Der Aufstieg des ultrarechten Provokateurs Alex Jones begann mit 9/11. Doch dann leugnete er den Amoklauf an der Sandy-Hooks-Schule. Fast hätte seine Plattform Infowars ein Satiremagazin übernommen.
Laut dem Magazin «Economist» ist das Wort des Jahres «Kakistokratie», was so viel wie «Herrschaft der Schlimmsten und Schlechtesten» bedeutet. Geläufig wurde «Kakistokratie» in jüngster Zeit dank Donald Trump, der Leute wie Matt Gaetz als Justizminister und Pete Hegseth als Verteidigungsminister nominiert hat. Trump berufe gezielt kompromittierte bis inkompetente Personen in seine Regierung, so die Annahme, um durch die Herrschaft der Schlimmsten maximale Disruption des politischen Status quo zu erreichen.
Stimmt das, so stellt sich die Frage, warum Trump nicht Alex Jones, den Gründer des Online-Mediums Infowars, in sein Kabinett geholt hat. Denn ein grösserer Disruptor als der Verschwörungstheoretiker Jones ist gegenwärtig kaum vorstellbar.
Gerade drohte Jones die Zwangsversteigerung von Infowars aufgrund eines Konkursverfahrens. Ende 2022 war der 50-Jährige von einem Gericht in Connecticut der Verleumdung von Familienangehörigen der Opfer des Massakers an der Sandy Hook Elementary School im Jahr 2012 schuldig gesprochen und zur Zahlung von 1,44 Milliarden Dollar Schmerzensgeld verurteilt worden.
Jones hatte den Amoklauf des 20-jährigen Adam Lanza, der zwanzig Primarschulkinder und sechs Lehrkräfte ermordet hatte, auf Infowars wiederholt als «gigantischen Schwindel» bezeichnet. Die Geschichte sei «komplett fake» und diene bloss Befürwortern einer strengeren Schusswaffengesetzgebung in den USA als Munition. Schliesslich gab Jones zu, dass Sandy Hook stattgefunden habe. Vor seinem Privatkonkurs bewahrte ihn das aber nicht.
Kauft Elon Musk Infowars?
So kam es, dass in der Zwangsversteigerung ausgerechnet die Satire-Website «The Onion», die das Portal als Satire weiterführen wollte, den Zuschlag für die Internetdomänen, die technische Infrastruktur und die Kundendaten von Infowars erhielt. Doch Anfang Dezember stoppte ein Richter in Texas das Vorhaben und gab Jones’ Berufungsklage statt, weil offenbar das geheime Bieterverfahren nicht rechtens war.
Zuvor war auch Elon Musks Netzwerk X juristisch gegen die Versteigerung vorgegangen, mit dem Argument, die Konten auf X dürften gemäss Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht zur Konkursmasse gezählt werden. Laut Gerüchten soll Elon Musk selbst Interesse daran haben, Infowars zu kaufen.
Alex Jones darf auf Infowars also weitermachen, mit der in seinen Worten «meist zensurierten Nachrichtensendung der Welt». Der 50-jährige Texaner verbreitete schon früher, als er noch Fernseh- und Radiomoderator war, Verschwörungstheorien. So zweifelte er die offiziellen Versionen des Waco-Massakers, wo 1993 auf einer Sektenranch 168 Menschen starben, oder des Bombenanschlags von Oklahoma 1996 an: Er behauptete, der Staat habe die Gewalttaten fingiert.
Aus jener Zeit stammt Jones’ Faszination für die Theorie einer «neuen Weltordnung». Laut dieser regiert eine geheime internationale Elite die Welt und verfolgt dabei das Ziel, die Menschheit in einem «globalen Stasi-Borg-Staat» durch «Gedankenkontrolle» oder «psychologische und meteorologische Kriegsführung» zu knechten oder per Impfzwang und Eugenik gleich ganz zu vernichten. Diese Apokalypse können nur aufrechte amerikanische Bürger aus der Tea-Party-Bewegung und später Trumps Maga-Republikaner verhindern. Deshalb muss das Recht auf Schusswaffen gewährt bleiben.
Im Rahmen dieser Wahnerzählung, die oft ins Antisemitische und Rassistische kippt, konstruiert Jones Nebenhandlungen: So setzt die amerikanische Regierung Wetterwaffen zur Herbeiführung eines künstlichen Klimawandels ein, sie versetzt das Wasser mit chemischen Stoffen, die Frösche homosexuell machen, und Hillary Clinton, Robert Mueller oder Michelle Obama sind wahlweise Pädophile, Dämonen oder Transmänner.
«Kontrollierte Detonationen» am 11. September
Bekannt wurde Jones als Skeptiker in Bezug auf die Geschehnisse von 9/11. Im Juli 2001 erwähnte er in einem Video den Bombenanschlag auf das World Trade Center im Jahr 1993 und schwadronierte über Staatsterrorismus, Flugzeugattentate und bin Ladin als CIA-Agenten. Das wurde ihm als Prophetie ausgelegt. An 9/11 sprach er in seiner an hundert Stationen syndizierten Radio-Show von einer «98-prozentigen Wahrscheinlichkeit», dass die amerikanische Regierung selbst hinter den Anschlägen und «kontrollierten Detonationen» gesteckt habe. Damit schwang sich Jones zum Führer der sogenannten Truther-Bewegung in den USA auf.
Das bescherte ihm enormen Zulauf. Er war einer der ersten erfolgreichen Video- und Podcaster. 2016 hörten gemäss «Washington Post» jeweils bis zu 5 Millionen Menschen seine Radiosendungen. 80 Millionen Menschen schauten sich wöchentlich seine Videos auf Youtube an.
Zudem betrieb Jones einen Online-Shop, wo er Vitaminpillen, Nahrungsergänzungspülverchen sowie potenzsteigerndes Kraftfutter oder schusssichere Westen an seine Fans vertickte. Gemäss einer «Spiegel»-Recherche von 2017 gingen zwei Drittel von Jones’ Einnahmen auf das Konto solcher Verkäufe. Laut der «Huffington Post» generierte sein Quacksalber-Business allein von Ende 2015 bis 2018 Einkünfte von 165 Millionen Dollar.
Jones vereint auf sich die Schlauheit des Unternehmers mit dem Gespür des Geschäftsmannes, der die Bedürfnisse seiner Kunden kennt. Dazu kommt der Verschwörungstheoretiker, der sich medial zu inszenieren und zu verkaufen weiss. Dabei zeigt Jones viel disruptive Energie, immer wieder scheint der Esprit eines intelligenten Kommunikators durch, der Denker wie Alexis de Tocqueville, Aldous Huxley oder Nietzsche zitiert.
Gerngesehener Gast in Talkshows
Davon fühlen sich Medienstars und Politiker angezogen. Der ehemalige libertäre Präsidentschaftskandidat Ron Paul war Stammgast bei Jones. Später liess Jones Alt-Right-Vertreter wie Mike Cernovich und den Trump-Berater Roger Stone seine Sendung moderieren. Aber auch Jones wurde in prominente Talkshows eingeladen. Er war beim britischen Moderator Piers Morgan oder beim Podcaster Joe Rogan. Natürlich steigert es auch seine Reichweite, wenn er kritisiert oder vor ihm gewarnt wird.
Doch mit seinen Behauptungen zum Sandy-Hook-Massaker ging er zu weit. Werbekunden sprangen von Infowars ab. Ab August 2018 sperrten sämtliche sozialen Netzwerke die Benutzerkonti von Jones und Infowars. Das gegen ihn gerichtete Deplatforming reichte bis zum Zahlungssystem Paypal. Die Justiz untersuchte den Vertrieb seiner Produkte, von denen manche verboten wurden. Auch die Werbung dafür wurde ihm untersagt. Jones schien am Ende.
Dieses Ende ist nun dadurch, dass ein texanisches Gericht Jones’ Berufung gegen die Zwangsversteigerung stattgegeben hat, vorläufig vertagt. Sollte der Infowars-Sendeschluss dennoch kommen, bliebe Jones allenfalls die Hoffnung auf eine politische Karriere in Trumps Kakistokratie.