Fast die Hälfte der Frauen in Zürcher Notunterkünften kommt von ausserhalb. Damit soll nun Schluss sein.
Sie werden bedroht, geschlagen, gequält und überwacht: Frauen, die unter häuslicher Gewalt leiden, haben oft keinen anderen Ausweg als die Flucht.
Zwanzigmal pro Tag rückt die Kantonspolizei Zürich wegen häuslicher Gewalt aus. Über 1300 Schutzmassnahmen hat sie vergangenes Jahr deshalb angeordnet.
Einer der wichtigsten Zufluchtsorte sind Frauenhäuser und ähnliche Notunterkünfte. Ihre Adressen sind geheim, die Betroffenen dort eng betreut. In den vergangenen Jahren hat der Kanton Zürich die Plätze in solchen Einrichtungen erhöht und Millionen in den Kampf gegen häusliche Gewalt investiert.
Das Angebot in Zürich ist nun aber offenbar so gut, dass nicht nur betroffene Zürcherinnen hier Unterschlupf finden, sondern immer öfter auch Frauen aus anderen Kantonen. Diese besetzen unterdessen 40 Prozent der Plätze in Zürcher Schutzunterkünften.
Das ergab unlängst eine Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz. Zürich soll zu jenen Regionen der Schweiz gehören, die am meisten Hilfsbedürftige von anderswo aufnehmen.
Das stört Jacqueline Fehr (SP), die zuständige Regierungsrätin. «Es ist doppelt mühsam», sagt sie der NZZ. «Einerseits muss die Zürcher Bevölkerung Plätze bezahlen, die von anderen Kantonen genutzt werden. Andererseits müssen wir dafür Frauen aus Zürich in andere Kantone vermitteln, weil es bei uns keinen Platz für sie gibt.»
Kritik an Tiefsteuerkantonen
Fehr hat sich deshalb an das Bundesamt für Justiz in Bern gewandt. Dort läuft gerade eine Revision des Opferhilfegesetzes. Der Kanton Zürich fordert nun, dass die Kantone im Gesetz explizit dazu verpflichtet werden, genug Plätze in Schutz- und Notunterkünften bereitzustellen.
«Zürich zahlt für vieles, was anderen Kantonen zugutekommt», sagt Fehr. «Wenn unsere Nachbarn ihre Steuern senken, uns vorwerfen, wir würden schlecht wirtschaften, aber gleichzeitig von unseren Leistungen profitieren – dann schauen wir halt etwas genauer hin.»
Schon jetzt müssen ausserkantonale Bewohnerinnen von Schutzhäusern einen höheren Tarif bezahlen als Zürcherinnen. Dieser reicht jedoch gemäss Fehr nicht, um die Kosten der Frauenhäuser vollständig zu decken. Die Grundfinanzierung schultert nämlich der Kanton.
Gemäss der Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz wurden in den vergangenen fünf Jahren zwar landesweit mehr Plätze in Frauenhäusern geschaffen. Die Unterschiede zwischen den Regionen seien jedoch gross, besonders in Randgebieten gebe es eine Unterversorgung.
Regelmässig komme es zu Engpässen wegen Überbelegung oder fehlender Personalressourcen. Fast zwei Drittel der Schweizer Frauenhäuser beurteilen das Angebot als nicht ausreichend.
Mehr Fälle von häuslicher Gewalt
Ein Grund dafür dürfte sein, dass die gemeldeten Fälle von häuslicher Gewalt schweizweit zunehmen. Rund 20 000 entsprechende Straftaten hat das Bundesamt für Statistik für 2023 registriert, ein Fünftel mehr als noch zehn Jahre zuvor.
Nicht abschliessend geklärt ist, ob das an einer tatsächlichen Zunahme der Gewalt oder der wachsenden Bereitschaft liegt, Fälle zu melden und polizeilich zu verfolgen.
Nur ein Bruchteil der Opfer kommt in eine Schutzunterkunft. Laut einer Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften – einer von wenigen zum Thema – waren im Jahr 2020 mindestens 350 gewaltbetroffene Mädchen und junge Frauen in Schutzunterkünften untergebracht. Es waren vor allem 14- bis 17-jährige Mädchen.
In Zürich befürchtet man, dass der Mangel in anderen Kantonen auch der eigenen Bevölkerung schadet. «Wenn wir eine Mutter mit ihren Kindern nicht bei uns unterbringen können, ist das ein Problem», sagt Regierungsrätin Fehr.
Die Situation sei unbefriedigend: Zürich habe eigentlich genug Kapazitäten in Frauenhäusern geschaffen. Wegen des Mangels in anderen Regionen komme es aber zu einem Geschacher um Plätze und Bezahlung. «Das ist sicher nicht im Sinn der Betroffenen.»
Fehr will deshalb das Gespräch mit ihren Amtskollegen in Nachbarkantonen suchen – und sie davon überzeugen, einen Beitrag an den Unterhalt der Zürcher Frauenhäuser zu zahlen.
Was Zürich schutzsuchenden Frauen bietet
jhu. Zürich hat heute 30 Zimmer in seinen drei Frauenhäusern, die sich in der Stadt Zürich, in Winterthur und im Oberland befinden. Die Zimmer bieten in der Regel auch Platz für Mütter mit Kindern. Sind alle Zimmer belegt, sucht man eine Lösung in einem anderen Kanton. Von Unterbringungen in Hotels wird aus Sicherheitsgründen abgesehen. Im Schnitt bleiben die Frauen 32 Tage lang in den Schutzunterkünften, spätestens nach 35 Tagen wird überprüft, ob die Unterbringung im Frauenhaus noch nötig ist.
Ist die Frau immer noch in Gefahr oder psychisch instabil, wird der Aufenthalt verlängert. Andernfalls kehrt sie entweder in ihr Zuhause zurück, oder ihr wird eine Anschlusslösung angeboten: eine Wohnung, in der sie noch teilweise betreut wird. Zürich hat diesen Bereich in den letzten Jahren deutlich ausgebaut, heute gibt es 63 entsprechende Plätze.