Donnerstag, Januar 30

Beim Weltcup-Anlass im Wallis messen sich die weltbesten Eiskletterer. Doch die Zukunft des legendären Events ist ungewiss, einer der Mitgründer sagt: «Es ist ein verdammter Krampf.»

Die Liechtensteinerin Lorena Beck kraxelt die senkrechte Eiswand empor, schlägt Pickel und Steigeisen in die Eiswand. Die Moderatorin ruft «Allez, allez», die Zuschauer läuten mit Kuhglocken, das südkoreanische Eiskletter-Team in schneeweissen Daunenjacken hält das Ganze mit den Handykameras fest. Nach 14,28 Sekunden erreicht Beck das Ziel, haut auf den Zeitstopper, die Flammenmaschine spuckt Feuer. Welch ein Spektakel!

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Am Wochenende war es wieder so weit: Der Eiskletter-Weltcup gastierte in Saas-Fee. Und zwar nicht irgendwo, sondern im Parkhaus am Dorfeingang. Dieses wird seit einem Vierteljahrhundert zur eiskalten Kletterarena, hier treten die weltbesten Eiskletterinnen und Eiskletterer gegeneinander an.

Saas-Fee ist die älteste Station im Weltcup-Programm der Eiskletterer. Für viele ist sie auch die prestigeträchtigste – die Wettkämpfe im Parkhaus sind legendär. Im Wallis schafft es die Randsportart Eisklettern, die Massen zu begeistern. Die Zuschauer kommen zu Tausenden. Doch trotz dem Erfolg ist die Zukunft des Anlasses ungewiss, sie steht mehr denn je auf dünnem Eis.

Die Königsdisziplin des Alpinismus

Eisklettern hat sich 19. Jahrhundert aus dem Alpinismus entwickelt, weil Bergsteiger bei Touren mit Eispickel und Steigeisen vereiste Passagen überwinden mussten. Das Klettern im Eis ist die gefährlichste und unberechenbarste Art des Bergsteigens – es gilt als Königsdisziplin des Alpinismus.

Als Wettkampfdisziplin ist Eisklettern aber noch jung. Erst in den vergangenen zwanzig Jahren entwickelte es sich von einer Nischensportart zu einem Wettkampf-Format. Die Schweiz hat in dieser Zeit einige hervorragende Eiskletterinnen und Eiskletterer hervorgebracht, etwa Sina Goetz, Yannick Glatthard, Petra Klingler oder Simon Anthamatten.

Im Jahr 2000 waren fünf Saaser Freunde der Zeit voraus und holten den Eiskletter-Weltcup ins Wallis. Sie hatten die kühne Idee, an einer vereisten Felswand nahe dem Parkhaus einen Weltcup zu veranstalten. Hierfür kontaktierten sie österreichische Eiskletterer, die bereits einen Mini-Weltcup organisiert hatten, und fragten, ob sie sich anschliessen könnten. Ohne Erfahrung in der Organisation von Grossveranstaltungen stemmten vier Bergführer und ein Hüttenwart den ersten Weltcup.

Drei der fünf Gründer verliessen in den folgenden Jahren das Organisationskomitee; der vierte verstarb diesen Herbst an einem Hirntumor. Übrig bleibt nur noch Kurt Arnold, 56 Jahre alt, Bergführer und bis heute die prägende Figur des Events.

Freitagnachmittag, wenige Stunden vor dem Final im Geschwindigkeitsklettern. Arnold hastet in Isolationsjacke und Bergschuhen durch die Gänge des Parkhauses. «Haben wir alles im Griff?», fragt er einen Helfer. Er marschiert die Fahrgasse des Parkhauses hinauf, bleibt auf halbem Weg stehen, zeigt auf eine Felswand, aus der Eiszapfen ragen, und sagt: «Hier hat alles begonnen.» Wenn Arnold von den Anfängen des Weltcup-Anlasses erzählt, leuchten seine Augen. «Wilde Zeiten waren das.»

Seither ist die Weltcup-Serie gewachsen und professioneller geworden. Heute gastieren die Wettkämpfe in Südkorea, Frankreich, den USA und Kanada. Der internationale Bergsportverband (UIAA) koordiniert die Events und sorgt für die Sicherheit der Athleten. Ursprünglich wurden Eiskletter-Wettkämpfe wie jener in Saas-Fee an gefrorenen Wasserfällen ausgetragen. Mittlerweile sind an den Wettkämpfen künstliche Strukturen üblich, sie gewährleisten standardisierte Bedingungen und eine höhere Sicherheit. Auch in Saas-Fee klettern die Sportler mittlerweile in der Mitte der Auffahrspirale des Parkhauses. Kletterwände aus Holz und aufeinandergestapelte Eisklötze ersetzen das Natureis. Die Zuschauer haben von den Parkdecks beste Sicht auf die Athleten: So nah ist man ihnen nirgendwo sonst.

Ueli Steck feierte in Saas-Fee mit entblösstem Oberkörper

Zurück zum Final des Geschwindigkeits-Eiskletterns: Es ist die dritte Runde der Männer, es geht um den Sieg. Der Iraner Mohammad Reza Safdarian, einer der besten Eiskletterer der Welt, wartet auf das Startzeichen. Währenddessen schieben drei junge Männer ein Raclette-Mobil durch die Gänge des Parkhauses, ein Auto mit niederländischem Kennzeichen kurvt die Spirale hinab, die Beifahrerin hält das Geschehen mit ihrer Kamera fest. Dann rennt Safdarian die Eiswand hinauf, als ob sie flach wäre. Der Moderator schreit: «7 Sekunden 67!» Safdarian lässt sich ins Seil fallen, streckt die Eispickel empor, jubelt. Das Publikum applaudiert dem Gewinner.

Kurt Arnold beobachtet den Trubel von unten. Die Euphorie der Zuschauer und Athleten ist der Lohn für seine Arbeit. Der Eiskletter-Weltcup in Saas-Fee hat sich im Laufe der Jahre von einem Szenetreff zum Grossanlass entwickelt. Und trotzdem krankt er noch an den gleichen Schwierigkeiten wie vor 25 Jahren. Mit 200 000 Franken ist das Budget noch immer klein. Zum Vergleich: Jenes der Lauberhornrennen ist rund 50-mal so gross.

Arnold zählt auf die Hilfe von 200 Freiwilligen. Sie schöpfen Älplermagronen, zapfen Bier, überwachen die Elektronik. Sieben Bergsteiger und Kletterer stehen bereits eine Woche vor dem Weltcup im Einsatz und legen an den Kletterwänden die Wettkampfrouten an. Das Organisatorische aber bleibt an Arnold hängen: Drei Monate lang arbeitet er rund um die Uhr, schläft schlecht, weil ihm nachts noch unerledigte Aufgaben einfallen. Seit Jahren sucht er vergeblich nach einem Nachfolger. Er sagt: «Ich habe mich schon unzählige Mal gefragt, wieso ich das mache. Etwas spinnen muss man schon, es ist ein verdammter Krampf.»

Beim UIAA sieht man die Zukunft des Weltcup-Anlasses in Saas-Fee gelassener. Nils Glatthard ist UIAA-Direktor und Mitorganisator der Eiskletter-Weltcup-Serie. Er sagt: «Herausforderungen, wie wir sie in Saas-Fee haben, sind normal. Auch ein Lauberhornrennen ist schwierig zu organisieren. Tatsache ist: Man hat es bisher immer fertiggebracht.»

Es ist kurz nach 21 Uhr, die Zuschauer ziehen weiter in die Partyräume des Parkhauses. Der Festbetrieb ist eine wichtige Einnahmequelle für den Weltcup-Event in Saas-Fee. Die Partys sind berüchtigt, es gibt viel Alkohol und nackte Haut. Ein Foto im Staff-Raum zeigt den jungen Ueli Steck mit entblösstem Oberkörper, hinter ihm tanzt eine Frau in Unterwäsche.

Im Konzertsaal des Parkhauses spielt nun eine Walliser Rockband. Kurt Arnold kommt hinein, prostet den Routenbauern mit einer Flasche Bier zu und sagt: «Auf ein Neues!» Nebenan im Partyraum «The Club» beweisen sich drahtige junge Männer an einer Kletterroute an der Betondecke. Wer es bis zur Bar schafft, erhält ein Gratisbier. Ein Kletterer hangelt sich von Griff zu Griff, verrenkt seine Arme und Beine, hinter ihm tanzen drei Spanier zum Lied «Macarena». Plötzlich verliert er den Halt und fällt auf den Rücken, dann rappelt er sich auf und lacht. Wenig später probiert es schon der Nächste.

Irgendwie geht es immer weiter im Parkhaus von Saas-Fee.

Exit mobile version