Donnerstag, Januar 16

Vergangenes Jahr gab es weniger irreguläre Migration nach Europa, dank Rückgängen auf zwei Hauptrouten. Anderswo verschärft sich die Lage jedoch. Das liegt auch an Migranten aus Bangladesh, Ägypten und Vietnam.

Die irregulären Grenzübertritte in die EU haben den niedrigsten Stand seit 2021 erreicht. Laut der Grenzschutzbehörde Frontex wurden letztes Jahr rund 239 000 irreguläre Übertritte registriert, 38 Prozent weniger als im Vorjahr.

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Der starke Rückgang folgt auf drei Jahre kontinuierlich steigender Zahlen. Nach dem Tiefpunkt im Pandemiejahr 2020 stiegen sie 2023 auf einen Höchststand mit bis zu 55 000 irregulären Grenzübertritten pro Monat zwischen August und Oktober. Die meisten Einreisen erfolgten damals über die zentrale Mittelmeer-Route von Afrika nach Italien und über die Westbalkan-Route via Ungarn und Österreich.

Der Rückgang 2024 ist darauf zurückzuführen, dass auf diesen beiden Routen deutlich weniger Menschen nach Europa kamen: 2023 kamen rund 162 000 nach Italien und 98 000 über den Westbalkan, 2024 sanken die Zahlen auf 67 000 beziehungsweise 22 000.

Ein Grund für den Rückgang der Reisen über die zentrale Mittelmeer-Route ist, dass Tunesien derzeit Überfahrten nach Italien verhindert. Im Juli 2023 schloss die EU ein Migrationsabkommen mit Tunesien, bei dem das Land gegen Millionenzahlungen die Bekämpfung von Bootsflüchtlingen zusicherte. Länder wie Serbien und Montenegro verschärften zudem ihre Grenzkontrollen und führten eine Visumspflicht für Staaten wie Indien, Tunesien und Kuba ein, aus denen 2023 vermehrt Migranten über den Westbalkan in die EU gelangt waren.

Trendwende noch nicht absehbar

Ob diese Massnahmen zu einer nachhaltigen Trendwende für Europa führen, bleibt abzuwarten. Auch in anderen Regionen wurden ähnliche Abkommen geschlossen und die Grenzkontrollen verschärft. So erhielt Marokko seit 2014 über eine Milliarde Euro von der EU und Spanien, um die irreguläre Migration einzudämmen. Mit der Türkei besteht seit 2016 ein milliardenschweres Abkommen.

Dennoch kamen 2024 die meisten Migranten über die östliche Mittelmeer-Route von der Türkei nach Griechenland. Es handelt sich dabei vor allem um Personen aus Syrien und Afghanistan. Aber auch Ägypter verlassen ihr von einer schweren Wirtschaftskrise gebeuteltes Land vermehrt und setzen von Ost-Libyen aus nach Zypern und Griechenland über. Über das östliche Mittelmeer kamen 2024 auch mehr Frauen. Obwohl der Frauenanteil unter den erfassten Migranten konstant bei etwa 10 Prozent liegt, nutzten zwei Drittel von ihnen diese Route.

Die irregulären Einreisen in Spanien erreichten im vergangenen Jahr gar einen neuen Höchststand. Zwar gelangen verhältnismässig wenige Migranten über Marokko nach Spanien. Das strengere Vorgehen der dortigen Grenzschutzbehörden führte aber zu einer Verlagerung des Migrationsstroms an die westafrikanische Küste.

2024 erreichten rund 47 000 Menschen aus Mauretanien und Senegal die Kanarischen Inseln, die höchste Zahl seit Beginn der Datenerfassung durch Frontex im Jahr 2009. Die Route wird vorwiegend von Menschen aus dem kriegsversehrten Mali, aus Senegal oder Marokko genutzt und ist die gefährlichste Migrationsroute nach Europa. Laut der Internationalen Organisation für Migration starben bei der Überfahrt 2024 mindestens 1200 Menschen.

Ukrainische Männer und irreguläre Migranten aus Asien

Nicht nur an der Küste Westafrikas verschluckt der Atlantik Bootsmigranten, auch bei der Fahrt über den Ärmelkanal kentern regelmässig Schlauchboote. Die Route von Frankreich nach Grossbritannien ist im vergangenen Jahr zum zweithäufigsten irregulären Migrationsweg in Europa avanciert. Besonders auffällig: Immer mehr Vietnamesen gelangen so nach Grossbritannien, angelockt von Versprechungen von Schleppern in den sozialen Netzwerken und Erfolgsgeschichten im Bekanntenkreis. Laut Recherchen der BBC fliegen viele legal unter dem Vorwand eines befristeten Arbeitsaufenthaltes zunächst nach Ungarn und reisen danach illegal weiter nach Frankreich.

Europäische Grenzschutzbehörden beobachten ähnliche Muster bei Migranten aus Bangladesh, die seit Jahren zahlreich über die zentrale Mittelmeer-Route nach Italien kommen, wo inzwischen eine grosse Diaspora lebt. Viele reisen zunächst nach Ägypten und gelangen dann über Libyen oder Tunesien in die EU.

Die grösste relative Zunahme irregulärer Grenzübertritte verzeichnete die EU 2024 jedoch fern ihrer Seegrenzen. Die Zahl der irregulären Einreisen über die osteuropäische Route nach Polen und in die baltischen Staaten stieg von 5 800 auf 17 000. Der Grossteil der Übertritte geht jedoch nicht auf den organisierten Schmuggel afrikanischer Migranten via Weissrussland zurück, sondern auf Tausende Männer aus der Ukraine, die vermutlich der Wehrpflicht entkommen wollten.

Angesichts der vielfältigen Herausforderungen auf den verschiedenen Migrationsrouten in die EU mahnte der Frontex-Chef Hans Leijtens denn auch, dass sich die Migrationsdynamik jedes Jahr ändere und trotz sinkenden Zahlen 2024 weiterhin hohe Wachsamkeit erforderlich sei. So bleibt die Lage im Nahen Osten volatil. Mit 12 Millionen Flüchtlingen befindet sich die weltweit grösste Gruppe an Vertriebenen derzeit in der Region um den Sudan und hat sich noch nicht in grosser Zahl nach Europa aufgemacht.

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