Mittwoch, Oktober 2

In Paris beschwörten Designerinnen und Designer reihenweise Leichtes und Luftiges herauf. Funktioniert das?

Kann man erdrückt werden von Leichtigkeit? Fast ertrinken in Fluten von Volants und Rüschen? «Bien sûr!», war die Antwort an der Paris Fashion Week, die am Dienstagabend (1. Oktober 2024) zu Ende ging. Grosse Luxushäuser und unabhängige Designer zeigten dort auf neun Tage verteilt ihre Kollektionen für die Frühjahr- und Sommersaison 2025. 105 Schauen und Präsentationen standen auf dem offiziellen Programm, inoffiziell waren es weit mehr. Sie fanden in Kathedralen, in Parkhäusern, in riesigen Eventhallen oder in engen Wohnungen statt.

First Lady Brigitte Macron besuchte mindestens drei davon. Kylie Jenner war zuerst Gast (bei Schiaparelli) und dann Model (bei Coperni). Auch ältere Männer kamen zum Zug: Bei Balenciaga sass der Schauspieler Kyle Maclachlan im Publikum und bei Miu Miu schloss sein Berufskollege Willem Dafoe als letztes Model die Show. In Videos davon sieht man amüsiert geöffnete Münder und blitzschnell gezückte Handys.

Stürmische Volants bei Chloé

Aber zurück zu den Rüschen. Deren grösste Verbündete ist derzeit Chemena Kamali, die neue Designerin bei Chloé. Nun in ihrer zweiten Saison, treibt sie ihre Interpretation der sechziger und siebziger Jahre – einer Blütezeit des Pariser Modehauses – munter fort. Slipkleider waren mit Spitze dekoriert, Strickjacken waren mit Volants versehen, und lange Kleider – vorne kürzer geschnitten – wirbelten fast stürmisch um die Körper der Models. Lederjacken hatten grosse Taschen und breite Puffärmel. Im Vergleich zum Rest wirkten sie fast derb.

Volants, Spitze und eine Lederjacke mit Puffärmeln bei Chloé in der Frühjahr-Sommer-Kollektion 2025.

Das alles kommt gut an. Wenn man sich gegen Ende der Modewoche im Publikum umhörte, was die beste Show gewesen sei, dann war Chloé die häufigste Antwort. Dass US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris bei offiziellen Auftritten immer wieder zu Chemena Kamalis Entwürfen greift, ist ein weiteres Zeugnis für das Gespür der Designerin. Obwohl Harris sich für vergleichsweise nüchternere Schluppenblusen und taillierte Anzüge entscheidet statt für romantische Volants. Eine Bohémienne, das ist sie nicht.

Wie wichtig ist Mode?

Auch die Modewelt selbst hat in ihrer aktuellen Fassung wenig mit Gegenkultur zu tun. Die Kolonnen aus schwarzen Limousinen und die Männer in Anzügen im Publikum sind an der Fashion Week das sichtbarste Symptom davon. Trotzdem (oder gerade deswegen?) waren es die sechziger und siebziger Jahre, die diese Saison auffällig viele Kollektionen prägten. Für Ex-Gucci-Designer Alessandro Michele entsprang das der Zeit, die er in den Archiven seines neuen Arbeitgebers Valentino verbracht hatte. Heraus kam das modische Kaleidoskop, für das Michele so bekannt ist, versehen mit Valentino-Codes wie Rot und Spitze.

Es war eine wilde Kostümparty auf einem Boden aus zerschmetterten Spiegeln, und ein bisschen Titanic-Stimmung konnte man beim Anschauen nicht verhindern. Gleichzeitig wollte man sofort alles wieder aus dem Keller holen, das mit Polka Dots versehen ist. «Ich glaube, dass Mode manchmal für unwichtig gehalten wird – dass wir all diese Rüschen nicht wirklich brauchen», sagte Michele der «Vogue», «aber ich denke, dass wir sie brauchen.»

Bei Ann Demeulemeester waren es unter anderem Jack Kerouac und Stevie Nicks, die auf dem grossen Moodboard des Designers Stefano Gallici standen und etwas zum typischen, verlockenden Look aus langen, schwarzen Mänteln, flatternden, weissen Fransen und hohen Spitzenkrägen beitrugen. Bei der australischen Marke Zimmermann, die ohnehin für verträumte Rüschenkleider bekannt ist und bald in Zürich ihr erstes Geschäft eröffnet, dienten Projektionen des Surfer-Films «Morning of the Earth» aus 1971 als Hintergrund. Und Miuccia Prada nutzte für Miu Miu einen ihrer eigenen Prints aus 2005, der aussah wie aus den siebziger Jahren. Da hörte es aber schon auf mit Zurückschauen. Wenn Prada eines kann, dann ist es Dissonanz, die man tragen möchte: Kettengürtel zum Faltenrock, Beinwärmer zu Peep-Toes.

Federn und Rätseln bei Chanel

Sah man beim Eintreten in den frisch renovierten Grand Palais als erstes einen gigantischen Vogelkäfig, wurde es schnell klar, dass es in der Kollektion von Chanel um Freiheit statt Eingepferchtsein ging: Federn schmückten Jupes und Sonnenbrillen, Tweed wurde von flatternder Seide umgarnt, und Riley Keough sang zum Abschluss auf einer Schaukel. Die noch nicht bekanntgegebene Nachfolge der ehemaligen Kreativdirektorin Virginie Viard wurde unter den Gästen weiterhin diskutiert. Aber wenn man herumschaute und die vielen Kundinnen sah, die ihre Kleider aus den verschiedenen Zeitspannen von Chanel wild kombinierten, da schien es weniger wichtig als auch schon.

Auch Albert Kriemler erkor die Leichtigkeit zu einem Leitmotiv seiner in helle Nuancen getauchten Akris-Kollektion. Die Volants, die manche Kleider und Jupes auszeichneten, waren aus Hutbändern geschneidert: Ein modischer Hattrick, der sich bei einem erneuten Durchgang der Kollektion als durchaus praktisch erwies, denn das vergleichsweise steife Material knittert nicht so einfach wie etwa Tüll. Ähnlich praktisch waren die vielen schichtbaren Mesh-Teile bei Hermès. Manche waren mit funktionalen Reissverschlüssen ausgestattet oder mit Taschen für Stifte, wie man sie aus der Workwear kennt.

Für die Illusion von Schwerelosigkeit braucht es eben manchmal Struktur. Gerade in der Mode. Am besten illustrierten das die Blumenkleider mit Reifröcken bei Loewe: Sie waren dünn wie Papier und schienen beim Gehen zu schweben, in ihrer Rohheit vollkommen. Auch Nicolas Ghesquière sprach davon, «die Schwerkraft irgendwie loslassen» zu können, und tat es bei Louis Vuitton mit federbesetzten Schuhen und flatternden Haremshosen. Bei Kiko Kostadinov zierten steife, geknöpfte Halsbänder einige Looks. Sie wippten bei jeder Bewegung auf und ab. Man konnte nicht anders, als entzückt zu sein.

Leichtigkeit als Gegengift

Doch woher das Verlangen nach Leichtigkeit? Als Gegengift zur aktuellen weltpolitischen Situation, an die im abgeschirmten Universum der Paris Fashion Week nur gelegentlich Push-Benachrichtigungen auf emporgereckten Handys erinnerten? Als Gefühl, das gerade Kleidung besonders gut verleihen kann? Als Wunsch für den Sommer, aber eigentlich das ganze Leben?

Wahrscheinlich war es eine Mischung aus allem. Sogar Balenciaga, das von weitem immer eher düster als unbeschwert aussieht, war leichteren Gemüts als üblich: dank Bodysuits, die aussahen wie Lingerie, dem perfekten Remix von Britney Spears› «Gimme More», und Kleider, die hinten lose mit breiten, schwarzen Bändern zugeschnürt waren. Deren Enden schleiften dem Catwalk entlang. Als warteten sie darauf, dass jemand daran ziehen würde. Oder zumindest aus Versehen darauf treten.

Tiefe Hosenbünde und eingeklemmte Handtaschen

Bei all der Leichtigkeit – erzwingen soll man sie ja nicht – gab es auch kleinere Trends, die damit nichts zu tun hatten. Schuhe waren entweder vollkommen flach oder mit ultrahohem Absatz und Plateau ausgestattet; auch hier lässt sich also eine Polarisierung erkennen. Hosenbünde blieben tief, manchmal sogar «superlowaist», wie Balenciaga seine neuen, Schambereich-berührenden Jeans nennt. Ähnliche Modelle gab es bei Schiaparelli. Und natürlich bei McQueen, wo der 2010 verstorbene Gründer des Modehauses einst den Poritzen-zelebrierenden «Bumster» erfunden hatte und wo der junge Designer Seán McGirr ihm nun (mit Rüschen!) nacheifert, – bisher mässig erfolgreich.

Trenchcoats und Regenjacken gab es fast überall – Schutz scheint also ein Bedürfnis zu sein. Tanktops schichtet man künftig übereinander, dafür müssen sie aber dünn sein. Und Taschen trägt man unter den Arm geklemmt, egal wie gross sie sind und wie viele Henkel sie eigentlich hätten. Die neue «Birkin Retourné» von Hermès etwa wurde mit diesem Gedanken im Hinterkopf konzipiert. Es ist auch eine Form von Leichtigkeit, denn zu viel einpacken sollte man nicht. Sonst riskiert man einen Tennisarm.

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