Die Zürcher Winzer schauen zurück auf ein schwieriges Jahr: Regen, Frost und Pilze machten ihnen zu schaffen. Neue Sorten sollen das Problem lösen – doch diese haben einen grossen Nachteil, findet Winzerin Nadine Saxer.
«Die Trauben sind gut», sagt Nadine Saxer. «Aber es sind dieses Jahr weniger als sonst.» Sie steht im grossen Keller, in dem der Wein in Holzfässern reift.
Nadine Saxer ist die Winzerin, die für ihren Wein lebt. So nannte sie eine Regionalzeitung vor ein paar Jahren in einem Podcast. Saxers Name steht auf den Fässern ihres Weinguts, auf Arbeitskleidung, über dem Eingang zu ihrem Degustationsraum. Sie ist Winzerin und Marke zugleich.
Nadine Saxer führt ihr Weingut in Neftenbach im Zürcher Unterland seit dreizehn Jahren. Sie gewinnt für ihre Weine Preis um Preis, acht waren es dieses Jahr, darunter der prestigeträchtige «Gran Maestro du Pinot Noir».
Jetzt schaut Nadine Saxer auf die Ernte des Jahres zurück. Gerade werden die letzten Merlottrauben eingeholt. «Die Trauben sind gut», sagt Saxer. «Aber es sind weniger als sonst.»
Dieser Frühling war erst frostig, dann verregnet, und dann hagelte es im Herbst auch noch. Kein gutes Traubenjahr. Und doch fällt die Ernte heuer erstaunlich gut aus. Zum Vergleich: 2021 regnete es ebenfalls oft, manche Winzer verloren ihre ganze Ernte. Ein «Katastrophenjahr» nannten es die Winzer.
2024 war die Ernte besser, obwohl es doppelt so lange regnete. «Wir lernen langsam, mit dem Klimawandel zu leben», sagt Nadine Saxer.
Vogelnetze, Hagelversicherung, Pestizide
Nadine Saxer, 47, ist auf dem Weingut aufgewachsen, das sie heute führt. 2011 hat sie es von ihren Eltern übernommen, heute leitet sie es zusammen mit ihrem Ehemann, Stefan Gysel. Er ist ebenfalls Winzer und hat ein eigenes Weingut, allerdings im Kanton Schaffhausen. Warum nicht zusammen einen Betrieb führen? «Wir wollten halt beide den Betrieb unserer Eltern übernehmen, also führen wir jetzt zwei Weingüter», sagt Saxer. Zusammen haben Saxer und Gysel drei Töchter, die Familie wohnt auf dem Weingut in Neftenbach.
Über Nadine Saxers Rebberge sind jedes Jahr blaue Plastiknetze gespannt. «Das ist gegen die Vögel», sagt Saxer. Sie meint vor allem Stare, die es auf Trauben abgesehen haben. Einzeln sind sie harmlos, aber sie sind oft in Scharen unterwegs. Saxer sagt: «Wenn es eine Starenschar auf deinen Rebberg abgesehen hat, dann kannst du danach nicht mehr viele Trauben ernten.»
Stare, Platzregen, Hagel: Davor fürchten sich alle Winzer. Denn ein paar Minuten können über eine ganze Ernte entscheiden.
Auch Saxer hat das schon erlebt. 2021 verlor sie über die Hälfte ihrer Ernte. Sie sah das Unwetter auf ihre Rebberge zukommen, Saxer nützt für ihre Arbeit präzise Wetter-Apps. Doch gegen den Hagel war sie machtlos. «Wir arbeiten das ganze Jahr auf die Wümmet im Herbst hin. Und dann verlierst du alles im letzten Moment. Und du kannst überhaupt nichts machen.»
Der Rebberg von Nadine Saxer in Neftenbach. Sie hat ihre Ernte gegen Hagel versichert.
An den Moment, als ihre Ernte zerstört wurde, erinnert sie sich ganz genau. «Am nächsten Morgen ging ich durch den Rebberg, sah den Schaden und weinte.» Ihre Ernte ist gegen Hagel versichert, das hat immerhin den finanziellen Schaden etwas abgefedert.
Die «Keff» zerfrisst die Traube langsam
Andere Plagen, die durch den Klimawandel häufiger werden, zerstören die Trauben langsamer. Die Kirschessigfliege, unter Winzern «Keff» genannt, nistet sich in die Traube ein und zerfrisst sie langsam von innen. 2014 verloren Winzer ganze Rebberge an die Fliege. Dagegen hilft fast nur, die Trauben mit weissem Kalk zu überziehen und zu hoffen, dass die Fliegen sie nicht mehr sehen können. Oft genug wiederholt, dämmt das den Schaden etwas ein.
Gegen Mehltau, die zweite Plage in nassen Jahren, helfen hingegen Pestizide. Die Trauben müssen früh genug gespritzt werden, sonst zerstört der Mehltau die Ernte.
Das hätten die Zürcher Winzer dieses Jahr gemacht, sagt Beat Kamm, Präsident des Branchenverbands Zürcher Wein: «Wir sind inzwischen durch Prognosemodelle besser vorbereitet, wenn sich eine schwierige Saison ankündigt.»
Konsumenten greifen zu Pinot Noir
Auch Saxer spritzt ihre Trauben mit Mitteln gegen Mehltau. Manche Zürcher Winzer versuchen das zu vermeiden, indem sie Sorten züchten, die gegen Pilze resistent sind. Zum Beispiel Solaris, Sauvignac oder Leo Mio.
Für Saxer sind solche Sorten noch kein grosses Thema. Sie beobachtet zwar, welche neuen Sorten gezüchtet werden. «Eine ganze Rebparzelle reissen wir aber nur aus, wenn die Reben zu alt werden.» Ausserdem, sagt Saxer, müssten neue Sorten nicht nur beim Anbau funktionieren – sondern später auch als Wein.
Genau das ist oft das Problem bei neuen Rebsorten: Sie funktionieren für die Winzer, aber nicht für die Konsumenten. Woran das liegen könnte? «Viele Menschen schätzen einen guten Pinot einfach», sagt Saxer. Und schon die Qualität eines klassischen Weins über längere Zeit zu halten, sei eine Kunst.
Nadine Saxer führt durch die Hallen, in denen ihre Tanks stehen. Dort gärt der Saft der Trauben, die in den letzten Wochen geerntet wurden. Es blubbert hörbar, aus den Tanks entweicht über feine Glasröhrchen etwas Dampf. Displays zeigen die Temperatur des Traubensafts, er darf weder zu heiss noch zu kalt sein.
Die Winzerin führt durch die Hallen, in denen ihre Tanks stehen. Dort gärt der Saft der Trauben, die in den letzten Wochen geerntet wurden. Es blubbert hörbar, aus den Tanks entweicht etwas Dampf.
Später wird ein Teil des Weins, der jetzt gärt, in Holzfässern reifen. Saxer hat dafür einen grossen Keller, sie kann ihn unterschiedlich beleuchten: mit warmem Licht zur Präsentation, wenn Kunden da sind. Oder mit grellen Lampen zum Arbeiten. «Man kann sehr kreativ sein bei der Gestaltung von Wein», sagt Saxer. Wann man die Trauben ernte, welche Hefe man wähle, welche Gärtemperatur die Trauben hätten – all das beeinflusse den Wein.«Dieser Spielraum gefällt mir am Beruf der Winzerin.»
Schlichte Farben, effiziente Vermarktung
Ihren Wein präsentiert Saxer in einem Degustationsraum. Goldbraune Wände, Bartresen, grosses Fenster mit Blick auf Saxers Barriquefässer. Davor sind Weinflaschen ausgestellt, allesamt mit schlichter Etikette. Gedeckte Farben, der Name des Weins in schlichter Schrift, darüber, gross, das Logo: Nadine Saxer mit einem umgedrehten A im Nachnamen und einem Tropfen darunter. Die Flasche soll auf einem Esstisch schön aussehen, sagt Saxer. «Es geht bei einem Wein nicht nur darum, wie er schmeckt.»
Saxer verkauft ihre Weine direkt ab Hof, aber auch an Restaurants und Weinläden. Sogar nach Österreich konnte sie ihren Wein liefern, einer Vinothek, die nur Weine von Frauen anbot.
Die Winzerin Saxer wird oft darauf angesprochen, dass sie einen «Männerberuf» ausübt. «Kommt jetzt dann die Frage, ob Frauen anderen Wein machen als Männer?», sagt sie sofort, als sie wieder danach gefragt wird. Die Antwort gibt sie gleich selbst: «Die Leute haben das Gefühl, Wein von Frauen sei irgendwie süsser oder leichter, aber das ist falsch. Wir machen einfach Wein, so wie die Männer auch.»
In den Barriquefässern reifen Nadine Saxers Weine.