Sonntag, Oktober 6

Lange funktionierte sie nicht richtig, dann war Gott gegen die Kälte aus der Maschine. Bis heute misstrauen wir der Klimaanlage. Dabei gäbe es ohne sie weder Sommer-Blockbuster noch Wolkenkratzer. Über eine Erfindung, die das Gesicht der Welt veränderte.

Das Wunder wird dieses Mal an der Bachstrasse in Biberist vollbracht. Theo Studer stellt an einem Mittwochmorgen im Juli die Temperatur am Touchscreen an der Wand auf «amerikanische Kälte», wie er es nennt: 18 Grad, Ventilator auf volle Kraft. Einen Moment später summt es aus den Lüftungsschlitzen über der Küchenkombination. Eine kühle Brise strömt in den Raum.

Theo Studer hat die Klimaanlage eingeschaltet. Ein banaler Vorgang, zumal in einem Häuschen mit bloss fünfzig Quadratmetern Fläche auf zwei Etagen. Doch ein Blick in die Geschichte der Menschheit offenbart, wie schwer wir uns damit taten, Kälte zu erzeugen. Wärme war ein Kinderspiel. Feuer nutzen wir seit einigen hunderttausend Jahren. Bodenheizungen, bei denen heisse Luft durch Röhren zirkuliert, kannten schon die Römer.

Aber das Gegenteil einer Heizung – eine Vorrichtung, die der Umgebung Wärme entzieht – stellte uns vor ganz andere Probleme. Erst im 20. Jahrhundert lernten wir, diese Technik im grossen Massstab zu beherrschen. Und bis heute pflegen wir ein zwiespältiges Verhältnis zur Maschine, die Kälte herstellt: Manchmal bejubeln wir sie als eine der wichtigsten Erfindungen der Menschheit, dann wieder halten wir sie für den Ausdruck einer verweichlichten Gesellschaft, die jede kleine Unannehmlichkeit mit Technik aus dem Weg räumt.

Sicher ist: Die Möglichkeit, Temperaturen nicht nur nach oben, sondern auch nach unten zu regeln, hat unser Leben vom Alltag bis in die Geopolitik verändert. Ohne Klimatisierung gäbe es im Sommer weder Schokolade in den Läden noch Blockbuster in den Kinos. Und ohne Klimaanlage wäre Dubai Wüste und Singapur ein Tropennest. Der erste Premierminister von Singapur, Lee Kuan Yew, sagte 1999 in einem Interview: «Die Klimaanlage [. . .] veränderte das Wesen der Zivilisation, indem sie die Entwicklung in den Tropen ermöglichte.» Selbst bei der Wahl Ronald Reagans zum amerikanischen Präsidenten 1980 hat die Kompressionskältemaschine mitgespielt: Sie machte die Völkerwanderung von älteren und damit konservativeren Leuten in die Südstaaten der USA erst möglich, was den Erfolg von Reagan begünstigte.

Der Kaltdampfprozess – das physikalische Prinzip im Herzen von Kühlschränken, Tiefkühlern und Klimageräten – hat die Welt umgekrempelt. Die moderne Architektur, die moderne Unterhaltung, die modernen Essgewohnheiten, alle seien davon betroffen, schreibt Salvatore Basile in seinem Buch «Cool» über die Geschichte der Klimaanlage. Die Klimaanlage hat Leben gerettet und Leben zerstört.

Mit einer Klimaanlage kauft man sich sein eigenes Wetter

Das Gerät in Biberist wird niemanden umbringen und keinen politischen Umsturz befördern, aber es gehört zu den Vorboten einer neuen Zeit, die wohl auch in der Schweiz Einzug halten wird. Denn Studer hat nicht einfach ein Klimagerät erstanden, er hat sich für eine Wohnfläche, etwas grösser als ein Boxring, sein eigenes Wetter gekauft. Je mehr Kapriolen das natürliche Wetter macht, desto grösser wird das Verlangen nach der totalen Kontrolle des Raumklimas. Nach dem Dach über dem Kopf gegen den Regen, den Wänden gegen den Wind und der Feuerstelle gegen die Kälte bildet die Klimaanlage gegen die Hitze die Spitze der Bedürfnispyramide des Wohnkomforts.

Vor dem Siegeszug der Klimaanlage waren die Menschen auf die Kooperation der Natur angewiesen, wenn sie die Kälte suchten. Das Kühlmittel der Wahl war natürliches Eis. Es wurde im Winter aus gefrorenen Seen gesägt und in Eiskellern gelagert. Im Sommer gelangte es in isolierten Holzkisten auf Karren in die Städte. Das im Schweizer Lac de Joux geerntete Natureis etwa war besonders in Paris beliebt. Zu den grössten Abnehmern zählten Brauereien, deren Bier bei zu hohen Temperaturen verdarb.

Das Besondere an diesen Transporten war, dass man sich nicht für das Eis an sich interessierte, sondern nur für die Kälte, die in ihm steckte. Im Grunde wurde eine Art Energietrichter transportiert, in den die Wärme der Umgebung abfliessen konnte.

Wie lange man der technischen Herstellung von Kälte ratlos gegenüberstand, zeigt die Tatsache, dass noch im 19. Jahrhundert Eis aus den Seen Neuenglands an der Ostküste der USA bis nach Kalkutta exportiert wurde. Das «weisse Gold» kostete zuweilen das Zehnfache eines Steaks. Die industrielle Revolution hatte alle möglichen Wundermaschinen hervorgebracht, aber lange Zeit keine, die wirtschaftlich Eis produzieren konnte. Und wenn es einem Bastler mithilfe einer Dampfmaschine doch gelang, glaubte man ihm nicht oder hielt es für sündhaft, weil es gegen die Natur sei, «aus Dampf Eis herzustellen». Noch 1900 pendelten zwei Segelschiffe zwischen Norwegen und Deutschland, deren Fracht ausschliesslich Eis war.

Kälte für tote Enten, Truthähne – und Menschen

Lange Zeit kühlte das Eis Nahrungsmittel: Fisch, Fleisch, Bier. Doch als die Städte wuchsen und die sommerliche Hitze auch in der Nacht nicht aus ihren Strassenschluchten verschwand, fragte sich «Scientific American» 1892: «Wenn es sich lohnt, tote Enten und Truthähne auf der Greenwich Street kalt zu lagern, warum sollte es sich dann nicht lohnen, lebende Geschäftsmänner auf dem Broadway abzukühlen?»

Ein früher Versuch wurde nicht mit Geschäftsmännern, sondern mit Theaterbesuchern unternommen. Theater wurden damals in einer Zeitung als «riesige Kessel aus Ziegeln und Mörtel» beschrieben, in denen im Sommer die Zuschauer «brodeln».

Das versuchte das Madison Square Theater in New York 1880 zu ändern, indem die Luft auf dem Dach angesogen und dann im Keller durch eine Kammer mit Eisregalen gepresst wurde. Über mehr als einen Kilometer Rohre gelangte sie von dort in den Zuschauerraum. Obwohl die Kühlung tatsächlich einigermassen funktionierte, gab es wenig Nachahmer. Die Kosten für Installation und Betrieb waren enorm – in Inseraten rühmte sich das Theater damit, dass jede Vorstellung zwischen zwei und vier Tonnen Eis verbrauche. Daran wird bis heute die Leistungsfähigkeit von Klimaanlagen gemessen: Eine Tonne Kälte ist die Kühlleistung, die ein Eisblock von einer Tonne erbringt.

In Indien versuchte man die Hitze mit sogenannten Tattys erträglicher zu machen – nassen Matten, die man in den Fensterrahmen hängt. Das physikalische Prinzip dahinter hat auch die Evolution entdeckt und in unseren Körpern eingesetzt: Da heisst es schwitzen. Wenn Schweiss auf unserer Haut verdunstet, befreien sich Wasserteilchen aus ihrem Verband im Schweisstropfen und gelangen in die Luft. Die dazu nötige Energie wird der Haut entzogen, die sich deswegen abkühlt. Aus diesem Grund fühlt sich Wasser auf der Haut kalt an, selbst wenn man aus der Badewanne steigt.

Diese Verdunstungskühlung hat eine lange Tradition. In Ägypten und Persien nutzte man sie schon vor Tausenden von Jahren. Entweder indem Türme den Wind einfingen, der dann unterirdisch über eine Wasserfläche geleitet wurde, oder indem Sklaven die Luft über Wasserkrüge fächelten. Heute begegnet man dem Prinzip auf Sommerterrassen als Sprühnebelkühler oder in betrügerischen Internetinseraten, die einen glauben machen wollen, die Hersteller von Klimaanlagen hätten sich verschworen, um das geniale neue und «extrem günstige» Kühlgerät in der Anzeige zu verhindern. Dabei besteht dieses Gerät bloss aus einem Ventilator, der die warme Raumluft durch ein nasses Stück Pappe pustet.

Die Verdunstungskühlung ist nicht das Opfer einer Verschwörung geworden, sondern Opfer der Physik. Zwar kann ihr Einsatz durchaus sinnvoll sein, aber ihre Kühlleistung bleibt gering, und sie funktioniert nicht bei hoher Luftfeuchtigkeit. Die Luftfeuchtigkeit ist denn auch eines der grössten Probleme der Raumkühlung.

Warum ist feuchte Wärme schwerer zu ertragen als trockene?

Abhängig von der Temperatur kann Luft unterschiedlich viel Wasserdampf aufnehmen. Bei 30 Grad stecken in einem Kubikmeter Luft maximal eineinhalb Schnapsgläser Wasser. Mehr geht nicht. Man spricht dann von hundert Prozent Luftfeuchtigkeit oder gesättigter Luft. Unter diesen Bedingungen nützten weder nasse Matten noch Schwitzen, denn der Schweisstropfen auf der Haut kann nicht verdampfen: In der Luft ist kein Platz mehr für zusätzliche Wasserteilchen. Weil die Wärme der Haut aber erst beim Verdampfen entzogen wird, bleibt die kühlende Wirkung aus. Deshalb ist feuchte Wärme viel schwerer zu ertragen als trockene: Sie legt unser Kühlsystem lahm.

Wie man die kühlende Wirkung der Verdunstung (oder Verdampfung) unabhängig von der Luftfeuchtigkeit nutzen kann, hat man im 19. Jahrhundert herausgefunden. Der Trick war, die Flüssigkeit, die beim Verdampfen der Umgebung Wärme entzieht, in einem geschlossenen Kreislauf zu halten. Darin wird der Dampf wieder verflüssigt und gibt dabei die Wärme, die er zuvor aufgenommen hat, an die Umgebung ab. Wie wenn man den Dampf unseres Schweisses einfangen, verflüssigen und damit wieder die Haut benetzen würde.

Bei einer Klimaanlage funktioniert das so: Eine Flüssigkeit wird in einem Rohr verdampft, indem man sie mit hohem Druck durch ein Ventil presst – ähnlich wie bei einer Spraydose, nur eben in einem geschlossenen Rohr. Durch das Verdampfen kühlt das Rohr die Umgebung (meistens sind es mehrere Rohre, die man Wärmetauscher nennt). All dies geschieht in der Inneneinheit der Klimaanlage, dem hässlichen weissen Apparat, aus dem es in Hotelzimmern zieht. Von der Inneneinheit wandert der Dampf mit der dem Hotelzimmer entzogenen Wärme in einer Rohrleitung zur Ausseneinheit, einer nicht weniger hässlichen Kiste, die oft an der Fassade hängt. In der Ausseneinheit wird der Dampf nun so stark zusammengepresst, dass er sich verflüssigt. Dabei wird die Wärme, die er drinnen aufgenommen hat, wieder frei und an die Umgebung abgegeben. Dann fliesst die Flüssigkeit zurück zur Inneneinheit, wo beim Ventil der Kühlkreislauf von vorne beginnt. Damit die Rohre die Wärme möglichst schnell mit der Luft tauschen können, gibt es sowohl in der Innen- wie in der Ausseneinheit einen Ventilator, der die Umgebungsluft an ihnen vorbeibläst.

Der hohe Energiebedarf von Klimaanlagen rührt vom Zusammenpressen des Dampfes her, bei dem dieser stark verdichtet wird. Das geschah in den Anfängen auch mithilfe von Dampfmaschinen – auf diese Weise kann man mit einer Dampfmaschine tatsächlich kühlen –, heute bewerkstelligen das Elektromotoren.

Anders als der Körper nutzen Klimaanlagen nicht Wasser als Kältemittel. In ihrem Rohrsystem zirkulieren meistens Stoffe, die leichter verdampfen: bei den ersten Kompressionskältemaschinen im 19. Jahrhundert zum Beispiel Äther, Ammoniak oder Schwefeldioxid. In der Klimaanlage in Biberist transportieren etwa zweieinhalb Liter des synthetischen Kältemittels R32 die Wärme aus der Wohnung.

Gott ist gegen Klimaanlagen

Am Anfang wurde die künstliche Kälte nicht verwendet, um für den Menschen eine angenehme Atmosphäre zu schaffen, sondern vor allem, um Eis herzustellen, das wiederum Nahrungsmittel kühlte. Es herrschte die unausgesprochene Übereinkunft, «dass Gott das heisse Wetter geschaffen hat und man es ertragen muss», schreibt Salvatore Basile in seiner Geschichte der Klimaanlage. Schon der Ventilator pfusche der Schöpfung ins Handwerk, heisse es in der Bibel doch: «Er ist es, der die Berge gebildet und den Wind geschaffen hat [. . .]: der Herr, Gott der Heerscharen, ist sein Name.» (Amos 4,13.)

Die prägende Eigenschaft des viktorianischen Zeitalters war die Selbstbeherrschung, und dazu habe auch die Fähigkeit gehört, «wetterbedingte Unannehmlichkeiten zu ignorieren oder zumindest den Anschein zu erwecken, sie zu ignorieren». Selbst im Sommer trugen Frauen ein Korsett, mehrere Petticoats, lange Ärmel und einen Hut. Die Männer gingen nicht ohne Gehrock aus dunkler Wolle, eine Weste und Handschuhe aus dem Haus. «Schwitzen wurde als Lebensweise akzeptiert; die Idee der Komfortkühlung war nicht existent», schreibt Basile.

Andererseits waren die negativen Auswirkungen der Sommerhitze offensichtlich. Der Dachgarten des Victoria-Theaters in New York versuchte mit einer List tiefere Temperaturen vorzutäuschen: Sein Aufzug wurde selbst im August bis zur Unerträglichkeit beheizt, so dass die Gäste das Dach als kühl empfanden, wenn sie ausstiegen. Doch der billige Trick schaffte das Übel nicht aus der Welt: In vielen Städten wurde es im Sommer unerträglich heiss.

Die Theater schlossen. Wer konnte, flüchtete aufs Land. Wer bleiben musste, versuchte etwa in New York mit der Wahl eines Schlafplatzes auf dem Dach wenigstens nachts ein bisschen Erholung zu finden. Am nächsten Tag konnte man in den Zeitungen von Menschen lesen, die dabei zu Tode gestürzt waren.

Das erste Gerät kühlte nicht Menschen sondern Papier

Trotzdem hatte die erste moderne Klimaanlage nicht etwa das Wohlbefinden der Menschen zum Ziel, sondern jenes von Druckerpapier. Anfang des letzten Jahrhunderts wandte sich die Druckerei Sackett & Wilhelms in Brooklyn mit einem Problem an Buffalo Forge, einen Hersteller von Ventilatoren und Heizungen: Wechselndes Wetter wirkte sich negativ auf die Druckqualität aus.

Das Prinzip der Kühlung mittels Verdampfen und Kondensieren von Kältemitteln war damals schon bekannt. Der gerade einmal 26-jährige Ingenieur Willis Carrier entwickelte auf dieser Basis ein Gerät, das sowohl die Temperatur als auch die Luftfeuchtigkeit kontrollierte.

Obwohl Carrier nicht der Erste war, der mit einer Klimaanlage kühlte, und er auch nicht den im Englischen üblichen Begriff «air conditioning» (A/C) erfunden hat, gilt er als Vater der Klimaanlage. Sein Verdienst war es, dass er mit systematischen Versuchen die Grundlagen zur Planung von Klimaanlagen aufstellte und erkannte, wie sich neben der Temperatur auch die Luftfeuchtigkeit regeln liess. Das von ihm 1915 gegründete Unternehmen Carrier ist immer noch international tätig.

Mit Blick auf die neuen Kältemaschinen verkündete die «New York Times» schon 1881: «Künftigen Generationen wird das Aushalten der übermässigen Sommerhitze durch die Bewohner der grossen Städte ebenso unvernünftig erscheinen wie das Überleben im Winter ohne Feuer.» Doch die ersten Klimaanlagen waren gross, teuer, fehleranfällig und wegen der giftigen oder explosiven Kältemittel gefährlich.

Mit dem knisternden Feuer war die Menschheit seit Tausenden von Jahren vertraut, doch dem brummenden Gerät, das mit seinen Röhren und Ventilatoren Kälte produzierte, traute man nicht. Es dauerte lange, bis es in Büros, Warenhäusern und Wohnzimmern zum Einsatz kam. Viele Menschen stehen dem Wetter aus der Maschine auch heute noch skeptisch gegenüber.

Erst mit dem Kino kam die breite Masse in Kontakt mit der künstlichen Kälte. Nickelodeons, wie die Filmtheater hiessen, waren berüchtigt für ihre schlechte Luft. Selbst im Winter konnte es in den vollbesetzten Sälen mit dem heissen Projektor unangenehm warm werden. Im Sommer mussten die Kinos pausieren, was schlecht fürs Geschäft war.

Im Kino konnten sich erstmals alle Kälte kaufen

1917 nahm das Central Park Theater in Chicago seine Klimaanlage in Betrieb. Von nun an hingen in der Zeitungswerbung am Schriftzug des Kinos Eiszapfen. Andere Kinos folgten. Es war nicht ungewöhnlich, dass nicht der Film im Zentrum der Anzeige stand, sondern das Versprechen «400-Tonnen-Kühlanlage, immer 21 Grad». Die Investition zahlte sich aus. Salvatore Basile sieht darin einen selten gewürdigten Meilenstein der Menschheitsgeschichte: «Zum ersten Mal [. . .] gab es [. . .] für überhitzte Menschen, unabhängig von ihrer Klasse oder ihrem Einkommen, einen Zufluchtsort, der leicht erschwinglich und verlässlich kühl war.»

Auch in der Schweiz machte die breite Masse ihre ersten Erfahrungen mit der Komfortkühlung im Kino. Im Sommer 1935 nahm das Kino Urban in Zürich eine Klimaanlage «nach dem bekannten System Carrier» in Betrieb, wie die «Schweizerische Bauzeitung» berichtete. Es folgten Warenhäuser und Schalterhallen. In den 1970er Jahren waren die Bahnwagen der SBB an der Reihe, später Büros und Autos. Der sanfte Schweizer Nachvollzug der amerikanischen Klimatechnik erfolgte jeweils mit einer Verzögerung von einigen Jahrzehnten.

Einzig bei den Heimgeräten sind wir noch standhaft. Das erste Wohnhaus in den USA wurde bereits 1913 gekühlt. Es dauerte dann noch fünfzig Jahre, bis die Technik für die Massen erschwinglich wurde. Heute sind nur noch zehn Prozent der amerikanischen Haushalte nicht klimatisiert.

Doch in der Schweiz bleiben Geräte wie jenes im Häuschen an der Bachstrasse die Ausnahme. Es wurde von der Firma CTA in Münsingen bei Bern installiert, wo Claudio Müller den Geschäftsbereich Klima, Kälte und Grosswärmepumpen leitet. Seit er als Jugendlicher eine Schnupperlehre bei einer Firma für Kälteanlagen gemacht hat, war für ihn klar, dass er die Kälte zu seinem Beruf machen würde.

Müller wurde Kältemonteur, machte Weiterbildungen und freut sich heute auf den Sommer, «weil man dann wieder kühlen kann». Wenn in einem Actionfilm ein Helikopter über Wolkenkratzer jagt, gehört seine Aufmerksamkeit den Rückkühltürmen auf den Flachdächern. In den Ferien streift er gerne durch schmuddelige Hinterhöfe, wo die Ausseneinheiten der Klimaanlagen hängen. «Meine Frau schämt sich manchmal für mich.»

Entweder waren die Geräte zu laut oder es war zu warm

Selber installierte Müller lange Zeit kaum Klimaanlagen bei Privaten. Nicht nur, weil die Geräte «selten schön waren», wie Müller sagt, und die Anschaffung deshalb einen «gewissen Leidensdruck» erforderte, sondern auch, weil es das Klima in der Schweiz nicht erforderte. «Damals galt noch: Die Schweiz ist maximal 32 Grad warm – ausser in Basel, da sind es 33 Grad.» Heute seien es «locker 37 Grad oder mehr hinter einem Haus».

Früher kannte Müller Klimaanlagen in Schlafzimmern bloss aus Hotels im Ausland. «Die machten einen fürchterlichen Lärm», erinnert er sich, «entweder waren sie zu laut, oder es war zu warm, das waren die Alternativen.» Doch heute sei die Klimaerwärmung in der Schweiz angekommen und mit ihr die Klimaanlage.

Anders als bei Wärmepumpen, deren Anzahl statistisch erfasst wird, gibt es bei den Klimaanlagen aber keine genauen Zahlen. Eine brancheninterne Erhebung sei erfolglos geblieben, sagt Müller. Das ist vor allem deshalb seltsam, weil eine Klimaanlage nichts anderes ist als eine Wärmepumpe, bei der Aussen- und Inneneinheit vertauscht werden: Bei der Klimaanlage nimmt das verdampfte Kühlmittel die Wärme des Innenraums auf und transportiert sie nach aussen, bei einer Wärmepumpe verdampft das Kühlmittel in der Ausseneinheit und gibt die gespeicherte Wärme ab, wenn es in der Inneneinheit unter Druck wieder verflüssigt wird. Häufig können Klimaanlagen beides – so auch das Gerät in Biberist. Je nachdem, wie man es betrachtet, ist es eine Klimaanlage, die auch heizen kann, oder eine Wärmepumpe, die auch kühlen kann.

Aufgrund von Absatzdaten und Stichproben wird der Anteil Schweizer Haushalte mit einer Klimaanlage auf etwa fünf Prozent geschätzt, doch die Nachfrage steigt mit jedem Hitzetag. Öffentlicher Verkehr und Autos sind mittlerweile fast komplett gekühlt. In Altersheimen, Spitälern, Büros, Restaurants, Kinos und Schalterhallen sind es laut dem Bericht Energieperspektiven 2050+ des Bundes bereits über vierzig Prozent der Flächen. Werden in der Schweiz bald amerikanische Verhältnisse herrschen, wo man selbst im Hochsommer immer mit Strickjacke unterwegs ist, weil Innenräume so stark gekühlt werden? Müller glaubt nicht, dass es so weit kommen wird. «Dazu sind wir hier zu energiebewusst.» Überdies sind fest eingebaute Klimaanlagen in der Schweiz bewilligungspflichtig.

Für mobile Geräte braucht es in der Schweiz keine Bewilligung

Die Behörden wollen sichergehen, dass die Anlagen richtig eingesetzt werden und der Antragsteller zuvor alle anderen Möglichkeiten wie Sonnenschutz und Isolation ausgeschöpft hat. Da die Bewilligungen pro Aggregat vergeben werden, unabhängig davon, ob es eine einzelne Wohnung oder ein Hochhaus kühlt, lässt sich daraus nicht die Anzahl klimatisierter Haushalte ablesen. Während einer Hitzewelle kaufen sich viele Leute auch einfach ein mobiles Gerät, das zwar ineffizient ist, aber ohne Bewilligung betrieben werden darf.

In der Schweiz mit ihrem gemässigten Klima und den kleinen Städten geht gerne vergessen, dass die Klimaanlage die moderne Grossstadt erst möglich gemacht hat. Zusammen mit dem Aufzug und dem Auto gehört sie zu den drei Erfindungen, ohne die keine Metropole von Los Angeles bis Jakarta denkbar ist.

Zuvor hatte jede Gegend eine an ihre Klimazone angepasste Architektur. «Das sieht man gut in Griechenland», sagt Matthias Sulzer, der am Urban Energy Systems Lab der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt (Empa) in Dübendorf forscht. Farbe und Anordnung der traditionellen Häuser sind im Hinblick auf die Sonneneinstrahlung gewählt. «Dort haben sie mit der Sonne gebaut», sagt Sulzer, der sich damit auskennt, wie man Häuser und Gebäudetechnik in Einklang mit lokalen Gegebenheiten bringt: Er war für die Gebäudetechnik der Monte-Rosa-Hütte zuständig, die im Wallis auf fast 2900 Metern Höhe ohne Strom und Wasseranschluss gebaut wurde.

In Marokko haben die traditionellen Riads schattige Innenhöfe, in Indien kühlen die gitterartigen Jalis-Fenster die Luft. Doch die Klimaanlage hat die Architekten von der Pflicht befreit, die lokalen Verhältnisse zu berücksichtigen. «In den 1960er und 1970er Jahren begann man, das Gebäude als Maschine zu sehen», sagt Sulzer, «alles geht, es ist nur eine Frage der Technik.»

Die modernen Hochhäuser sind Raumschiffe mit eigenem Lebenserhaltungssystem, die unabhängig von den äusseren Lebensbedingungen überall auf der Welt landen können. Die Haustechnik stellt das Wetter her und macht die traditionelle Architektur obsolet – und mit ihr Bräuche wie die Siesta oder das späte Abendessen. Die Klimaanlage wurde zur Komplizin einer globalen Einheitsarchitektur aus Stahl, Glas und Beton. Es ist ihr Verdienst – oder ihr Verschulden –, dass man heute genau hinschauen muss, um die Finanzzentren von Mumbai, Frankfurt und Taipeh zu unterscheiden.

Grossstadt im Dschungel? Die Klimaanlage macht es möglich.

Früher sind Siedlungen an topografisch günstigen Orten entstanden: an Flüssen, in Buchten oder auf Inseln. Heute kann ein Herrscher den Bau einer Stadt befehlen, indem er auf einen beliebigen Fleck der Landkarte zeigt. Die Klimaanlage ermöglicht es.

Der langjährige Präsident von Côte d’Ivoire, Félix Houphouët-Boigny, etwa machte sein Heimatdorf Yamoussoukro 1983 zur Hauptstadt und liess mitten im Dschungel die Basilika Notre-Dame-de-la-Paix bauen, eine dem Petersdom in Rom nachempfundene Kirche. Hatte man Anfang des 20. Jahrhunderts noch Hemmungen, ihm, «der die Berge gebildet und den Wind geschaffen hat» (Amos 4,13), ins Wetter zu pfuschen, hielt man sich nun eher an das 1. Buch Mose, Kapitel 1, Vers 28: «. . . füllet die Erde und machet sie euch untertan . . .» Die Lüftungsschlitze der Klimaanlage wurden in die Rückenlehnen der 7000 Sitzplätze aus Kotibe-Holz gefräst.

Ob solch dekadentem Gigantismus geht leicht vergessen, wie viele Leben die oft verachteten Klimaanlagen retten. Die Temperaturtoleranz eines Menschenkörpers ist gering. Bei grosser Hitze verlieren wir nicht nur die Fähigkeit zu arbeiten und zu denken, sondern manchmal auch jene zu leben. Vor allem alte und kranke Menschen sterben während Hitzewellen häufiger. In den USA kommen bei hohen Temperaturen mehr Menschen um als bei Überschwemmungen, Tornados und Hurrikans zusammen. Und auch in der Schweiz bedeuten Hitzewellen eine grössere Gefahr für Leib und Leben als Überschwemmungen und Erdrutsche.

Die Linderung, die Kühlung verschaffen kann, ist bemerkenswert. Eine Studie von 2023 kommt zu dem Schluss, dass der zunehmende Einsatz von Klimaanlagen in Spanien zwischen 1980 und 2018 die Zahl der durch Hitze verursachten Todesfälle um einen Drittel gesenkt hat. Ein Medikament mit einer solchen Wirksamkeit würde sofort grossflächig verteilt.

Doch der Triumph über die Natur hat seinen Preis. Am Anfang hat der hohe Strombedarf der Kühlanlagen niemanden gekümmert. Die Energie war einfach da. Doch als in den USA Sportstadien, Zoos und jedes Einfamilienhaus in der Agglomeration gekühlt wurden, konnte das Stromnetz nicht mithalten. In den Sommermonaten der 1960er Jahre kam es zu spektakulären Stromausfällen, die auf die Klimaanlagen zurückzuführen waren. Heute fällt der Strom in Rom, Lagos oder Mumbai wegen Belastungsspitzen aus, wenn es heiss ist. Schon im Jahr 2018 verbrauchten die Klimaanlagen weltweit zweieinhalbmal so viel Strom wie ganz Afrika.

Der Wohlstand treibt die Verbreitung der Klimaanlage

Die Klimaanlage in Biberist ist eine von zwei Milliarden, die laut der International Energy Agency (IEA) zurzeit weltweit in Betrieb sind. Gegenwärtig verfügt aber nur ein Drittel der acht Milliarden Erdbewohner aus Klimazonen mit hohem Kühlbedarf über eine Klimaanlage. Um zu verstehen, was das bedeutet, muss man nicht vom Fach sein: Sobald diese Leute die Mittel haben, werden sie sich eine Klimaanlage anschaffen. Dass die Nachfrage mit der Temperatur steigt, zeigte eine Studie aus China: Jeder Tag über 30 Grad führte zu einer Steigerung der wöchentlichen Verkäufe von Klimaanlagen um sechzehn Prozent. Im Jahr 2050 soll es gemäss der IEA fünf Milliarden Klimaanlagen geben. Dieses Wachstum werde an vielen Orten vor allem vom zunehmenden Wohlstand getrieben und nicht von der Klimaerwärmung.

Um den Strombedarf zu veranschaulichen, hat eine Studie aus dem Jahr 2009 eine originelle Frage gestellt: Wie viel Energie würde benötigt, um allein Mumbai vergleichbar mit amerikanischen Städten zu kühlen? Antwort: ein Viertel des damaligen Kühlbedarfs der ganzen USA. Und Mumbai ist bloss einer der fünfzig grössten Ballungsräume der Welt, von denen sich die meisten in warmen oder heissen Klimazonen befinden.

Nach Schätzungen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen wird sich die Kapazität von Kühlanlagen bis 2050 weltweit verdreifachen, was zu einer Verdoppelung des Stromverbrauchs führt. Dann würden mehr als zehn Prozent der Treibhausgasemissionen auf das Konto der Kühlung gehen. Ironischerweise treiben ausgerechnet die zur Kühlung nötigen Apparate die Erwärmung der Atmosphäre voran. Auf diese Weise erweitert die Klimaanlage ihr Habitat gleich selbst.

Die grössten Hersteller sind alle im asiatischen Raum ansässig, wo sich auch die grössten Absatzmärkte befinden. Siebzig Prozent aller Klimaanlagen kommen aus China, wo auch vierzig Prozent aller Klimaanlagen verkauft werden.

Das schmutzige Geheimnis der sauberen Kältemittel

Die schädlichen Treibhausgase stammen nicht nur von der Stromerzeugung, sondern auch von den Kältemitteln, die in den Rohrsystemen der Klimaanlagen zirkulieren und immer wieder in die Umwelt gelangen. Um von den giftigen und explosiven Kältemitteln aus der Anfangszeit wegzukommen, setzte man schon in den 1930er Jahren synthetische Verbindungen mit makellosem Ruf ein, zum Beispiel Freon-12: Es ist ungiftig, stabil, nicht brennbar und eignet sich für die Druckverhältnisse in einer Klimaanlage. Fünfzig Jahre später stellte sich heraus, dass auch Freon-12 und verwandte Kältemittel ein schmutziges Geheimnis haben: Sie zerstören die Ozonschicht, die das Leben auf der Erde vor ultravioletter Strahlung schützt. Und auch die Ersatzprodukte waren nicht unbescholten: Sie lassen zwar die Ozonschicht in Ruhe, treiben aber die Klimaerwärmung voran. Heute landet man für gewisse Anlagen wieder dort, wo man vor 120 Jahren begonnen hat: bei Ammoniak, Kohlendioxid oder Propan.

Als wäre der Ruf der Klimaanlagen nicht schon angeschlagen genug, bemerkte man in den 1970er Jahren auch noch, dass die totale Isolation von der Aussenwelt in klimatisierten Gebäuden vielen Menschen unangenehm ist. Weil die Luftqualität wegen Designfehlern oder schlechter Wartung objektiv schlecht ist oder weil dem einzelnen Mitarbeiter jegliche Kontrolle über seine Umgebung genommen wird: Er darf nicht einmal mehr ein Fenster öffnen, wenn ihm danach ist.

Nach dem Bezug des Neubaus der Pädagogischen Hochschule Zürich an der Europaallee im Jahr 2012 war es unter Dozentinnen üblich, einander Vierkantschlüssel zum Geburtstag zu schenken, mit denen sich die Fenster trotzdem öffnen liessen. Für diesen klimatisch bedingten Akt des zivilen Ungehorsams gab es gute Gründe: Einmal fiel ein Student während einer Gesangsstunde in Ohnmacht. Solche aufgrund des Raumklimas auftretenden Symptome und Krankheiten werden unter dem Namen Sick-Building-Syndrom zusammengefasst.

Der Wunsch nach Kontrolle sei auch der Grund, weshalb eine der übelsten Klimaanlagen gleichzeitig eine der beliebtesten sei, sagt Matthias Sulzer von der Empa: die Klimaanlage im Auto. «Sie bläst einem ins Gesicht, sie ist laut und unangenehm. Im Büro würde das nie akzeptiert. Aber dass ich alles selber einstellen und auch das Fenster herunterkurbeln kann, ändert meine Sichtweise.»

Nixon oder Kennedy: Wer hat die Macht über die Klimaanlage?

Wie unterschiedlich das Raumklima empfunden wird, wissen alle, die nicht in einem Einzelbüro arbeiten, auch Claudio Müller, der bei der CTA bis vor kurzem mit einem Kollegen im Büro sass. «Ich war ständig am Kühlen, er trug ein Halstuch und baute einen Kartonschild vor die Lüftungsklappe.» Der Streit um die richtige Temperatur nahm beim Wahlkampf um die amerikanische Präsidentschaft 1960 epische Ausmasse an. In der ersten Fernsehdebatte wirkte John F. Kennedy angenehm entspannt, während sich Nixon immer wieder den Schweiss von der Stirn wischte. Eine Woche später trafen sich die beiden Politiker zur zweiten Debatte, da war es im Studio 18 Grad kalt. Als sich ein Mitarbeiter Kennedys auf die Suche nach dem Grund für die tiefe Temperatur machte, stiess er im Keller auf einen Mitarbeiter Nixons, der den heruntergeregelten Thermostat bewachte.

Doch die Auseinandersetzung um die richtige Temperatur muss nicht mit dem Kampf um die Fernbedienung enden. Die Zukunft des Raumklimas liegt wohl in seiner Vergangenheit: einer an die lokalen Gegebenheiten angepassten Gestaltung, bei der es nicht vor allem um die visuelle Botschaft des Architekten geht, sondern um die Energiebilanz des Gebäudes und das Wohlbefinden seiner Bewohner.

Wie spektakulär selbst dieses Vorhaben scheitern kann, zeigen die Olympischen Spiele in Paris. Das olympische Dorf wurde nach ökologischen Grundsätzen gebaut, damit sich die Zimmer nicht aufheizen. Die Fassaden sind isoliert und weisen von der Sonne weg. In den Böden führt Grundwasser in Kühlschlangen die Wärme ab. Doch die Delegationen vieler Länder trauten der Sache nicht. Die Chefin des Amerikanischen Olympischen und Paralympischen Komitees, Sarah Hirshland, sagte, sie habe «grossen Respekt» für die Nachhaltigkeitsziele der Organisatoren. – Dann kündigte sie an, für ihre Athleten eigene Klimaanlagen installieren zu lassen.

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