Montag, November 25

Am Sonntag wird wieder an der Uhr gedreht, obwohl sich Energieeinsparungen als Illusion erwiesen. EU-Instanzen geben sich gegenseitig die Schuld. Würde die Schweiz wieder zur «Zeitinsel»?

Es gibt in der europäischen Gesetzgebung ein paar Ladenhüter, die zwar nicht umgesetzt sind, aber dennoch nicht verschwinden wollen. Und das, obwohl sie einen unmittelbar spürbaren Einfluss aufs Leben der Bürgerinnen und Bürger hätten. Dazu gehört die Abschaffung der Zeitumstellung.

Die EU-Kommission schlug 2018 vor, das Drehen an der Uhr per 2019 aufzuheben. Auch das EU-Parlament schloss sich im Frühling 2019 dieser Position an und wollte den Wechsel 2021 vollziehen. Doch passiert ist nichts, Europas Bürger «gewinnen» auch diesen Sonntagmorgen wieder eine Stunde Schlaf. Warum?

Mit der Beseitigung der Zeitumstellung wollen Kommission und Parlament den Unternehmen die Planung erleichtern und die Bevölkerung von der verwirrlichen Umstellung entlasten. Zudem löst sie bei manchen Personen und Tieren gesundheitliche Beschwerden aus. Vor allem aber hat sich über die Jahre gezeigt, dass die eigentlich erwünschten Energieeinsparungen äusserst begrenzt oder gar inexistent sind.

Seit 2019 nie mehr auf der Agenda

Zwei Elemente sind im Vorschlag zur neuen Richtlinie zentral: Die halbjährliche Zeitumstellung muss beendet werden, und die Mitgliedsländer haben sich für eine der beiden Zeiten zu entscheiden – also entweder die Sommer- oder die Winterzeit. Welche, das kann jeder Staat selber entscheiden, wobei sich benachbarte Länder untereinander absprechen sollen.

Genau da liegt der Hund begraben. Seit Jahren ist das Gesetzesprojekt im Rat der Europäischen Union, also bei den Mitgliedstaaten, blockiert. Von offizieller Seite heisst es dort lediglich: «Der Rat hat sich zum Vorschlag der Kommission noch nicht geäussert.»

Das stimmt zwar, ist aber nur die halbe Wahrheit. Ganz offensichtlich hält sich die Lust der Mitgliedstaaten in engen Grenzen, das Anliegen überhaupt zu besprechen. Der zuständige Rat für Verkehr, Telekommunikation und Energie befasste sich zuletzt im Herbst 2019 mit dem Anliegen – unter dem Traktandum «Sonstiges». Seither herrscht offiziell Funkstille, kein Ratspräsidium hat es in den letzten fünf Jahren auf die Agenda gesetzt.

Bis zehn Uhr dunkel?

Dem Vernehmen nach können oder wollen sich die EU-Staaten nicht entscheiden, welcher Standardzeit sie künftig angehören wollen – und wie sie sich in ein nachbarschaftliches Konstrukt einbetten wollen, das einen europäischen Flickenteppich verhindert und dennoch alle einigermassen zufriedenstellt.

Ein Beispiel: Gälte in der gesamten EU das ganze Jahr die Sommerzeit, wäre es im Winter im Westen des Kontinents bis kurz vor 10 Uhr dunkel. Gälte die Winterzeit, wäre es im Sommer im Osten bereits um 3 Uhr hell. Die betroffenen Länder könnten diese Extreme abfedern, indem sie sich für die entsprechend andere Standardzeit entscheiden – aber es bleibt dabei, dass der Status quo mit der halbjährlichen Umstellung für einige Länder angenehmer ist.

Dabei hatte sich 2018 in einer Umfrage, auf die es 4,6 Millionen Rückmeldungen gab, eine überwältigende Mehrheit von 84 Prozent für die Abschaffung der Zeitumstellung ausgesprochen. Die Befragung hat allerdings einen wesentlichen Makel: Es hatten fast ausschliesslich Deutsche und Österreicher, die seit je skeptisch sind, teilgenommen.

Die Schweiz als einstige «Zeitinsel»

Das Nicht-EU-Land Schweiz war naturgemäss nicht eingeladen, das Ergebnis wäre allerdings kaum anders ausgefallen. 1978 lehnte die Bevölkerung in einer Referendumsabstimmung die Einführung der Sommerzeit und damit den Gleichschritt mit der damaligen Europäischen Gemeinschaft ab.

Als sämtliche Nachbarländer zwei Jahre später die Umstellung vollzogen, war das Chaos perfekt: Die SBB fuhren nach einem teuren Notfahrplan, zahlreiche Betriebe richteten sich nach deutscher Zeit, Grenzgänger arbeiteten in Sonderschichten. Weil das Leben auf der «Zeitinsel» auf die Dauer untragbar wurde, führte schliesslich auch die Schweiz 1981 die Änderung ein – obwohl ein damals junger Nationalrat namens Christoph Blocher weiterhin gegen das «Zeitdiktat aus Brüssel» wetterte.

Es brauchte nicht einmal Einstimmigkeit

Auch heute würde die Schweiz eine Änderung auf EU-Ebene wohl nachvollziehen, obwohl sie nicht verpflichtet wäre. Doch so weit ist es noch längst nicht. Der Rat der EU und die Kommission schieben sich gegenseitig die Schuld für die Verzögerung in die Schuhe: «Viele Mitgliedstaaten sind der Ansicht, dass eine von der Kommission erstellte Folgenabschätzung erforderlich sei, bevor sie sich eine Meinung bilden könnten», sagt der Sprecher des Verkehrsrates.

Davon jedoch will die Kommission nichts wissen. «Wir sind der Ansicht, dass die verfügbaren Daten, auf die in der Begründung verwiesen wird, eine ausreichende analytische Grundlage für gesetzgeberische Massnahmen in Bezug auf die saisonale Zeitumstellung bieten», heisst es dort. Zudem habe es nie einen formellen Antrag vonseiten des Rates gegeben, sondern lediglich «einige Ermunterungen von bestimmten Delegationen».

Kurz: Es sieht nicht so aus, als nähme der Stillstand ein baldiges Ende. Für die Einführung der Richtlinie wäre zwar nur eine qualifizierte Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten notwendig und keine Einigkeit, aber selbst eine solche ist derzeit nicht in Sicht. Und so werden Europas Bürger wohl noch länger zweimal pro Jahr sonntagmorgens an ihrer Uhr drehen, sofern die Smartwatch dies nicht schon längst für sie erledigt hat.

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