Auffallend viele SVP-Dörfer stimmten bei der Zürcher Steuervorlage mit der Linken – und gegen ihre Parteielite. Warum?

Der Gemeindepräsident von Wila im ländlichen Tösstal ist es nicht gewohnt, dass sein Dorf einer linken Parole folgt. Hier wählt normalerweise die Hälfte der Bevölkerung die SVP. Doch am vergangenen Abstimmungssonntag war für einmal alles anders: Deutlich verwarf Wila eine Steuersenkung für Unternehmen, für die alle bürgerlichen Parteien geworben hatten.

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Gemeindepräsident Simon Mösch (Mitte) wurde – wie das gesamte Ja-Lager – vom Resultat überrascht. Er glaubt, die Unternehmenssteuer sei schlicht zu weit weg von der Bevölkerung gewesen. Und ihre Befürworter auch. Man sehe die wirtschaftsliberalen Parteien und Wirtschaftsverbände nur selten in Gemeinden wie seiner. Und wenn, dann nur, wenn sie etwas von der Bevölkerung wollten.

Um Abstimmungen zu gewinnen, reiche das nicht, sagt Mösch. «Die Wirtschaftsführer müssen halt mehr in die Dörfer kommen. Man kann nicht immer nur da sein, wenn es etwas zu gewinnen gibt.»

Es ist ein Satz, der nach den Abstimmungen in vielen bürgerlichen Gemeinden im Kanton zu hören ist.

Schuld sind: die anderen

Einen Tag nach der Abstimmungsniederlage der Bürgerlichen beginnt die Suche nach den Schuldigen. Die SVP macht die «zu brave» Ja-Kampagne der Handelskammer verantwortlich. Die wiederum hält den Parteien vor, sie müssten halt ihre Basis überzeugen.

Vorbei ist die Einigkeit, mit der eine breite Mitte-rechts-Allianz von der GLP bis zur SVP für die Steuersenkung gekämpft hat. Unternehmen hätten einen Prozentpunkt weniger Gewinnsteuer bezahlen müssen. Das wird nun nicht passieren. Mit 54,5 Prozent Nein-Stimmen war die Ablehnung klar.

Besonders auffällig am Resultat ist: Nicht nur die linken Städte waren gegen die Vorlage. Auch viele konservative Landgemeinden versenkten sie deutlich.

Turbenthal, Bachs, Wila, Hittnau: Wo sonst die SVP dominiert – mit Wähleranteilen bei den Nationalratswahlen von teilweise über 50 Prozent –, stimmte die Bevölkerung nun mit der Linken gegen tiefere Steuern.

Eine Auswertung der Abstimmungsdaten aller Zürcher Gemeinden zeigt: Am deutlichsten war das Nein in linken Gemeinden. Aber: Auch wo die SVP über 30 Prozent Wähleranteil hat, sagte die Stimmbevölkerung mehrheitlich Nein.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich im Kanton Zürich ein solches Muster zeigt: Bereits bei einer Volksinitiative der linken Alternativen Liste zu höheren Steuern auf Dividenden war die Zustimmung in SVP-Hochburgen auf dem Land erstaunlich hoch. Die Initiative scheiterte äusserst knapp, lediglich 4000 Stimmen fehlten zu einem Ja.

Bricht da ein Graben auf zwischen der ländlichen SVP-Basis und der wirtschaftsnahen Parteielite?

In vielen betroffenen Gemeinden scheint man das zu glauben. In Zell zum Beispiel, einer Ortschaft im Tösstal mit 6800 Einwohnern. Dort wurde die Gemeindepräsidentin Regula Ehrismann vor der Abstimmung oft gefragt, was ein Ja für die Finanzen von Zell bedeuten würde. «Ich habe dann jeweils gesagt: ‹Rechnet mal mit einer Steuererhöhung!›»

Ehrismann ist Mitglied der moderat linken EVP. Sie gehört normalerweise nicht zu den Abstimmungsgewinnern in ihrer Gemeinde, wo fast 40 Prozent die SVP wählen. Nun freut sich Ehrismann und sagt: «Das Resultat zeigt, dass die SVP-Führung zu weit weg von ihrem Fussvolk politisiert.»

Die Angst vor einem Loch in der Gemeindekasse sei der Grund, weshalb auf dem Land viele gegen die Steuersenkung waren. «Das Portemonnaie hat entschieden», sagt Ehrismann. «Mit Grosskonzernen und ihrer Steuerlast hat hier niemand Mitleid.»

Kleine Dörfer und kleine Unternehmen

Ähnliches ist aus vielen bürgerlichen Gemeinden zu hören, in denen der Nein-Anteil hoch war. In Bachs (64 Prozent Nein-Stimmen, 53 Prozent SVP-Wähler) sagt der parteilose Gemeindepräsident Etienne Linggi: «Das grösste Unternehmen in unserem Dorf ist eine Sägerei. Die Bevölkerung hatte das Gefühl, dass uns die Vorlage nicht zugutekommt.»

Gleichzeitig hätte die Gemeinde bei einem Ja sparen müssen – oder die Steuern erhöhen. Dabei hat Bachs mit 128 Prozent bereits den zweithöchsten Steuerfuss im Kanton. «Wir sind wirklich kein Steuerparadies», sagt Linggi. «Die Angst vor einer Steuererhöhung ist im Dorf sehr präsent.»

Linggi hatte deshalb bis zum Anruf der NZZ den Eindruck, die SVP habe sich im Abstimmungskampf nicht für, sondern gegen die Steuervorlage eingesetzt – so wie viele ihrer Wählerinnen und Wähler aus seiner Gemeinde.

Das bürgerliche Lager sei in seiner Gemeinde normalerweise sehr präsent. «Aber diesmal habe ich nur Plakate des Nein-Lagers gesehen.»

Besonders gross wären nach einem Ja die unmittelbaren Steuerausfälle in Kloten gewesen. Mit bis zu zehn Millionen Franken weniger Einnahmen rechnete die Gemeinde. Wegen der Nähe zum Flughafen sind hier viele, auch grosse Unternehmen ansässig.

Der SVP-Stadtpräsident René Huber sagt, er habe das Nein wegen der drohenden Steuerausfälle kommen sehen. Diese wären seiner Ansicht nach zwar ohne Probleme verkraftbar gewesen – hätten sich langfristig gar gelohnt, weil der Standort Kloten dadurch attraktiv geblieben wäre. «Aber das war schwer zu vermitteln.»

Die Ursünde, glaubt Huber, sei ein Entscheid des Kantonsparlaments vom vergangenen Herbst gewesen: Dort hatte Finanzdirektor Ernst Stocker (SVP) einen Kompromiss vorgeschlagen, der neben tieferen Firmensteuern eine Erhöhung von Steuern auf Dividenden enthielt. Eine Mitte-rechts-Allianz aus GLP, Mitte, FDP und SVP strich Letztere jedoch. Daraufhin lancierte die Linke das Referendum gegen die Steuervorlage.

«Wir hätten besser auf Stocker gehört», sagt Stadtpräsident Huber. «Die Vorlage war am Ende zu wenig ausgewogen, um eine Mehrheit zu überzeugen.»

Wie viele andere Kommunalpolitiker beobachtet Huber zudem eine Entfremdung von der Führung grosser Konzerne und der bürgerlichen Wählerbasis. Je internationaler die Welt der Grossunternehmen werde, desto weniger seien die Wirtschaftsführer sicht- und spürbar.

«Sie müssen sich wieder mehr einbringen», sagt Huber. «Viele CEO sind zu wenig volksnah.» Denn eigentlich, da sei er überzeugt, sei die Basis für wirtschaftsfreundliche Politik weiterhin zu gewinnen.

SVP gibt sich (ein bisschen) selbstkritisch

Und was sagt die SVP-Führung zur Kritik, sie politisiere in Wirtschaftsfragen an ihrer Basis vorbei? Der kantonale Parteipräsident Domenik Ledergerber sagt: «Es stimmt, es ist uns nicht gelungen, unsere Wählerschaft abzuholen.»

Die Verantwortung dafür sieht er aber nicht bei seiner Partei, sondern bei den grössten Nutzniessern der Vorlage. «Wo waren denn die Patrons im Wahlkampf?», fragt er. «Wir haben sie immer wieder um Auftritte gebeten, aber es hiess stets: Ist nicht nötig, wir gewinnen sowieso.»

Für Ledergerber ist das Scheitern der Steuervorlage ein Misstrauensvotum gegen die Wirtschaft. Dort sei nicht erkannt worden, dass weite Teile der bürgerlichen Basis wachstumsmüde seien – und nicht einsähen, warum man immer mehr Unternehmen in den Kanton Zürich locken solle.

«Nicht wir politisieren an der Bevölkerung vorbei, die Wirtschaftselite tut das», sagt Ledergerber. Seine Lösung ist jene, die die SVP häufig empfiehlt: weniger Zuwanderung. Damit liesse sich die Wachstumsmüdigkeit am besten bekämpfen. Erst wenn der Einzelne spürbar am Wohlstand teilhaben könne, gebe es auch Mehrheiten zur finanziellen Entlastung von Unternehmen.

Dass die Partei ihre wirtschaftspolitischen Positionen überdenken und an jene ihrer Basis anpassen könnte: Das, glaubt ihr Präsident, sei hingegen weder nötig noch zielführend.

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