Die US-Zölle gefährden das globale Wachstum. Doch Ökonomen sehen die grösste Bedrohung in der Unsicherheit, die Donald Trump sät. Sie wird die Weltwirtschaft lähmen und die Börsen unter Druck setzen.
Es ist Donnerstag um 16 Uhr 25 in Washington, und die Welt scheint noch in Ordnung zu sein. Donald Trump spricht seit wenigen Minuten an seiner lange erwarteten Pressekonferenz über neue Zölle. Doch an den Börsen bleibt die Stimmung optimistisch. Investoren setzen auf steigende Kurse – die S&P 500 Futures, welche die erwartete Entwicklung des wichtigsten amerikanischen Aktienindex anzeigen, stehen 1,7 Prozent im Plus.
Dann, um 16 Uhr 26, wendet sich Trump an seinen Handelsminister Howard Lutnick und fragt nach der vorbereiteten Tabelle. Lutnick reicht ihm ein Poster mit der Aufschrift «Reciprocal Tariffs» – «gegenseitige Zölle». Die Fernsehkamera zoomt auf das Papier, während Trump beginnt, die beschlossenen Importzölle für verschiedene Länder vorzulesen.
Wie ein Hammerschlag
Jeder Ländername, jede Zahl trifft die Investoren wie ein Hammerschlag. Sie erleben live den Beginn eines neuen globalen Handelskriegs. Innert der folgenden nur 16 Minuten verliert der Börsenindex S&P 500 über zwei Billionen Dollar an Wert, wie amerikanische Finanzexperten später ausrechnen werden. Das sind 125 Milliarden Dollar pro Minute – mehr als das jährliche Bruttoinlandprodukt von Ländern wie Bulgarien oder Uruguay.
Doch damit nicht genug. Gleichzeitig sackt der Dollarkurs ab. Der Grund: Während Trump einen Ländernamen nach dem anderen von seinem Poster abliest, schwindet der Glaube der Investoren «an das langfristige Wirtschaftspotenzial der USA». Das schreiben nicht die üblichen Kritiker von Trump. Sondern das konservative «Wall Street Journal».
Die Kursstürze werfen zentrale Fragen auf: Werden die Märkte diesen Schock so schnell verdauen wie frühere Krisen? Endet nun der jahrzehntelange globale Aufwärtstrend bei den Aktien? Kann Donald Trump die Weltwirtschaft nach seinem Gutdünken zugunsten der USA umkrempeln? Oder basiert seine Strategie auf einem völlig falschen Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge?
Kein gutes Ende in Sicht
Nimmt man die Analysen und Prognosen von Wirtschaftsexperten zur Hand, sieht die Zukunft düster aus. Ihr Urteil: Trumps Zollpolitik wird kein gutes Ende nehmen.
Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) hat durchgerechnet, was Trumps Zölle für die Weltwirtschaft bedeuten. Das Resultat: ein «massiver Schock» für die Weltwirtschaft, mit einem Preisschub und einer wahrscheinlichen Rezession in den USA. Diese wiederum könnte die globalen Aktienmärkte mit nach unten reissen. Die amerikanische Bank J. P. Morgan hat die Wahrscheinlichkeit einer globalen Rezession im Jahr 2025 auf 60 Prozent taxiert. Sie bezeichnet die jüngsten Zollerhöhungen als Entwicklung, «die weitreichende wirtschaftliche Störungen verursachen könnte».
Die Zölle selbst sind für viele Wirtschaftswissenschafter nicht einmal die grösste Sorge. Mathias Hoffmann, Handels- und Finanzexperte an der Universität Zürich, sieht eine weit grössere Gefahr: die Unsicherheit. Sie hat sich in den letzten Wochen zum beherrschenden Thema in den Führungsetagen der globalen Wirtschaft entwickelt.
Unsicherheit habe eine korrosive Wirkung auf die Wirtschaft, sagt er. «Das zeigt die ökonomische Forschung der letzten fünfzehn Jahre eindeutig.» Unsicherheit führt dazu, dass Firmen in Schockstarre verfallen. Denn wie sollen sie entscheiden, ob sie Millionen in eine neue Fabrik investieren, wenn unklar ist, wie sich die politischen oder die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den nächsten Monaten entwickeln?
Irgendwann «sitzen alle auf ihren Händen», wie es Hoffmann formuliert. Hält die momentane Unsicherheit längerfristig an, sind die Folgen klar: «Dann gerät die Wirtschaft unausweichlich in eine Rezession.»
Manfred Elsig, Handelspolitikexperte und Professor an der Universität Bern, sieht die Lage ähnlich düster wie Hoffmann. Denn die Verunsicherung werde so schnell nicht abklingen. Der Grund: Trumps jetzige Zollpolitik unterscheide sich markant von jener seiner ersten Amtszeit. Damals habe er Zölle als Druckmittel genutzt, um Gegner – allen voran China – zu Verhandlungen zu zwingen, erklärt Elsig.
Inzwischen sind die Zölle für Trump jedoch zur Allzweckwaffe geworden. Mit ihnen will er nicht nur die Industrie ins Land zurückholen. Er und seine Berater sehen sie auch als eine interessante Einnahmequelle für den Staat. Elsigs Fazit: Zölle sind zu einem Teil des neuen amerikanischen Wirtschaftssystems unter Trump geworden. Darum werden sie nicht so schnell aufgeweicht oder gar gestrichen werden. Das verlängert die lähmende Unsicherheit – und steigert die Gefahr massiver wirtschaftlicher Schäden.
Nicht völlig irrational
Der Wirtschaftsprofessor Mathias Hoffmann hält viele von Trumps Erwartungen für verfehlt. «Mit Zöllen lässt sich kein moderner Staatshaushalt finanzieren», sagt er etwa. Dennoch findet er Trumps Vorgehen nicht völlig irrational. Die neueste ökonomische Forschung zeige nämlich, dass Zölle nicht alle Länder gleich stark träfen.
«Entscheidend ist die Grösse des Binnenmarkts», erklärt Hoffmann. Bei riesigen Märkten wie China oder den USA bleibe global agierenden Unternehmen keine Wahl: Ein Rückzug komme für sie nicht infrage. «Ein deutscher Autohersteller baut dann lieber eine Fabrik in den USA, statt den Markt wegen der Zölle aufzugeben», sagt er.
Da sich andere Unternehmen Ähnliches überlegen, entstehen Cluster – Ansammlungen von Firmen aus ähnlichen Branchen, die wiederum die Produktivität aller Unternehmen steigern. Das kann die Wirtschaft eines Landes wie der USA oder Chinas durchaus stärken, wie Hoffmann erklärt. Trumps Politik sei damit «weniger selbstschädigend, als manche annehmen».
Dennoch glaubt Hoffmann nicht an einen Erfolg. Nicht nur, weil die geschaffene Unsicherheit die Wirtschaft lähmt. Sondern auch, weil ebenso unklar bleibe, ob Trump die USA stärken wolle oder ob er vielmehr die Interessen einer oligarchisch agierenden Elite fördere. «Bei Trump und seinem Umfeld verschmelzen wirtschaftliches Eigeninteresse und aktuelle Politik auffällig», sagt Hoffmann. Sobald die Wähler merkten, dass sie darunter litten, könnten sie Trump an der Urne zur Rechenschaft ziehen.
EU muss Integration vorantreiben
In einer Welt der Zölle ist also die Grösse des Binnenmarktes von entscheidender Bedeutung. Das zeigt gemäss Hoffmann auch auf, was die erfolgversprechendste Gegenreaktion Europas ist: Sie muss die eigene wirtschaftliche Integration vorantreiben. Die Zölle gegen die EU erscheinen im Vergleich zu anderen Ländern zwar relativ moderat. Doch an seiner Pressekonferenz machte Trump deutlich, was er von der EU hält: «Sie zockt uns ab, es ist erbärmlich.»
Die EU kann laut Hoffmann reagieren, indem sie zum Beispiel die sogenannte Kapitalmarktunion vorantreibt, ein Projekt, das den freien Fluss von Investitionen innerhalb Europas fördern soll. Ökonomen fordern dies schon seit langer Zeit, die europäische Politik hat das Anliegen aber immer wieder auf die lange Bank geschoben. Eine stärkere Integration des Kapitalmarktes würde laut Hoffmann dafür sorgen, dass europäische Firmen einfacher an Kapital kommen.
Am Donnerstag forderte auch Christine Lagarde dazu auf, das Projekt voranzutreiben. Es könne der EU massive Wohlstandsgewinne bringen, sagte die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB). Gleichzeitig muss Europa laut Lagarde an einer Alternative zu den amerikanischen Kreditkarten Visa und Mastercard arbeiten.
Weil die Bedeutung eines funktionierenden Binnenmarktes so enorm ist, sollte die EU laut Hoffmann noch anderes Potenzial heben. So seien der Handel und die wirtschaftliche Mobilität zu erleichtern. Dies geschieht etwa durch eine einfachere Anerkennung von Berufsabschlüssen, klarere Regeln für Produktstandards statt komplizierter Etikettierungsvorschriften oder durch die Abschaffung von Hürden für Dienstleister, die in unterschiedlichen EU-Ländern arbeiten wollen.
In Brüssel erhält zudem der Gedanke Auftrieb, Zölle auf amerikanische Dienstleistungen zu erheben, etwa auf die digitalen Angebote von Google, Apple und anderen Tech-Riesen. Der renommierte Handelsökonom Simon Evenett hat ausgerechnet: Würde man die gleiche Methode anwenden, mit der die Regierung Trump arbeitete, könnte die EU einen Digitalzoll von mindestens 10 Prozent einführen.
Schweiz muss mit Rahmenabkommen vorwärtsmachen
Auch die Schweiz muss sich Gegenmassnahmen überlegen. Sie ist gemäss dem Handelsökonomen Evenett die grösste Verliererin in Westeuropa. Die am Donnerstag verhängten Zölle gegen die Schweiz sind deutlich höher als jene gegen die EU. Am Freitag kündigt Trump an Bord der Air Force One zudem noch Zölle für die bislang verschonte Pharmaindustrie an. Das lässt die Schweizer Börse am Freitag einbrechen: Pharmazeutika machen laut der UBS 50 Prozent der Schweizer Exporte in die USA aus, das wirtschaftliche Schadenspotenzial ist enorm.
Die Schweiz steht laut Mathias Hoffmann nun vor einer ähnlichen Entscheidung wie die EU. Kleine Länder seien in der neuen Welt der Zölle massiv im Nachteil. «Die Schweiz muss darum mit dem EU-Rahmenabkommen vorwärtsmachen», sagt er. Der Berner Handelspolitikexperte Elsig zieht einen ähnlichen Schluss. Die Krise zeige, «wie wichtig Rechtssicherheit und der europäische Markt für die Schweiz sind», sagt er. Die kommende, ökonomisch instabile Zeit werde den Bemühungen Auftrieb geben, die bilateralen Beziehungen mit Europa zu stärken.
Am Ende dieser historischen Woche hat der amerikanische Börsenindex S&P 500 9 Prozent verloren – die Ernte der Unsicherheit, die Trump am Vortag gesät hatte.
Zum Schluss seiner Pressekonferenz wendet sich Donald Trump nochmals an sein Publikum. Heute sei ein Tag, «auf den ihr in den nächsten Jahren hoffentlich zurückblicken werdet», sagt er lächelnd. Das ist gut möglich. Doch hoffen möchte man es nicht. Denn dann würde dieser Tag nicht als Auftakt zu einer gloriosen Zukunft Amerikas gelten. Sondern als Mahnmal für den Absturz in eine globale Wirtschaftskrise.