Per 1. Juli gelten höhere Aufnahmequoten. Der Ausbau der Kapazitäten stösst aber auf praktische Probleme und auf Widerstand.

Die Flüchtlingszahlen in der Schweiz sind weiterhin hoch. Per Ende Mai befanden sich rund 133 000 Personen im Asylprozess. Im gleichen Monat wurden rund 2400 neue Gesuche registriert, dazu kamen knapp 1400 Gesuche für den Schutzstatus S für Personen aus der Ukraine. Dies zeigen Zahlen des Staatssekretariats für Migration.

Die Mehrbelastung hat für den Bund, die Kantone und die Gemeinden Folgen. Im Kanton Zürich gilt per 1. Juli eine höhere kommunale Asylaufnahmequote. Der Satz steigt von 1,3 auf 1,6 Prozent. Das heisst, die Gemeinden müssen pro 1000 Einwohner jetzt nicht mehr 13, sondern 16 Personen aufnehmen. Wie die Sicherheitsdirektion mitteilt, können so im ganzen Kanton rund 4800 zusätzliche Plätze geschaffen werden. Die Erhöhung war schon im Januar angekündigt worden.

Gefordert sind aber nicht nur die Gemeinden. Der Kanton hat seine eigenen Kapazitäten in den letzten zwei Jahren mehr als verdoppelt. Er betreibt gemäss Sicherheitsdirektion derzeit 4 reguläre und 7 temporäre Durchgangszentren, 4 Rückkehrzentren und 13 Standorte für unbegleitete Jugendliche.

Baustopp im Asylzentrum

Ganz nach Plan läuft es beim Kanton allerdings nicht. In Kilchberg, einer Gemeinde am linken Zürichseeufer, hätte ein leerstehendes Krankenhaus zu einem kantonalen Durchgangszentrum für bis zu 260 Personen umgebaut werden sollen.

Bereits im letzten Herbst war das alte See-Spital geräumt worden. Spitalbetten, Matratzen und Decken, Operationsbestecke, Blutdruckmessgeräte und Sterilisatoren wurden nach Kiew gebracht und von dort in der ganzen Ukraine verteilt.

Quasi als Gegenbewegung sollten ab Mai die ersten Flüchtlinge einziehen. Sie sollten dort etwa 6 bis 8 Wochen bleiben, bevor sie auf die Gemeinden hätten verteilt werden sollen.

Daraus wird vorläufig aber nichts. Die kantonale Sicherheitsdirektion hat Medienberichte bestätigt, wonach gegen den Umbau Rekurse eingegangen sind. Wegen der laufenden Rekurse habe die Gemeinde einen Baustopp verfügt, sagt der Kilchberger Gemeindeschreiber Patrick Wanger. «Bei den Verzögerungen handelt es sich um Situationen, wie sie in jedem Baubewilligungsverfahren angetroffen werden können.»

Wie sehr sich das Projekt verspäten wird, ist unklar. Der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr hofft aber auf eine speditive Erledigung der Rekurse. «Dann können wir die Arbeiten in zwei bis drei Monaten wieder aufnehmen», sagt er.

Die Zeit drängt, weil das Kilchberger Durchgangszentrum nur befristet in Betrieb stehen wird. Bereits zum Ende des nächsten Jahres müssen die Flüchtlinge anderweitig untergebracht werden, denn ab Anfang 2026 wird auf dem Gelände eine neue private psychiatrische Klinik gebaut.

2021 gab es nur 3 ukrainische Flüchtlinge im Kanton

Stark belastet wird das Asylsystem seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine. Im November 2021, also ein Vierteljahr vor dem Überfall, hätte man sämtliche ukrainischen Flüchtlinge im Kanton Zürich noch in einer kleinen Wohnung unterbringen können, es waren genau drei Personen.

Ein halbes Jahr später war aus der ukrainischen Dreizimmerwohnung ein grosses Dorf geworden – gut 9000 Menschen waren unter dem Schutzstatus S vor dem Krieg geflüchtet. Per Ende Mai 2024 (aktuellste Zahlen) lebten sogar rund 13 000 Ukrainerinnen und Ukrainer im Kanton Zürich.

SVP wollte Flüchtlinge in die Berge schicken

Wie prekär die Asylsituation in manchen Gemeinden ist, zeigt auch das Beispiel Stäfa. Die Goldküstengemeinde muss ab dem 1. Juli Platz für 240 statt wie bisher für 195 Personen schaffen. Gleichzeitig nimmt der Wohnraum im Dorf wegen Renovationen, Nutzungsänderungen und Neubauten ab, die anstelle von früheren günstigen Unterkünften entstehen. Längerfristig fehlen 70 Plätze für Flüchtlinge.

Der Gemeinderat prüft deshalb, ob die Personen in einer Zeltstadt, einem öffentlichen Saal oder einer Zivilschutzanlage untergebracht werden können.

Für Aufregung sorgte die örtliche SVP: Sie wollte die Asylsuchenden in ein entlegenes Bergtal schicken, in die fast 150 Kilometer entfernte Partnergemeinde Val Müstair im Kanton Graubünden. Der Stäfner Gemeinderat bezeichnete diese Forderung in einer Stellungnahme als «unqualifiziert, arrogant und herablassend». Man distanziere sich «in aller Form» davon.

Die Gemeindepräsidentin von Val Müstair quittierte den Vorschlag des Stäfner SVP-Präsidenten Lukas Bubb humorvoll. Gegenüber den Tamedia-Zeitungen sagte Gabriella Binkert Becchetti: «Ich kenne Herrn Bubb nicht, und ich habe auch keine Anfrage von ihm erhalten. Doch ich frage mich, ob ich ihm vielleicht unsere Wölfe in seinen Garten schicken soll.»

Kapazitätsgrenze erreicht

Die Gemeinden bemühten sich, ihren Auftrag zu erfüllen, sagt Jörg Kündig. Er ist der Präsident des Zürcher Verbandes der Gemeindepräsidien. Den meisten werde dies gelingen, allerdings nicht per 1. Juli.

Doch die Zukunft, sagt Kündig, bereite ihm grosse Sorgen. Er geht davon aus, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Asylquote erneut diskutiert werden muss. «Noch mehr Leute aufzunehmen, geht aber schlicht nicht.» Schon heute fehle es vielerorts an Unterbringungsmöglichkeiten, und die personellen Ressourcen für die Betreuung der Menschen reichten schlicht nicht mehr aus.

Manche Gemeinden fassen darum Pavillons oder Neubauten ins Auge. Letztere würden allerdings oft auf Widerstand in der Bevölkerung stossen – und es gehe viel zu lange, bis der Wohnraum schliesslich zur Verfügung stehe.

Kommt hinzu: Die finanziellen Kompetenzen der Exekutiven sind beschränkt. Das zeigt ein Beispiel aus der Gemeinde Fällanden. Dort bewilligte der Gemeinderat letzten Frühling insgesamt 1,5 Millionen Franken für Wohncontainer als gebundene Ausgabe – ein Betrag, den die Exekutive der Gemeindeversammlung hätte unterbreiten müssen, wie das Verwaltungsgericht später urteilte.

Hier gebe es Handlungsbedarf, sagt Kündig. Ausserdem sei es zentral, dass auf Bundesebene die Kapazitäten bereitgestellt und die Verfahren beschleunigt würden.

Auch die Zürcher Regierung sieht die nationalen Behörden in der Pflicht. Der Kanton setze sich bei jeder Gelegenheit vehement dafür ein, dass der Bund genügend eigene Unterkünfte bereitstelle, keine vorzeitigen Zuweisungen an die Kantone mehr vornehme und seinen Pendenzenberg abbaue, schreibt die Sicherheitsdirektion. Ausserdem brauche es eine rasche Lösung für den Schutzstatus S.

In einem Punkt gibt der Kanton aber Entwarnung. Mit der Erhöhung der Asylaufnahmequote auf 1,6 Prozent lägen nun genügend Kapazitäten vor, um die Unterbringung der Asylsuchenden zu gewährleisten, sagt der Sicherheitsdirektor Mario Fehr. Eine weitere Anhebung der Quote sei vorderhand nicht angezeigt.

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