Dienstag, November 26

Die Weltgesundheitsorganisation hat im Juni die internationalen Gesundheitsvorschriften geändert, um besser gegen Pandemien gerüstet zu sein. Der Bundesrat prüft, ob die Schweiz das Abkommen übernehmen soll. Viel Zeit kann er sich dabei nicht lassen.

Eine gute Krise soll man niemals ungenutzt verstreichen lassen. Das wusste nicht nur Winston Churchill, dem die Aussage zugeschrieben wird. Das wissen auch heutige Politiker, Diplomaten und Uno-Spitzenkräfte wie der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus. Gleich zu Beginn der Corona-Zeit machte sich die WHO daran, neue globale Regulierungen für den Umgang mit gesundheitlichen Notlagen aufzugleisen. Während Sinn und Unsinn der Corona-Politik vielerorts noch nicht einmal ansatzweise aufgearbeitet worden sind und die präzedenzlosen Freiheitsbeschränkungen und der Impfdruck bis heute in der Gesellschaft nachwirken, arbeitet man in den internationalen Zirkeln ungerührt auf neue Pandemie-Abkommen hin.

Und das mit Erfolg. So konnte der WHO-Generaldirektor kürzlich ein «historisches Ereignis» verkünden: Anfang Juni hiess die Weltgesundheitsversammlung in Genf die Revision der internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) gut. Unter den über 190 beteiligten Ländern befindet sich auch die Schweiz.

Im Windschatten des Pandemiepakts

Die Revision der internationalen Gesundheitsvorschriften lief lange im Windschatten des umstrittenen WHO-Pandemiepakts, an dem parallel gearbeitet wurde und der fast die ganze Aufmerksamkeit und die kritischen Blicke auf sich zog. Beim Pandemiepakt konnten die WHO-Mitgliedstaaten bzw. die delegierten Diplomaten noch keine Einigung erzielen, aus der angekündigten Unterzeichnung diesen Frühling wurde nichts. Doch es wird entschlossen weiterverhandelt: Ziel der WHO ist es, den Pandemiepakt spätestens 2025 zu verabschieden.

Die Änderungen der internationalen Gesundheitsvorschriften dagegen, die viel weniger öffentliche Beachtung fanden als der Pakt, wurden in einer Plenarsitzung «im Konsens» verabschiedet, wie die WHO mitteilte. Eine Abstimmung fand nicht statt.

Die IGV sind kein neues Regelwerk, es gibt sie schon seit längerem. Sie enthalten Vorschriften über die internationale Zusammenarbeit bei Gesundheitskrisen. Hauptziel ist es, die weltweite Verbreitung von Infektionskrankheiten zu verhindern. Laut den IGV darf die WHO beziehungsweise ihr Generaldirektor einen Gesundheitsnotstand ausrufen und Empfehlungen abgeben, wie die Länder vorgehen und welche Massnahmen sie ergreifen sollen.

Das Schweizer Epidemiengesetz verweist ausdrücklich auf die IGV. So gilt in der Schweiz die «besondere Lage», wenn «die Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgestellt hat, dass eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite besteht und durch diese in der Schweiz eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit droht». In diesem Fall kann der Bundesrat Massnahmen gegenüber der Bevölkerung erlassen oder Impfungen für obligatorisch erklären.

Gegen verbindliche Empfehlungen

Es sind zahlreiche Änderungen, welche die WHO an den IGV vorgenommen hat. So wird eine neue zusätzliche Warnstufe für Pandemien eingeführt, die WHO will die Staaten bei Krankheitsausbrüchen stärker unterstützen, etwa mit Expertenteams, die Mitgliedsländer sollen enger mit der WHO und untereinander zusammenarbeiten, es geht um die Verteilung von Gesundheitsprodukten, um digitale Gesundheitsnachweise, um Überwachungen, um die Nutzung von Finanzmitteln und vieles mehr.

Jedes Land muss eigens eine IGV-Behörde schaffen, welche die Implementierung der internationalen Regeln sicherstellt. Zudem verpflichten sich die Staaten, gegen «falsche» oder «irreführende» Informationen in Krisenlagen vorzugehen. Wenn man an die Corona-Zeit zurückdenkt, als sich vermeintliche wissenschaftliche Gewissheiten und staatliche Verlautbarungen später als falsch herausstellten, erkennt man die Problematik der vorgesehenen «Fake News»-Bekämpfung.

Es erstaunt nicht, dass die IGV-Änderungen in staatskritischen Kreisen auf Vorbehalte stossen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die WHO die Gunst der Stunde nutze, um ihre Macht und ihre Kompetenzen auszubauen. Gleichzeitig wirkt die Kritik an den IGV in mancher Hinsicht stark übertrieben. Dass das geänderte Regelwerk zu weltweiten Lockdowns oder zu einem Impfzwang führen wird, wie mitunter behauptet wird, findet keine Grundlage im Abkommenstext.

Allerdings gab es während der Beratungen tatsächlich Bestrebungen, in diese Richtung zu gehen. So stand ursprünglich zur Debatte, die Empfehlungen des WHO-Generaldirektors für die Bekämpfung einer Gesundheitskrise künftig für verbindlich zu erklären. Diese Vorschrift hätte einen massiven Eingriff in die nationale Souveränität dargestellt und eine eigenständige Krisenpolitik der Länder behindert. Der umstrittene Vorschlag fiel am Ende durch, auch die Schweiz hat sich laut dem Bundesrat dagegen ausgesprochen. Am nicht verpflichtenden Charakter der WHO-Empfehlungen soll sich also nichts ändern.

Die Frist läuft bis zum 19. Juli 2025

Im eidgenössischen Parlament schlägt dem Reformeifer der WHO eine gewisse Skepsis entgegen. Beide Räte haben eine Motion der SVP-Fraktion angenommen, die verlangt, dass der Bundesrat allfällige WHO-Abkommen nicht alleine abschliessen darf, sondern zwingend dem Parlament vorlegen muss. Ob der Bundesrat dies tun wird, ist offen. Man werde bis im Herbst 2024 analysieren, ob die Anpassungen der IGV dem Parlament vorgelegt werden müssten oder nicht, heisst es vonseiten der Landesregierung.

Der neue Abkommenstext wird zurzeit durch Experten geprüft, um die genauen Auswirkungen für Bund und Kantone zu analysieren. Für Aussenstehende ist es schwierig, sich ein Bild davon zu machen, welche Verpflichtungen neu auf die Schweiz zukommen könnten. Auf eine parlamentarische Anfrage hielt der Bundesrat fest, dass er sich bis Anfang November zu den weiteren Schritten äussern werde, inklusive zur Frage, ob er eine Vernehmlassung eröffnen wolle. Bis jetzt hat man noch nichts gehört.

Allzu viel Zeit bleibt nicht. Denn das Abkommen über die IGV hält explizit fest, dass die beschlossenen Änderungen zwölf Monate nach der Notifikation des Generaldirektors in Kraft treten. Die Notifikation erfolgte am 19. September 2024, was bedeutet, dass die IGV ein Jahr später für die Mitgliedsländer Geltung erlangen. Die Staaten haben allerdings die Möglichkeit, der WHO innert zehn Monaten seit der Notifikation mitzuteilen, dass sie alle oder gewisse Änderungen ablehnen oder Vorbehalte anbringen. Sie können ihr auch mitteilen, dass sie länger Zeit brauchen, um die Vorlage innerstaatlich zu prüfen und zu behandeln. Die Frist von zehn Monaten gilt absolut: Meldet sich die Schweiz bis zum 19. Juli 2025 bei der WHO nicht zu Wort, dann untersteht sie den neuen internationalen Gesundheitsvorschriften.

Exit mobile version