Die Zuwachsrate der globalen Liquidität nimmt ab, und es eröffnet sich eine Divergenz zu den bisweilen euphorischen Aktienmärkten. Das verspricht in den kommenden Wochen weitere Turbulenzen, die Voraussetzungen für eine Baisse sind aber noch nicht gegeben.
Wichtige Treiber der von den Zentralbanken bereitgestellten Liquidität verlieren seit einiger Zeit global an Momentum. Insbesondere wirkt das «Quantitative Tightening», also die Schrumpfung der Bilanz des Federal Reserve, der Europäischen Zentralbank sowie der Bank of England, vermehrt dämpfend auf die Liquiditätsversorgung. Die tendenziell stabilen bis leicht wachsenden Bilanzen der japanischen und chinesischen Notenbank vermögen diesen Trend nicht zu kompensieren.
Diese Entwicklungen sollten Investoren bei taktischen Anlageentscheidungen rund um den Jahreswechsel im Auge behalten, da die Aktienkurse wesentlich von Liquiditätsflüssen getrieben sind.
Neben der Schrumpfung der Bilanzen wirken auch die seit September wieder anziehenden Zinsen für langfristige US-Staatsanleihen indirekt liquiditätsmindernd. Schliesslich fliessen auch praktisch keine Gelder mehr von der «Overnight Reverse Repo Facility» (Überschussreserven der Banken und Geldmarktfonds beim Fed) an die Finanzmärkte.
Mittelfristiger Trend zeigt nach oben
Allerdings wirken diese Veränderungen der Zentralbankliquidität nur indirekt auf die für die Finanzmärkte relevanten Geldmengen, insbesondere die breite Geldmenge M2. Letztere reflektiert zwar die Wirkung der Zentralbankliquidität im Finanzsystem, aber mit einer Verzögerung von mehreren Monaten. Und hier ist der langfristige Anstieg noch intakt, trotz einem leichten Rückgang in den vergangenen Wochen.
Dies bestätigt auch der in der Grafik gezeigte globale Liquiditätsindikator (M2 aggregiert in den USA, Eurozone, China, Japan und Grossbritannien, dunkelblaue Kurve). Die Geldschöpfung durch das private Bankensystem bleibt im mittelfristigen Trend intakt, und somit ist die Geldversorgung insgesamt gut. Zudem helfen die Leitzinssenkungen in den USA, Europa und China.
Trotzdem ist in der Grafik eine kleine, aber beachtenswerte Divergenz zum Aktienmarkt (hellblau) zu erkennen. Der US-Aktienmarkt hat kürzlich ein Allzeithoch erreicht, aber der M2-Liquiditätsindikator fällt seit Anfang Oktober. Dieser jüngste Rückgang des Indikators ändert zwar, wie erwähnt, noch nichts am langfristigen Aufwärtstrend der Geldmengen. Dennoch stellt die Divergenz zu den Aktienmärkten ein kurzfristiges markttechnisches Warnsignal dar, das in den kommenden Wochen zu einer deutlich höheren Volatilität und einer potenziell durchaus heftigen Marktkorrektur führen könnte.
Ein generelles Verkaufssignal ist damit allerdings noch nicht gegeben. Hier muss zuerst ein Rückgang der Geldmengen M2 in den USA und Europa, die gegenwärtig noch steigen, abgewartet werden. Weitere Verkaufssignale wären ein weiterer Anstieg der Rendite für zehnjährige Staatsanleihen in den USA, Grossbritannien und Frankreich sowie ein abermaliger Anstieg der Inflationsraten.
Wertet China den Yuan ab?
Zudem sollte beachtet werden, dass China eine deutliche Abwertung des Yuan angekündigt hat, falls die USA die Importzölle für chinesische Güter anheben sollten. Die Währungsabwertung würde den Effekt höherer Zölle mehrheitlich ausgleichen. Diese Ankündigung ist bemerkenswert, da die Geldpolitik der People’s Bank of China trotz massivem deflationärem Druck in China bisher nur unzureichend gelockert wurde, um den Yuan nicht zu stark zu schwächen.
Somit wird aber eine signifikante Lockerung der Geldpolitik mit dem Ziel einer Yuan-Abwertung in absehbarer Zeit wahrscheinlicher. Das hätte nicht nur eine positive Wirkung auf die chinesische und globale Konjunktur, sondern auch auf die globale Liquiditätsversorgung. Die erwähnte Divergenz des globalen M2-Liquiditätsindikators zu den Aktienmärkten wäre dann schnell aufgehoben.
Voraussetzungen für eine Baisse sind nicht gegeben
Damit bleibt das Warnsignal der Divergenz zwar kurzfristig relevant und sollte durchaus beachtet werden, gerade weil die derzeit äusserst euphorische Anlegerstimmung und der hohe Investitionsgrad am Aktienmarkt zusätzliche Gründe für markttechnische Korrekturen darstellen. Aber für einen langfristigen Bärenmarkt sind die Voraussetzungen bezüglich der Liquiditätsversorgung nicht gegeben.
Deshalb könnte es sich für kurzfristig orientierte Investoren derzeit lohnen, taktisch Risiko in den Portfolios zu reduzieren, obwohl der langfristige Aufwärtstrend der Börsen vorerst nicht gebrochen ist.
Und weiterhin gilt, dass die Konjunkturentwicklung für die Aktienmärkte nur eine untergeordnete Rolle spielt. Die Aktienmärkte laufen der Konjunktur voraus und werden in erster Linie von Liquiditätsflüssen getrieben.
Beat Thoma
Beat Thoma ist Chief Investment Officer und Leiter des Investment Office bei Fisch Asset Management in Zürich. In seiner Rolle ist er verantwortlich für die Erarbeitung und Umsetzung der Anlagepolitik. Vor seinem Eintritt bei Fisch Asset Management im Jahr 2000 war er 14 Jahre lang bei der UBS und der Security Pacific Bank in Genf verantwortlich für den Handel und Verkauf von Wandelanleihen. Thoma publizierte Research zu Börsenzyklen sowie zwei Bücher zur Chaostheorie und dynamischen Systemen an den Finanzmärkten. Er verfügt über einen Abschluss in Mathematik und Ökonomie der Universität Zürich.