Mittwoch, Oktober 23

Im Kantonsrat will eine starke Minderheit aus SVP und GLP die Neubauvorhaben für Gerichte in Winterthur und Hinwil zurückweisen.

Der Zürcher Regierungsrat tritt bei Investitionen kräftig auf die Bremse. Neben anderem will er an sich unbestrittene Vorhaben wie das Tram Affoltern und den Bau der Kantonsschule im Knonauer Amt hinausschieben. Das wurde mit dem Budgetentwurf 2025 bekannt.

Einen Vorgeschmack auf das neue Regime erlebte im Frühling das Bezirksgericht Horgen. Ohne Vorwarnung und mit wenigen Zeilen teilte das kantonale Immobilienamt ihm mit, das Projekt für einen dreigeschossigen Anbau sei wegen der finanziellen Situation des Kantons gestoppt worden.

Noch kurz zuvor waren die Pläne auf der Gemeinde Horgen öffentlich aufgelegt. Mit Kosten von 6,4 Millionen Franken geht es um ein vergleichsweise kleines Vorhaben im riesigen Immobilienpark des Kantons. Als Grund für das abrupte Aus wurde angeführt, das Personalwachstum sei statt mit mehr Fläche durch eine dichtere Belegung aufzufangen.

In der Regel amtet die Zürcher Gerichtsbarkeit in ihren eigenen Gebäuden. Das Bezirksgericht Horgen hat das Pech, dass es in einer Liegenschaft eingemietet ist, die dem Kanton gehört. Als unabhängige Staatsgewalt sei sie grundsätzlich frei, eigene Bauprojekte zu realisieren, hiess es im Frühling seitens der kantonalen Baudirektion.

Sozialgericht ist eingemietet – ein Problem für die Unabhängigkeit?

Doch diese Freiheit hat Grenzen. Voraussichtlich am Montag berät der Kantonsrat gleich zwei Neubauprojekte für Gerichte, die umstritten sind. Für knapp 44 Millionen Franken soll das Bezirksgericht Hinwil einen Neubau erhalten. 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erledigen dort im Jahr rund 2800 Verfahren. Das heutige Gerichtsgebäude stammt aus dem Jahr 1950 und wurde 2003 umgebaut.

Knapp 41 Millionen Franken kostet in Winterthur der Neubau für das Sozialversicherungsgericht. Neben dem Platzbedarf führt es ein weiteres Argument an. Das Gericht ist in einem Gebäude eingemietet, das der Schweizer Unfallversicherung gehört. Die Suva tritt aber regelmässig als Partei vor dem Sozialversicherungsgericht auf. Das Mietverhältnis könnte den Anschein der Abhängigkeit erwecken und wird als «nicht optimal» beurteilt.

Zwar befürwortet eine Mehrheit von 9 zu 6 Mitgliedern in der vorberatenden Planungs- und Baukommission des Kantonsrats die beiden Vorlagen. Aber eine starke Minderheit aus SVP und GLP will diese zurückweisen. Hauptgrund ist die beanspruchte Fläche pro Arbeitsplatz.

Zum Bezirksgericht Hinwil schreibt die Minderheit in ihrem Antrag, die Standards für Büroflächen würden massiv überschritten, und weiter: «Die Zeiten von Luxusbauten sind vorbei.» Der Satz steht zwar im Zusammenhang mit der generellen Priorisierung der Investitionen durch die Regierung. Doch er dürfte ebenso auf das Gericht im Oberland gemünzt sein.

Zwar machen beide Bauprojekte in der Visualisierung nicht den Eindruck von Prunk, eher von nüchternen Zweckbauten. Zum Projekt in Winterthur gaben jedoch die eingeplanten Reserven zu reden. Die Justizkommission schaltete sich in die Beratungen ein, befürwortete zwar eine Redimensionierung, hielt aber auch fest, in der Vergangenheit seien Gerichtsgebäude wiederholt zu knapp geplant worden.

Um dem Druck zu begegnen, erklärte sich das Sozialversicherungsgericht bereit, ein Stockwerk des Neubaus an das benachbarte Bezirksgericht Winterthur zu vermieten. Das geht aus dem Antrag der Planungs- und Baukommission hervor, der das Gericht eine entsprechende schriftliche Absichtserklärung zukommen liess. Dennoch wollen SVP und GLP auch diese Vorlage zurückweisen.

Gilt die Büronorm auch für Gerichte?

Wie fragil die Angelegenheit politisch ist, zeigt sich daran, dass die FDP im Rat dem Rückweisungsantrag ohne weiteres eine Mehrheit verschaffen könnte. Es ist Zufall, und niemandem wird etwas unterstellt: Für die Gerichte mag es eine glückliche Fügung sein, dass Thomas Vogel, der frühere FDP-Fraktionschef im Kantonsrat, heute stellvertretender Generalsekretär des Obergerichts ist.

Auf jeden Fall wird die Frage der Büroflächen zu reden geben. Obergericht und Sozialversicherungsgericht äussern sich nicht zur Kritik aus dem Kantonsrat. In gleichlautenden Antworten erklären sie, derzeit fänden mit der Baudirektion konstruktive Gespräche zum Flächenstandard statt. Während des laufenden Verfahrens würden keine Anfragen beantwortet.

Im Mai 2023 senkte der Regierungsrat den bisherigen Standard von 2005 um 20 Prozent. Neu gilt in der kantonalen Verwaltung statt eines maximalen Anspruchs von 14,5 Quadratmeter pro Arbeitsplatz der Wert von 11,6 Quadratmeter pro Mitarbeiterin oder Mitarbeiter. Der Standard lässt sich also auch erfüllen, indem nicht mehr alle Angestellten einen eigenen Arbeitsplatz haben.

Laut dem Antrag der kantonsrätlichen Kommission hat das Obergericht den Standard für Büroflächen für die Bezirksgerichte bereits 2023 dem neuen Wert angeglichen, der für die Verwaltung gilt. Allerdings wurden die Gerichtsgebäude in Winterthur und Hinwil bereits geplant, lange bevor davon die Rede war.

Ausserdem fallen die Gerichte explizit nicht unter die kantonale Immobilienstrategie. Die geplanten Neubauten werfen die grundlegende Frage auf, was es für die Gerichtsbarkeit als eigenständige Staatsgewalt bedeutet, dass eine andere Staatsgewalt die Mittel bewilligt, die sie für die Erfüllung ihrer Aufgabe benötigt.

Der Klärungsbedarf ist gross genug, dass die Kommission für Planung und Bau mit einem dringlichen Postulat den Regierungsrat auffordert, eine Verordnung auszuarbeiten, die den Büroflächenstandard der Gerichte regelt. Die Debatte über den Vorstoss ist am 28. Oktober als erstes Traktandum geplant.

Später werden voraussichtlich Flurina Schorta, die Präsidentin des Obergerichts, und Erich Gräub, der Präsident des Sozialversicherungsgerichts, ihre Bauvorhaben vor dem Rat vertreten. Die Gerichte stellen ihre Anträge direkt dem Parlament, ohne Einbezug der Regierung.

Die Debatte dürfte spannend werden. Dass zwischen Legislative und Judikative nicht immer eitel Sonnenschein herrscht, ist jedoch nicht neu. So sind die Gerichte auch darauf angewiesen, dass ihnen das Parlament die nötigen Stellen bewilligt.

Das junge Sozialversicherungsgericht wurde Mitte der 1990er Jahre bewusst klein gegründet. Danach wuchs der Berg an Pendenzen rasch an. Gleichwohl verweigerte das Parlament lange die beantragten zusätzlichen Richterstellen. Zum Eklat kam es 2015, als der Rat dem Verwaltungsgericht in der Budgetdebatte 190 000 Franken strich. Dessen Präsident erklärte, er werde persönlich die Kürzung ausgleichen.

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