Ein Autokino in Utah zeigt den Monumentalfilm «Die zehn Gebote» (1958). Bild: J.r. Eyerman / LIFE
Marilyn Monroe, Marlon Brando, Elizabeth Taylor – das Fotomagazin «Life» hatte die ganz grossen Hollywood-Stars vor der Kamera. Ein neuer Bildband zeigt kaum bekannte Bilder aus dem Archiv der Zeitschrift, mehr als die Hälfte wurde noch nie publiziert.
Man muss sich das einmal vorstellen: Wer erfahren möchte, was in der Welt passiert, muss eine Zeitung kaufen. Radio gibt es, aber das Fernsehen noch nicht. Spielfilme laufen nur im Kino, und von den Schauspielern, die dort mitspielen, weiss man kaum etwas. Heute, im digitalen Zeitalter, ist das alles undenkbar, inzwischen sprechen Stars in selbstgedrehten Videos zu ihren Fans. In einer Zeit, in der Nachrichten noch vor allem auf Papier verbreitet wurden, war eine Zeitschrift das heutige Instagram: «Life», die Ikone des Fotojournalismus, die das Bild von Hollywood nachhaltig prägte.
Henry Luce, bereits Verleger von «Time» und «Fortune», rief das Magazin 1936 ins Leben. Er erwarb die Namensrechte der 1883 gegründeten Zeitschrift «Life», die ursprünglich für Cartoons bekannt war und dann eingestellt wurde. Nachdem Luce das Blatt übernommen hatte, änderte er das Konzept radikal. Er setzte ganz auf die Kraft der Fotos.
Luce hatte erkannt, dass Fotos die Leser emotional viel stärker berühren können als ein Text. Fortan arbeiteten die besten Fotografen für das Blatt, unter ihnen Robert Capa, Henri Cartier Bresson oder W. Eugene Smith, und sie alle lieferten eindrückliche, teilweise schockierende Bilder, etwa aus dem Zweiten Weltkrieg oder aus Vietnam. Das Motto der Zeitschrift lautete: «Das Leben sehen; die Welt sehen; Augenzeuge grosser Ereignisse sein.»
Diese Neuausrichtung kam gerade zur rechten Zeit, da sie in die goldene Ära Hollywoods fiel. Damals wurden einige der berühmtesten Filme der Geschichte gedreht, etwa «Vom Winde verweht» (1939), «Citizen Kane» (1941) und «Casablanca» (1942). Schon in den 1920er Jahren war die Kultur des Stars entstanden, die einen Hunger nach Fotos ausgelöst hatte. Plötzlich kam Schauspielerinnen und Schauspielern bei der Filmproduktion eine zentrale Rolle zu. Stars wie Clark Gable, Katharine Hepburn, Humphrey Bogart und Ingrid Bergman wurden auf der ganzen Welt bekannt; einige Stars wurden von ihren Fans regelrecht vergöttert.
Bald prägten deshalb auch Fotos der Stars und aus dem Innenleben der Traumfabrik die Zeitschrift. Hiervon profitierten beide Seiten. Grosse Filmstudios und Schauspieler öffneten für das Magazin bereitwillig ihre Türen, da sie wussten, dass «Life» keine Skandale suchte, sondern sie in einem positiven Licht darstellen würde.
Die exklusiven Fotos, die dadurch entstanden, bescherten «Life» viele Leser. In den 1940er und 1950er Jahren lagen die Abonnentenzahlen bei etwa 8,5 Millionen, zeitweise erreichte das Magazin einen von drei Amerikanern. «Life» war damit eine der meistgelesenen und einflussreichsten Publikationen der Welt und hatte einen wesentlichen Anteil an den Karrieren vieler Stars.
Viele dieser Bilder sind nun in einem zweibändigen Fotobuch zu sehen. «Life. Hollywood» aus dem Taschen-Verlag zeigt mehr als 600 Fotos aus dem Archiv des Magazins, darunter viele, die bisher noch nicht veröffentlicht wurden. Der erste Band widmet sich der goldenen Ära Hollywoods (1936–1950), der zweite dem «neuen Hollywood» (1950–1972).
«Life» feierte die glamourösen Seiten Hollywoods – aber nicht nur. Die Leser sollten sehen, dass die Filmindustrie eine wirkliche Industrie mit echten Arbeiterinnen und Arbeitern sei, die zum wirtschaftlichen Erfolg der USA beitrügen, schreibt die amerikanische Schriftstellerin und Kritikerin Lucy Sante in ihrem Essay.
Die Fotos zeigten daher, wie am Filmset gearbeitet wurde. Zu sehen war, wie aufwendige Kulissen gebaut wurden, Kameramänner auf Kränen sassen, Schauspielerinnen ihr Skript lasen und Tontechniker in der Wüste ihr Mikrofon in die Höhe reckten.
«Life» sollte ein Magazin für die gesamte Familie sein. Die Fotos hätten deshalb nicht allzu sexy sein dürfen, schreibt Lucy Sante; vielmehr sollten sie leicht, echt und alltäglich wirken. Katharine Hepburn hockt auf einer Sessellehne, Gary Cooper balanciert auf einem Baumstamm über einen Bach in Idaho, und Errol Flynn klettert auf seinem Segelboot herum. Maureen O’Hara wurde zwar im Bett fotografiert, allerdings sittsam in Leggings, weisser Pelzjacke und mit Nähzeug. Der Star war im Grunde ein Wesen wie du und ich.
Doch wie jede Ära endet irgendwann auch die glanzvollste Zeit. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs stand man nicht nur vor neuen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen, auch die Gesellschaft und damit Hollywood und «Life» befanden sich im Umbruch.
So wurden nach und nach immer mehr unabhängige Produktionsfirmen gegründet; 1957 lag ihr Anteil an neuen Filmen bei 50 Prozent. Grosse Filmstudios wie MGM, Paramount oder Warner Bros. verloren dadurch ihre Vormachtstellung. Auch der Medienkonsum veränderte sich. Der Fernseher gewann an Bedeutung, 1954 besassen 55 Prozent der Haushalte in den USA ein solches Gerät. Viele Menschen schauten Filme nun lieber zu Hause statt im Kino. Auch das Interesse an Stars schwand.
Diese Entwicklung bekam auch «Life» zu spüren. Seine Hollywood-Berichterstattung erreichte in den 1950er Jahren ihren Höhepunkt, ab dann wurde es weniger. In dieser Zeit begann das Magazin, auch die düstere Realität hinter der schönen Fassade zu beschreiben. Im Heft fanden sich nun Berichte über Stars, die an Depressionen litten oder drogenabhängig waren. «Life» wurde auch internationaler. Die Zeitschrift schrieb über die Regisseure Federico Fellini oder François Truffaut; eine Reportage widmete sich der sowjetischen Filmindustrie.
In den 1960er und 1970er Jahren hatte «Life» zwar noch immer mehr als acht Millionen Abonnenten. Herstellung und Versand der hochwertigen Fotozeitschrift wurden für den Verlag aber zu teuer, zudem ging die Zahl der Käufer am Kiosk zurück. 1972 wurde daher die wöchentliche Erscheinungsweise aufgegeben. Ab 1978 kam das Magazin monatlich heraus, im Jahr 2000 wurde es ganz eingestellt.
Mit dem Aufstieg der sozialen Netzwerke und der Allgegenwart von Handykameras ist die Macht der Bilder demokratisiert worden. Heute sind nur noch wenige Fotos exklusiv. Jeder kann Bilder teilen – in Echtzeit und mit globaler Reichweite.
Trotzdem reicht das Vermächtnis des Magazins bis in die Gegenwart. «Life» hat unsere Ideale von Schönheit, Erfolg und Ruhm mitgeprägt. Diese Ideale gelten auch auf Instagram.
LIFE. Hollywood (Verlag TASCHEN); Hardcover, 2 Bände im Schuber, 26.5 x 36 cm, 7.5 Kilogramm, 708 Seiten, 200 CHF/200 EURO