Mittwoch, Oktober 2

Die ZSC Lions steigen als grosser Favorit und mit praktisch unverändertem Kader in die neue Saison. Kann das Team unter dem Coach Marc Crawford erstmals seit 24 Jahren zwei Titel in Serie gewinnen?

Drei Titel hat Marc Crawford in seiner langen Trainerkarriere gewonnen, davon zwei mit dem ZSC. Wenn man ihn fragt, wie lange man von so einem Triumph zehren könne, dann sagt er: «Bis zum ersten verlorenen Vorbereitungsspiel.» Im Fall der Zürcher waren das in diesem Sommer 116 Tage – das war die Zeitspanne zwischen dem 2:0-Sieg im siebenten Spiel der Play-off-Finalserie gegen Lausanne und einem 1:4 gegen Lugano Mitte August. Ein bedeutungsloser Test, gewiss, aber für einen Trainer, einen Hockey-Besessenen wie Crawford, Anlass genug, um sich zu ärgern. Und aufs Neue jenen Erfolgshunger zu entwickeln, der unerlässlich ist, um im Sport etwas reissen zu können.

In der freien Wildbahn können Löwen bis zu eine Woche ohne Nahrung überleben und sich dann satt essen. Vielleicht hilft diese Analogie: Zwischen den Meisterschaften von 2018 und 2024 lagen sechs Jahre. Da sollte genug Appetit für zwei Titel vorhanden sein.

Die grosse Frage ist, ob das Feuer der Kompetitivität im ZSC-Kollektiv ähnlich intensiv lodert wie im 63 Jahre alten Coach. Es ist dem ZSC in diesem Jahrhundert regelmässig zum Verhängnis geworden, dass die Mannschaft zur Genügsamkeit neigte.

Die für den ZSC am Dienstag in Biel beginnende National-League-Saison wird in dieser Hinsicht zu einem Charaktertest. Denn die Zürcher verfolgen auf ihrer Mission, den Titel zu verteidigen, eine unorthodoxe Strategie: Sie treten mit einem praktisch unveränderten Kader an, der einzige externe Zuzug ist der als siebter Ausländer eingeplante finnische Verteidiger Santtu Kinnunen. Das ist sehr wenig frisches Blut, aber das ist auch nichts weiter als ein Luxusproblem; anders gelagerte Schwierigkeiten kennt dieser Klub nicht.

Der ZSC versucht sich aus den eigenen Reihen zu erneuern

Der ZSC wählte diesen Weg teilweise aus praktischen Gründen – zum Zeitpunkt des Titelgewinns war der Transfermarkt de facto geschlossen. Dazu hat sich das Management um den Sportchef Sven Leuenberger schon während des Winters dafür entschieden, das Kader sanft zu renovieren: Die Routiniers Phil Baltisberger (zu den SCL Tigers), Simon Bodenmann (Rücktritt) und Reto Schäppi (Kloten) wurden verabschiedet. Ersetzt wurde das Trio mit Akteuren aus dem Farmteam GCK Lions, welches im Frühjahr den Play-off-Final der Swiss League erreichte. Es ist ein kostengünstiger Umbau, der Sinn ergibt: Der ZSC ist inzwischen die einzige Organisation, die sich ein eigenes Farmteam leistet.

Die wenigen Mutationen bedeuten auch, dass die Zürcher unverändert das beste, teuerste, breiteste Kader stellen. Ein National-League-Trainer sagt: «Bleibt der ZSC gesund, sehe ich niemanden, der diesem Team ernsthaft gefährlich werden kann. Eigentlich kann sich der ZSC nur selber schlagen.» Das scheint die vorherrschende Meinung zu sein, sie wird geäussert von Experten, hinter vorgehaltener Hand von grossen Teilen der Konkurrenz. Auch bei den Buchmachern sind die Zürcher Titelfavorit Nummer eins. Man traut ihnen von Ambri bis Zug zu, dass sie am Anfang einer Dynastie stehen.

Nur: Es ist schwierig, in dieser Liga einen Titel zu verteidigen. Im 21. Jahrhundert ist das nur drei Teams gelungen: Zug 2021 und 2022, dem SC Bern 2016 und 2017 und dem ZSC selbst, 2000 und 2001 unter den Trainern Kent Ruhnke und Larry Huras. Mit identischem Coach hat einzig Zug zweimal de suite reüssiert. Es war der Norweger Dan Tangnes, der heute sagt, sein Verein habe es nach dem zweiten Streich von 2022 verpasst, das Team zu erneuern; man sei satt und träge geworden. Und die Zusatzbelastung der Champions Hockey League (CHL) habe über weite Strecken der Saison einen regulären Trainingsbetrieb quasi verunmöglicht. Es sind Worte, die dem seit mehreren Wochen in der CHL engagierten ZSC eine Warnung sein müssten.

Wobei niemand Crawford alarmieren muss. Der Kanadier, der in mehr als 35 Jahren Trainertätigkeit jede Facette des Geschäfts erlebt hat, sagt: «Ein Titelgewinn verändert alles. Du wirst vom Jäger zum Gejagten. Damit muss man umgehen können.» Er redet aus Erfahrung: Weder mit Colorado in der NHL noch mit dem ZSC schaffte er es, zweimal in Serie Meister zu werden. In Zürich fehlte wenig: 2015 erreichte der ZSC den Final, scheiterte dort aber am Rekordmeister Davos; es war der letzte Titel der Ära Arno Del Curto. Crawford sagt: «Dieser Sport hat die Angewohnheit, dass er dich schnell auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Diese Liga ist so gut, es gibt so viele starke Teams. Wir stehen vor einer grossen Challenge.»

Es könnte die letzte Herausforderung seiner Trainerkarriere werden: Crawfords Vertrag endet 2025. Zu seiner Zukunft sagt er: «Ich bin 63 und sehr entspannt. In meinem Alter schaut man von Jahr zu Jahr. Entscheidend ist, ob man genug Energie hat. Der Job verlangt einem vieles ab. Irgendwann werden wir uns zusammensetzen und schauen, wo wir stehen.»

Als Meister hat der ZSC keine plakativen Trainerstützungsmassnahmen nötig

Aus Crawford spricht die Gelassenheit eines Champions. In Bern und Langnau wurde der Vertrag des Cheftrainers noch vor dem Saisonstart ohne Not verlängert; es waren Stützungsmassnahmen, um allfälligen Diskussionen vorzugreifen. Der Meister hat das derzeit nicht nötig, der ZSC weiss, was er mit Crawford hat: einen emotionalen Coach, der ein Flair dafür hat, Teams wachzurütteln, sollte das nötig sein.

Seit seiner Einstellung im Dezember 2022 hat Crawford dem ZSC einiges gebracht, sein womöglich wichtigstes Verdienst aber ist die Stabilität dieser Mannschaft: 110 Gegentore kassierte das Team in der Saison 2023/24, mit Abstand am wenigsten der Liga. Es war der beste Wert seit 2014/15, als der Trainer ebenfalls Crawford hiess. In den fünf Spielzeiten, in denen der Kanadier den ZSC ab Saisonbeginn betreute, schloss seine Equipe die Qualifikation nie schlechter als auf Platz 2 ab, vier Mal nahm sie die Play-offs aus der Pole-Position in Angriff.

Es sind Kennzahlen einer Dominanz, sie dokumentieren den Wert der Defensive. Die Frage geht an Simon Hrubec, den statistisch besten Torhüter der National League: Ist es einfach, hinter diesem strukturierten Team und dieser hochveranlagten Abwehr zu spielen? Der ZSC-Goalie Hrubec lächelt und sagt: «Für mich ist es die perfekte Symbiose. Wir ergänzen uns: Manchmal kann ich mich auszeichnen, sehr oft nehmen mir die Vorderleute die Arbeit ab.»

Hrubec, 33, hatte mit seiner ruhigen Art grossen Anteil am zehnten Titel der Klubgeschichte – es war auch sein Verdienst, dass der ZSC in kritischen Momenten nie den Kopf verlor. Der Tscheche war schon Champion in Russland und seiner Heimat, aber auch er kann davon erzählen, wie diffizil es ist, zweimal in Folge zu triumphieren, es gelang ihm bisher nie. Hrubec sagt: «Ich mag die Saisons nach einem Titelgewinn nicht. Der Sommer ist kurz, und viele haben das Gefühl, dass es einfach wird. Dabei ist nichts älter als ein Titel der letzten Saison. Was bringt dir das ausser einem Eintrag auf Eliteprospects.com? Nichts.» Dann fügt er an: «Aber wir haben ein erfahrenes Team. Ich bin mir sicher, dass wir nicht in die Falle tappen werden.»

Es ist Zuversicht, wie sie beispielsweise schon aus Genf zu vernehmen war vor Jahresfrist, aber dann verpasste Genf/Servette als Meister sogar die Play-offs. Den ZSC ereilte 2019 unter Del Curto das gleiche Schicksal. Heute verfügt das Team über so viel Klasse und Reife, dass ein vergleichbarer Absturz undenkbar wirkt; die Lions wirken gewappnet für die Launen dieser Liga.

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