Mittwoch, Oktober 9

Ganz Deutschland spricht über Messerangriffe in Fussgängerzonen und Bahnhöfen. Eine NZZ-Recherche zeigt nun, wie dramatisch sich die Lage in den vergangenen zehn Jahren entwickelt hat.

Seit Monaten diskutiert Deutschland intensiv über Messerangriffe. Taten wie der islamistische Mord an einem Polizisten in Mannheim haben die innere Sicherheit zu einem der drängendsten Themen im Land gemacht. Laut den Kriminalstatistiken der Landespolizeien und der Bundespolizei werden mehr Angriffe mit dem Messer verübt als je zuvor. Noch dazu sind ausländische Tatverdächtige dabei stark überrepräsentiert.

Auch einzelne Spitäler schlagen wegen vielen schweren Messerstichverletzten Alarm. Sie stellen einen mehr oder minder starken Anstieg fest, wie die NZZ auf Nachfrage erfuhr. Doch das gesamte Ausmass dieses Anstiegs wird erst jetzt ersichtlich: Wie eine Recherche der NZZ zeigt, ist die Zahl der schweren Messerverletzungen in den vergangenen Jahren um mehr als die Hälfte gestiegen ist. Sie erreicht damit einen neuen Höchststand.

Das geht aus dem Traumaregister der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) hervor, in dem die Fallzahlen unfallchirurgischer Schwerpunktkliniken in ganz Deutschland erfasst und ausgewertet werden. Es soll in den kommenden Monaten veröffentlicht werden. Die vorläufigen Ergebnisse liegen der NZZ vor.

Demnach wurden in den vergangenen zehn Jahren 4.917 Patienten mit schweren Messerstichverletzungen in deutsche Spitäler eingeliefert. In dem gleichen Zeitraum verzeichneten die Spitäler insgesamt 212.628 Schwerverletzte. Insgesamt ist der Anteil der Messerverletzungen also eher gering, er ist aber in den vergangenen zehn Jahren stark angestiegen. Von 2014 bis 2023 stieg er von etwas unter 2 auf über 3 Prozent – ein Anstieg von mehr als fünfzig Prozent.

Hohe Dunkelziffer

DGU-Generalsekretär Dietmar Pennig, vor seiner Pensionierung tätig als Chefarzt für Unfallchirurgie am Kölner St.-Vincenz-Spital, bestätigt diesen Befund. Er sagt: «Ein grösseres Warnsignal an die Politik als diese Statistik kann ich mir schwer vorstellen.»

Absolute Fallzahlen für die einzelnen Jahre kann die DGU bisher noch nicht nennen. Sie werden derzeit noch die wissenschaftliche Publikation eingeholt, Abfragen bei den betreffenden Kliniken laufen.

Die Zahl wirkt auf den ersten Blick niedrig. Doch werden in der Statistik der DGU nur besonders schwere Fälle erfasst, nämlich nur von Patienen, die wegen einer Messerverletzung auf der Intensivstation behandelt werden mussten oder sogar im Krankenhaus daran verstarben. «Leichte Verletzungen werden nicht aufgenommen», sagt Pennig, «ebenso wenig Todesfälle noch am Tatort.»

Hinzu kommt: Seit 2018 müssen Patienten eine schriftliche Einverständniserklärung abgeben, damit sie in der Statistik erfasst werden können. Durch diese neue Bestimmung allein gab es zwischen 2018 und 2019 ein Rückgang der Fallzahlen von etwa 25 Prozent. Nimmt man all das zusammen, dürfte die tatsächliche Zahl der Messerverletzungn weit höher liegen.

Die Opposition kritisiert die deutsche Regierung

Wie mit der gestiegenen Gewalt umgehen? DGU-Generalsekretär Pennig schlägt vor, Polizeibeamte sollten «auch anlasslos an Messerverbotszonen kontrollieren» können. Das würde seiner Ansicht nach «zumindest dem Totschlag im Affekt Grenzen setzen». Überhaupt kann es aus seiner Sicht nicht sein, «dass immer mehr junge Männer mit Messern in Innenstädten und Bahnhöfen herumlaufen». Nur von Beschränkungen der Klingenlänge hält er nicht viel. Denn «auch ein Skalpell kann als tödliche Waffe eingesetzt werden», sagt er.

Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im deutschen Parlament, plädiert ebenfalls für weitreichendere Befugnisse für die Polizei. Aber er geht noch weiter. «Die einzig richtige Reaktion auf diese Gewaltexplosion wäre eine restriktivere Asylpolitik», sagt er. «Deutschland braucht die Migrationswende.» Denn «ausgerechnet Syrer, Afghanen, Iraker und Türken», die bei Messerangriffen zu den häufigsten Tatverdächtigen zählen, seien «auch bei den unerlaubten Einreisen jeden Monat ganz vorne dabei». Das sei alles längst bekannt. Und doch scheue die deutsche Regierung das Thema.

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