich breiter aufzustellen. Liechtenstein etwa wolle «weitere Freihandelsabkommen abschliessen, um für unsere Firmen die Möglichkeit zu Diversifizierung zu schaffen», sagt der Delegierte Patrick Ritter.

Der Liechtensteiner beschäftigt sich derzeit verstärkt mit zwei Verhandlungen im Rahmen der Europäischen Freihandelsassoziation. Der Efta gehören neben Liechtenstein auch die Schweiz, Norwegen und Island an. Die seit Jahren laufenden Efta-Verhandlungen mit dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur sind auf der Zielgeraden, jene mit Malaysia gelten als fortgeschritten.

Singapur und die Schweiz sind «Systemfreunde»

Die Schweiz pocht zum Geburtstag der WTO zudem öffentlichkeitswirksam auf die Einhaltung der Regeln. Sie hat zusammen mit Singapur und den «Freunden des Systems», wie sich eine Ländergruppe kleinerer Volkswirtschaften nennt, eine Resolution erarbeitet. Der Text soll am Donnerstagabend zum Abschluss einer Konferenz in Genf präsentiert werden.

Das Papier, dessen Entwurf der NZZ vorliegt, betont zunächst die Errungenschaften der Organisation: Diese habe zum Beispiel Millionen Menschen aus der Armut befreit. Sodann bekräftigen die Unterzeichnerstaaten die «zentrale und unersetzliche Rolle der WTO im Herzen des regelbasierten, multilateralen Handelssystems».

Schliesslich fordern die Staaten von der WTO mit Nachdruck Reformen «all ihrer Funktionen». Zum Beispiel soll das Streitbeilegungsverfahren wieder voll funktional werden. Generell soll die Welthandelsorganisation «auf die Bedürfnisse ihrer unterschiedlichen Mitglieder eingehen». Am Mittwoch hatten knapp vierzig Staaten die Resolution unterschrieben, also fast ein Viertel der Mitglieder.

Doch die Initiative dürfte kaum etwas bringen. Seit Jahren bemühen sich die «Freunde des Systems» um Fortschritt, geschehen ist wenig. Mancher Delegierter beschwert sich darüber, dass neben den USA auch andere Staaten die WTO blockierten. Indien und Südafrika etwa würden den Konsenszwang nutzen, um mit Vetos in anderen, sachfremden Gebieten Vorteile zu erhalten.

Die WTO sieht den globalen Güterhandel schrumpfen

Die WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala versucht händeringend, ihren Laden zusammenzuhalten. Sie ist regelmässig in den USA und wird von befragten Delegierten als umtriebig wahrgenommen. Vergangene Woche bezifferte sie in einem Statement die Folgen der amerikanischen Zölle seit Jahresbeginn: Der globale Güterhandel könne dieses Jahr um 1 Prozent sinken. Vor den Zöllen waren manche Projektionen noch von einem Zuwachs von 3 Prozent ausgegangen.

In ihrem Statement äusserte Ngozi Okonjo-Iweala auch ihre Sorge wegen einer Eskalation zum «Zollkrieg». Am Mittwochabend legte die Generaldirektorin nach: Die Eskalation zwischen den USA und China könne den Warenhandel beider Staaten um bis zu 80 Prozent reduzieren. Eine Fragmentierung der Weltwirtschaft in zwei Blöcke könne das weltweite Bruttoinlandprodukt langfristig um 7 Prozent senken.

Vergangene Woche hatte Ngozi Okonjo-Iweala noch darauf hingewiesen, dass weiterhin 74 Prozent des Welthandels gemäss dem WTO-Prinzip der sogenannten Meistbegünstigung stattfinden. Dieses Prinzip besagt, dass ein Land Handelsvorteile, die es einem Partnerland gewährt, auch allen anderen Ländern gewähren muss.

Doch die amerikanischen Zölle machen sich auch bei dieser Zahl bereits bemerkbar: Anfang Jahr wurden noch rund 80 Prozent des Welthandels nach dem Prinzip der Meistbegünstigung abgewickelt. In nur drei Monaten verlor die WTO also 6 Prozentpunkte an Einfluss auf den Welthandel.

Dazu passt, was die WTO-Vertretung eines weiteren Landes hinter vorgehaltener Hand mitteilt: Wenn die Welthandelsorganisation jetzt nicht gegen Trumps regelwidrigen Zoll-Rundumschlag dagegenhalten könne, dann stelle das schon ihren Zweck infrage.

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