Die Partei von Präsident Dissanayake wollte einst den Kapitalismus abschaffen. Zwei Mal lancierte sie dafür einen blutigen Aufstand gegen den Staat. Heute ist sie selbst an der Macht und muss sich ihrer gewaltvollen Vergangenheit stellen.

Sri Lankas Regierungspartei hat einen weiten Weg zurückgelegt, seitdem sie in den sechziger Jahren als revolutionäre linke Bewegung gegründet worden ist. Zwei Mal hat die Volksbefreiungsfront (JVP) mit Gewalt versucht, die kapitalistische Ordnung auf der Insel zu beseitigen. Beide Aufstände 1971 und 1987 wurden jedoch blutig niedergeschlagen. Über Jahrzehnte fristete die marxistisch-leninistische Partei daraufhin ein Schattendasein in Sri Lanka, bevor sie im vergangenen Jahr überraschend die Wahlen gewann.

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Die etablierten Parteien waren durch die Krise diskreditiert, die 2022 beinahe zum Bankrott des Staates und zum Kollaps der Wirtschaft geführt hatte. Viele Sri Lanker wollten eine grundlegend andere Politik. Bei der Präsidentschaftswahl im September wurde der JVP-Kandidat Anura Kumara Dissanayake zur Verkörperung der Hoffnung auf Wandel. Zwei Monate später gewann die JVP-geführte Parteienallianz National People’s Power (NPP) auch eine Mehrheit im Parlament.

Sechs Jahrzehnte nach ihrer Gründung sitzt die JVP damit erstmals an den Schalthebeln der Macht. Bei den Wahlen hat sie ein starkes Mandat für Reformen erhalten. Der Wechsel in die Regierung stellt die einstigen linken Revolutionäre jedoch vor einige Herausforderungen. Denn Dissanayake hat von seinem Vorgänger Ranil Wickremesinghe ein Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) geerbt, das seinem Handlungsspielraum enge Grenzen setzt.

Die früheren Revolutionäre üben sich in Pragmatismus

Im Wahlkampf hatte die JVP noch versprochen, die strikten Bedingungen des Abkommens neu zu verhandeln, doch davon ist heute keine Rede mehr. Die Regierung rechtfertigt diese 180-Grad-Wende mit der noch immer prekären Finanzsituation des Staates. «Wir haben uns das Vertrauen des Volkes gesichert, doch haben wir noch nicht das Vertrauen der externen Akteure gewonnen», sagt Verkehrsminister Bimal Rathnayake bei einem Gespräch im Parlament in Colombo, wo er der Regierungsfraktion vorsteht.

Die Regierung habe keine Alternative dazu, als sich an das Abkommen zu halten und konstruktiv mit dem IWF zusammenzuarbeiten. Eine Revision des Abkommens sei auch rechtlich gar nicht möglich, sagt der 52-Jährige, der im Kabinett für Verkehr, Strassen und Häfen zuständig ist. Denn Wickremesinghe habe nur zwei Tage vor der Präsidentenwahl im September ein Gesetz erlassen, das seinen Nachfolger verpflichte, die Vorgaben des IWF zur Rückzahlung der Schulden einzuhalten.

«Unsere ökonomische Handlungsfähigkeit ist durch dieses Gesetz kompromittiert. Es sind uns die Hände gebunden», klagt Rathnayake. Trotzdem sei es der Regierung gelungen, die Währung stabil zu halten, einen Exodus der Investoren zu vermeiden und Versorgungsengpässe wie während der Krise 2022 zu verhindern. Am wichtigsten sei aber, sagt der JVP-Politiker, dass die Regierung einen grundlegenden Wandel der politischen Kultur eingeleitet habe.

Die JVP-Kader haben einen neuen Stil mitgebracht

Auch unabhängige Beobachter bestätigen, dass mit der JVP ein neuer Stil in der Regierung Einzug gehalten habe. Selbst Gegner räumen ein, dass die Partei weniger korrupt sei als ihre Vorgänger. Die JVP-Kader gelten als pünktlicher, bescheidener und weniger arrogant als die alten Eliten. Während diese sich oft aus der Schulzeit kennen, als sie die gleichen englischsprachigen Schulen in Colombo besucht haben, stammen die JVP-Kader aus einfacheren sozialen Verhältnissen und sind es gewohnt, selbst mit anzupacken. So wird erzählt, dass selbst hohe Parteiführer sich nicht zu schade seien, die Büroräume zu fegen.

Da ihre Mittel knapp waren, war die JVP auch sonst gezwungen, sich effizient zu organisieren. Während der langen Jahre in der Opposition hat sie zudem ihr linksradikales Programm einer kritischen Prüfung unterzogen. Nach der blutigen Niederschlagung des Aufstands von 1987 war die Partei über Jahre verboten. Später wurde sie zwar wieder zu Wahlen zugelassen, doch spielte sie nur eine marginale Rolle in der Politik. Noch 2020 erhielt die JVP nur drei Sitze im Parlament.

Mit der Gründung des Wahlbündnisses National People’s Power hat sich die JVP jedoch ein neues, moderates Image gegeben. Auch hat sie von ihrer marxistischen Ideologie Abstand genommen. Als der Kollaps der Wirtschaft und der Bankrott des Staates 2022 zu Massenprotesten führten, die den damaligen Präsidenten Gotabaya Rajapaksa zum Rücktritt zwangen, erhielt die JVP eine neue Chance bei den Wählern.

Die Opposition wirft der Regierung Untätigkeit vor

«Nach der Wirtschaftskrise und der Protestbewegung von 2022 gab es in der Bevölkerung den Wunsch nach radikalem Wandel», sagt der Oppositionspolitiker M. A. Sumanthiran. Die beiden Hauptparteien seien diskreditiert gewesen, daher hätten sich die Wähler für die dritte Option entschieden. Der 61-Jährige gehört der tamilischen Partei Itak an und ist kein Freund der JVP. Er gesteht ihr aber zu, dass sie weniger korrupt sei als die grossen Parteien. Dies sei auch sechs Monate nach der Wahl noch die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit.

Allerdings würden die Wähler ungeduldig, da die Regierung noch keines ihrer Versprechen erfüllt habe, sagt Sumanthiran in seinem Büro in Colombo. Sie habe weder ihr Versprechen gehalten, das IWF-Abkommen neu zu verhandeln, noch jenes, das Präsidialsystem abzuschaffen. Auch bei der Aufarbeitung des Bürgerkriegs mit den tamilischen Rebellen, der Freilassung der politischen Gefangenen und der Rückgabe des von der Armee besetzten Landes gebe es keine Fortschritte.

Die JVP hatte lange ihre Basis in der singhalesischen Mehrheitsbevölkerung im Süden der Insel. Während des brutalen Bürgerkriegs mit den Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) befürwortete sie einen harten Kurs im Kampf gegen die tamilischen Rebellen. Vor der Wahl im September versprach die Partei den Tamilen aber, sich für ihre Belange einzusetzen. Erstmals konnte sie damit auch bei der tamilischen Minderheit im Norden der Insel punkten.

Die Gespenster der Vergangenheit tauchen wieder auf

Dies zeigt, dass die JVP bereit ist, ihre bisherige Politik anzupassen. Mit der eigenen gewaltvollen Vergangenheit tut sich die Partei aber weiterhin schwer. Während des Aufstands 1987 hatte sie Tausende Polizisten, Politiker und rivalisierende Linke ermordet, die ihre Strategie des Terrors nicht teilten. Die JVP schreckte am Ende nicht davor zurück, die Frauen und Kinder ihrer Gegner zu ermorden. Der Staat reagierte mit ähnlicher Brutalität und liess bis zu 60 000 JVP-Anhänger umbringen oder verschwinden.

Selbst in der blutigen jüngeren Geschichte der Insel stach der Aufstand durch seine Brutalität hervor. Wirklich aufgearbeitet wurde er bis heute nicht. Eher zufällig gelangte das Thema kürzlich wieder an die Öffentlichkeit. In einem Interview auf al-Jazeera wurde der frühere Präsident Wickremesinghe im März mit Vorwürfen konfrontiert, von einem Folterlager in seinem Wahlkreis gewusst zu haben, in dem 1987 massenhaft JVP-Anhänger ermordet wurden.

Unter öffentlichem Druck setzte die Regierung daraufhin im Parlament eine Debatte zu dem Thema an. Wirklich recht schien es ihr aber nicht, über diese Episode zu sprechen. Schliesslich hat die JVP selbst viel Blut an den Händen. Entschuldigt hat sich die Partei für die Morde bis heute nicht. Noch immer sieht sie sich weniger als Täter denn als Opfer. So rechtfertigt der JVP-Minister Rathnayake im Gespräch den Aufstand als «Reaktion auf ein repressives, diktatorisches Regime».

Fast alle der am Aufstand beteiligten JVP-Kämpfer hätten dafür mit ihrem Leben gezahlt. Die Täter aufseiten des Staates dagegen erhielten «weiter öffentliche Mittel, um ihren verschwenderischen Lebensstil zu finanzieren», sagt der Minister, wobei sich eine gewisse Schärfe in seine sonst sanfte Stimme schleicht. Die JVP wolle Versöhnung, doch werde sie sich auch dafür einsetzen, dass die Täter endlich vor Gericht bestraft würden und die Opfer Gerechtigkeit erhielten. Es bleibt abzuwarten, ob dies auch für die Opfer der JVP gelten wird.

Mitarbeit: Maneshka Borham

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