Freitag, Januar 31

Schon vor 40 Jahren gab ein spezieller Stollen für den Bau des Tunnels zwischen Stadelhofen und Hauptbahnhof zu reden.

Das Gelände zu sondieren, bevor es ernst gilt, empfiehlt sich immer. Seit dem Herbst treiben die SBB am Bahnhof Stadelhofen hinter dem Gleis 3 einen Erkundungsstollen in den Hang, um den künftigen Baugrund zu untersuchen. Es ist das erste sichtbare Zeichen für die nächste grosse Ergänzung des Schienennetzes auf dem Gebiet der Stadt Zürich.

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Die Bedeutung des Projekts wird mit «Ausbau des Bahnhofs Stadelhofen um ein viertes Gleis» allerdings ungenügend erfasst. Vom neuen unterirdischen Perron aus führen dereinst Anschlüsse zum Hauptbahnhof und zum Zürichbergtunnel in Richtung Stettbach sowie eine zweite Röhre bis nach Tiefenbrunnen. Mit der Investition von gut einer Milliarde Franken wird das gravierendste Nadelöhr im Netz der Zürcher S-Bahn beseitigt.

Die Auswirkungen reichen weit über Zürich hinaus. Zusammen mit der ebenso vorgesehenen Erweiterung des Schienenwegs nach Winterthur durch den neuen Brüttener Tunnel sind bessere, dichtere und schnellere ÖV-Verbindungen im ganzen Kanton möglich. Bis dahin dauert es allerdings noch mehr als zehn Jahre.

Künzi fackelt nicht lange

Der Erkundungsstollen ruft beim Schreibenden Erinnerungen wach. Vor über 40 Jahren, während des Studiums, als Reporter für eine kleine Zürcher Zeitung, war er beim ersten Durchschlag für den Bau der Zürcher S-Bahn dabei. Zwischen dem Hauptgebäude der Universität und dem Hirschengraben hatten die Mineure unter einem Schacht im Untergrund bereits eine grosse Kaverne erstellt. Hier wurde später das Ausbruchmaterial tagsüber gelagert, das beim Vortrieb des neuen Hirschengrabentunnels anfiel.

Nun ging es darum, einen steil ansteigenden Stollen zum Lettentunnel fertigzustellen, über den später das Gestein jeweils in der Nacht weggeführt wurde. Die Verbindung zwischen Stadelhofen und Bahnhof Letten war damals noch in Betrieb. Deshalb erfolgte auch der Durchbruch spätabends am 18. September 1984.

Hans Künzi, in Schutzbekleidung und mit Helm, blickte durch ein kleines Bohrloch, durch das man schon in den Bahntunnel spähen konnte. Der freisinnige Zürcher Volkswirtschaftsdirektor frotzelte, das winzige Loch stehe stellvertretend für den Anteil, den der Bund an den Bau der Zürcher S-Bahn bezahle. Dann folgte, was nach Künzis Diktum also Zürich daran leistete. Eine mächtige Maschine legte den Durchgang zum Bahntunnel frei. Von dort aus gelangten die Teilnehmer der Inszenierung mit einem Zug in den Hauptbahnhof.

Tatsächlich bezahlte in den 1980er Jahren der Kanton Zürich 80 Prozent der Kosten für den Bau der S-Bahn. Der junge Beobachter der Szene hatte das Glück, dass er ihre Weiterentwicklung auch später in verschiedenen Funktionen journalistisch begleiten durfte. Und dabei beobachten konnte, wie die zuständigen Politiker mit den SBB auch politische Spielräume ausloteten, manchmal ziemlich frivol.

Ein erster Durchgangsbahnhof

Als in den 1970er Jahren absehbar war, dass es nichts wird mit dem Zusammenschluss der Autobahnen mitten in der Kantonshauptstadt, setzte Zürich auf die Schiene. Das Grundgerüst für eine S-Bahn war da. Das Vorhaben scheiterte aber 1973 an der Urne wegen der Verknüpfung mit den Plänen für eine Zürcher U-Bahn. Die Verantwortlichen machten das Beste aus der Situation.

Obwohl der Schienenverkehr unbestritten Bundessache war, nahmen sie das Heft resolut in die Hand und ebneten den Weg zum Bau der S-Bahn-Stammstrecke vom Hauptbahnhof bis nach Dübendorf. Das Zürcher Stimmvolk sagte 1981 fast mit einer Dreiviertelmehrheit Ja zum Kredit. Etwas Glück dabei war, dass die Bauphase in die wirtschaftliche Boomphase der 1980er Jahre fiel.

Die neue Strecke verknüpfte das im Wesentlichen aus dem 19. Jahrhundert stammende Schienennetz völlig neu. Vorher endeten alle Linien bildlich gesprochen an einem Prellbock im HB. Nun konnte man erstmals, ohne umzusteigen, über den unterirdischen Bahnhof beim Landesmuseum durch Zürich hindurchfahren.

Weniger als zehn Jahre nach der Eröffnung 1990 zeichnete sich ab, dass mit der Bahn 2000 der HB bereits wieder an die Grenzen seiner Kapazität stösst. Nun forcierten Kanton und SBB den Bau der Durchmesserlinie mit einem beispiellosen Powerplay. Als 2007 eine Verzögerung drohte, finanzierte der Zürcher Regierungsrat kurzerhand mit einem Notkredit den rechtzeitigen Baubeginn.

Als die Arbeiten schon fortgeschritten waren, hatte der Bund seine Finanzierung noch immer nicht geregelt. Da beschloss die Kantonsregierung 2008 erneut im Hauruckverfahren, den Bundesanteil vorzufinanzieren. Es galt, die Gefahr abzuwenden, dass die Bauarbeiten eingestellt werden müssen.

Wie breit der politische Konsens in Zürich war, zeigt sich daran, dass der Kantonsrat ohne Murren akzeptierte, dass er lediglich mit einem Brief über diesen Kredit von maximal 500 Millionen Franken informiert wurde. Das Stimmvolk sagte 2001 mit mehr als 80 Prozent Ja zum Kredit, und Zürich erhielt während zehn Jahren erneut eine ungewöhnliche Grossbaustelle.

Das Zürcher Sonderzüglein brachte den Bund arg in die Bredouille. Er bezahlte schliesslich, weil sie auch dem Fernverkehr dient, zwei Drittel der Kosten für die Durchmesserlinie. Klar ist aber seither auch, dass die Zuständigen in Bern sich nicht noch einmal so würden vorführen lassen.

Heute finanziert der Bund das Schienennetz allein in Schritten, «step by step». Aber es spricht durchaus für das Geschick in Zürich, dass der nächste Ausbauschritt 2035 mit dem Stadelhofen und der Erweiterung Zürich–Winterthur zwei Milliardenprojekte enthält.

Neue Widerstände

Das forsche Vorgehen diente dem Vorteil für Zürich und war auch nötig. In den fünfziger Jahren lebte fast die Hälfte der Kantonsbevölkerung in der Hauptstadt. Anzahl Einwohner und Arbeitsplätze befanden sich hier noch einigermassen im Gleichgewicht. Das änderte sich, als – heute schwer vorstellbar – eine Stadtflucht einsetzte und die Vorstädte wuchsen. Dementsprechend schwollen die Pendlerströme an, die das damals vorhandene Verkehrssystem kaum mehr bewältigen konnte.

Seit 1990 bildet die S-Bahn das Rückgrat für den kontinuierlichen Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Ihre Inbetriebnahme hat den Arbeits- und Wohnungsmarkt schlagartig vergrössert. Das war Wirtschaftsförderung im besten Sinne, weil neue Beziehungen von Wohnen und Arbeiten möglich wurden, die zuvor kaum zumutbar gewesen wären.

Es ist eine Erfolgsgeschichte, teilweise fast zu sehr. Die S-Bahn hat zu einem Wachstum beigetragen, das heute auch Unbehagen bereitet. Erst im November verwarf die Stimmbevölkerung in Kloten die Planung eines neuen Stadtteils, obwohl das Gebiet mit der Verlängerung der Glattalbahn hervorragend erschlossen werden soll. Wo, wenn nicht an solchen Orten, soll der dringend benötigte Wohnraum entstehen?

Tunnels zu bohren, ist zwar teuer, aber heute fast einfacher, als an der Oberfläche zu bauen. Eine der grossen Herausforderungen der näheren Zukunft für die S-Bahn ist es, Platz zu finden, um die Züge abzustellen und zu warten. Gelingt dies nicht, wird es unmöglich, die grössere Schienenkapazität für ein optimales Fahrplanangebot zu nutzen.

Die Finanzierung der beiden nächsten grossen Schienenprojekte im Raum Zürich ist zwar zugesichert. Dennoch sind Demut und Wachsamkeit am Platz. Demut, weil andere Zentren wie Basel oder Luzern noch immer auf eine erste Durchmesserlinie warten. Zürich hat, das sollte nicht vergessen werden, im Ausbauschritt 2035 alles erhalten, was es wollte.

Gleichzeitig macht der Kanton selber vor, wie ungewiss alles ist. Die Regierung überprüft die Investitionen und schiebt sie teilweise hinaus. Auch für den öffentlichen Verkehr wie im Fall Tram Affoltern. Das kam so in den letzten 40 Jahren nie vor. Es gilt aber ebenso, wachsam gegenüber dem Bund zu bleiben. Damit der Erkundungsstollen am Bahnhof Stadelhofen nicht vergeblich erstellt worden ist, sondern Auftakt ist zu einer neuen Etappe der Zürcher S-Bahn.

Abschied von der NZZ

zz. Ende Januar wird Stefan Hotz (sho.) nach einer 40-jährigen journalistischen Laufbahn ordentlich pensioniert – eine Rarität im heutigen Medienbetrieb. Schon während seines Geschichtsstudiums betätigte er sich schreiberisch, damals für die mittlerweile eingestellten «Neuen Zürcher Nachrichten». Danach war er 18 Jahre lang Zürcher Korrespondent für verschiedene Tageszeitungen. 2007 trat er in die NZZ-Redaktion ein. Im Ressort Zürich kümmerte er sich als Redaktor um Geschehnisse im Zürcher Oberland, wo er geboren und aufgewachsen ist, sowie um die Dossiers Raumplanung, Bauen und Verkehr. Die Zürcher S-Bahn – seit 1990 in Betrieb – begleitete ihn sein ganzes Berufsleben.

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