Freitag, April 25

Imke Wübbenhorst kritisiert nach dem verlorenen Cup-Final Gegnerinnen und Schiedsrichterinnen massiv. Es ist nicht das erste Mal, dass sie für Wirbel sorgt.

Das erlebt man selten. Eigentlich geht es um Fussball, doch plötzlich ist die Rede von Pierre Bourdieu. So ist es, wenn man Imke Wübbenhorst trifft: Ihre Gedanken tragen die YB-Trainerin von dem französischen Soziologen zur Geschichte eines kaputten Regenschirms, die die Mentalität der Schweizer illustrieren soll, vom Grossen ins Kleine, vom Philosophischen ins Praktische, und alles rasant.

Imke Wübbenhorst ist die Frau, die in der Schweiz seit einer Woche berühmt ist, weil sie nach dem verlorenen Cup-Final ihres Teams gegen Servette im Fernsehinterview zu einer Wutrede anhob, wie sie hierzulande selten ist. Als «widerlich» bezeichnete sie die Spielweise der Genferinnen, einer «zusammengekauften Truppe», von der Schiedsrichterin, der «guten Frau», hätte sie sich gewünscht, dass diese den «Arsch in der Hose» gehabt und sich das Regelwerk mal durchgelesen hätte. Der Ausbruch wäre schon im Männerfussball bemerkenswert gewesen, im Frauenfussball, der sich gerne für seine Fairness lobt, war die Tonalität einigermassen schockierend.

Wübbenhorst ist reflektiert genug, dass sie bereits während der Wutrede einflocht, dass sie eine schlechte Verliererin sei, sie entschuldigte sich schon etwas später an der Pressekonferenz und in einem Video am Montag ausführlich. Und noch einmal ein paar Tage später sagt sie: «Ich weiss, dass es falsch und unfair war, dass ich mit meiner Enttäuschung anders umgehen muss.»

Statement von Imke Wübbenhorst zum Interview nach dem Cupfinal

«Ich stelle nach Schwanzlänge auf»

Die 35-Jährige aus Aurich in Ostfriesland sorgt nicht zum ersten Mal für Wirbel. 2019 übernahm sie die Männer des Fünftligisten BV Cloppenburg, als erste Frau in Deutschland auf diesem Level. Damals platzte ihr nach vielen doofen Sprüchen der Kragen. Als sie gefragt wurde, ob sie eine Sirene auf dem Kopf tragen werde, damit ihre Spieler sich schnell anziehen könnten, bevor sie in die Kabine komme, sagte sie: «Ich bin Profi. Ich stelle nach Schwanzlänge auf.»

Das sass. Nun wollten auch die BBC und CNN ein Interview mit ihr, der Satz wurde «Fussballspruch des Jahres». 2020 übernahm sie den Regionalligisten Sportfreunde Lotte, als zweite Frau nach Inka Grings, die im Männerbereich einen Viertligisten betreute. Wieder Kameras, mehr Schlagzeilen.

Doch um Aufmerksamkeit gehe es ihr gar nicht, sagt Wübbenhorst. Wenn so etwas passiere wie am Cup-Final, sagt sie, erstarre sie kurz, reflektiere und frage sich: «Mist, was habe ich da gesagt?» Worum es ihr in diesem Moment sehr stark ging, sind ihre «Mädels», deren schlecht belohnter Kampf gegen abgezockte Genferinnen und deren Tränen nach dem verlorenen Final. Wenn Wübbenhorst sagt, sie sei als Trainerin noch nie so emotional gewesen wie in diesem Spiel, sie habe bereits bei der Ansprache an die Spielerinnen Tränen vergossen, zeigt das nicht nur, dass sie ihr Herz immer ganz hineinwirft, sondern auch die Vollgas-Mentalität. Mehr Identifikation mit dem Job geht nicht.

Für eine wie Wübbenhorst, die noch nachts überlegt, ob sie ihren Spielerinnen wirklich alles Wichtige gesagt hat, sind die oftmals unprofessionellen Strukturen im Frauenfussball eine Herausforderung. Sie rieb sich in der Vergangenheit auf. Wenn es in ihrer Zeit als Trainerin der Frauen im norddeutschen Cloppenburg hiess: Ihr könnt ja am Spieltag mit dem Bus ins 700 Kilometer entfernte Hoffenheim fahren. Oder: Ihr könnt doch auch in der Jugendherberge schlafen. «Ich war müde vom Kampf», sagt sie. Darum griff sie zu, als sich die Möglichkeit bot, Männer zu trainieren – und spürte rasch, «wie viel mehr positiven Zuspruch man bekommt».

Als sie nach der Trennung in Cloppenburg den Lehrgang zur Trainerin machte, gab sie ihr gewohntes Leben auf. Vollgas, auch damals. Sie investierte 15 000 Euro in die Ausbildung, kündigte ihre Wohnung, brachte den Hund und die Möbel zu ihren Eltern nach Friesland und schlief auf Sofas und in Hochbetten von Freundinnen. Um danach festzustellen, dass auch im Männerfussball vieles im Argen liegen kann. Acht Monate dauerte es, bis sie bei Sportfreunde Lotte in Westfalen entlassen wurde. Acht Monate, in denen sie ihre Ansprüche ständig herunterschrauben musste, in denen sie sogar den Mannschaftsbus fuhr, weil der Verein so klamm war.

«Es war von vornherein ein Himmelfahrtskommando», sagt Wübbenhorst, «ich musste den Kopf hinhalten für etwas, das ich nicht verantwortete, und es richteten Leute über mich, die keine Expertise hatten.» Für viele war das keine Überraschung. Aber Wübbenhorst gab nichts auf die Warnungen. Sie agiert impulsgesteuert und sieht selbst dort eine Chance, wo es nüchtern betrachtet keine gibt. Und sie muss alles selber erfahren, auf die Gefahr hin, sich den Kopf anzustossen. Sie sagt: «Ratschläge sind nicht unbedingt gut für mich, Erfahrung schon.»

Ihre Flapsigkeit irritiert

Danach wollte die Deutsche nicht mehr Trainerin sein. Sie hatte Sport, Biologie und Erziehungswissenschaften studiert und als Lehrerin an einem Gymnasium gearbeitet, sie erwog zurückzugehen. Doch dann fand sie über einen Umweg als Videoanalystin bei Viktoria Köln zu den Frauen von YB. Hier profitiert sie von professionellen Strukturen und einem Bekenntnis zu Aufbauarbeit. Es ist nicht so, dass sie nicht aneckt, für Schweizer Verhältnisse ist ihre Art zu kommunizieren erschreckend direkt. Ihre Flapsigkeit irritierte anfangs auch das Team, jetzt, wo Coach und Spielerinnen zusammengefunden haben, erkennt man die Fortschritte.

Wübbenhorst hat gemerkt, dass man hierzulande einen anderen Sprachgebrauch gewohnt ist. Das akzeptiert sie. Doch wenn die Leute nicht verstünden, dass sie die Werte, die YB verkörpere – Respekt, Zusammenhalt –, in einem hohen Mass lebe, ärgere sie das, nein, es mache sie fuchsteufelswild. Zwischen Nordsee und Aare liegen manchmal Welten.

Und wie war das gleich mit dem Regenschirm, den sie kaputtgemacht hat? Sie wollte ihn ins Hotel zurückbringen, wo sie ihn ausgeliehen hatte, und bezahlen. Ihr Freund, ein Schweizer, fand, sie müsse doch nichts sagen. Was sie daraus schliesse? Dass sie die Konsequenzen ihrer Handlungen trägt. «Ich habe hohe Werte, aber ich achte nicht immer darauf, was ich sage.»

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