Eine Kraft unbekannten Ursprungs sorgt dafür, dass sich das Weltall immer schneller ausdehnt. Geht das stets weiter wo, oder könnte sich diese Kraft auch erschöpfen?
Es war eine Entdeckung, die unser Weltbild auf den Kopf stellte. Ende der 1990er Jahre bemerkten Kosmologen, dass sich das Universum heute schneller ausdehnt als in der Vergangenheit. Eigentlich hatte man erwartet, dass die Expansion durch die Anziehungskraft der Materie verlangsamt wird. Doch die Untersuchung von weit entfernten Supernovaexplosionen zeigte das Gegenteil: Die Expansion des Universums beschleunigt sich.
Die treibende Kraft hinter der beschleunigten Ausdehnung ist eine ominöse Energieform, die man als dunkle Energie bezeichnet. Das einfachste Modell, das mit den Daten übereinstimmt, geht davon aus, dass diese Energie eine kosmologische Konstante ist, mit der Zeit also weder stärker noch schwächer wird. Eine Durchmusterung des Himmels mit dem Dark Energy Spectroscopic Instrument (Desi) am Kitt Peak National Observatory in Arizona weckt nun allerdings leichte Zweifel an dieser Annahme.
Noch hüten sich die beteiligten Wissenschafterinnen und Wissenschafter, definitive Schlüsse zu ziehen. Aber die Daten aus dem ersten Beobachtungsjahr liefern Hinweise, dass sich die dunkle Energie mit der Zeit verändern könnte. Jetzt müssen weitere Beobachtungen zeigen, ob dahinter mehr steckt als eine Laune des Zufalls.
Sollten sich die Hinweise statistisch erhärten lassen, wäre das eine bahnbrechende Entdeckung. Bisher hatten Kosmologen keine gute Erklärung dafür, woher die dunkle Energie kommt. Im Standardmodell der Kosmologie wird sie mit der zeitlich konstanten Energiedichte des Vakuums in Verbindung gebracht. Sollte sich die dunkle Energie aber mit der Zeit verändern, kämen auch andere Erklärungen in Betracht, etwa die Wirkung von bisher unbekannten Feldern.
Auch die ferne Zukunft unseres Universums wäre eine andere. Bleibt die dunkle Energie konstant, werden sich die Galaxien eines Tages so schnell von uns entfernen, dass ihr Licht uns nicht mehr erreicht. Das Weltall wird immer dunkler und stirbt eines fernen Tages den Kältetod. Schwächt sich die dunkle Energie hingegen mit der Zeit ab, bleibt uns dieses Schicksal möglicherweise erspart. Aber es könnte auch schlimmer kommen. Wird die dunkle Energie stärker, könnte sie eines Tages selbst Atome zerreissen.
Eine Karte zeigt die grossräumige Verteilung von Galaxien
Um Aussagen über die dunkle Energie machen zu können, hat eine internationale Arbeitsgruppe die Expansionsgeschichte unseres Universums rekonstruiert. Dazu haben die Forscher mit dem Dark Energy Spectroscopic Instrument viele Millionen Galaxien und Quasare (das sind die aktiven Kerne von Galaxien) vermessen und die bisher grösste und genaueste räumliche Karte unseres Universums erstellt.
Diese Karte ist in Abschnitte unterteilt, die unterschiedlichen Entwicklungsstadien unseres Universums entsprechen – von der jüngsten Vergangenheit bis 11 Milliarden Jahre vor unserer Zeitrechnung. In jedem dieser Abschnitte suchten die Forscher nach einer bestimmten Signatur in der Galaxienverteilung, die dem Universum kurz nach dem Urknall aufgeprägt wurde.
Diese sogenannten baryonischen akustischen Oszillationen haben eine charakteristische Länge, die mit der Expansion des Universums wächst. Anhand dieses kosmischen Massstabes konnten die Forscher mit einer Genauigkeit von unter einem Prozent zurückverfolgen, ob die dunkle Energie in den letzten 11 Milliarden Jahren konstant geblieben ist oder nicht.
Das Ergebnis dieser Analyse ist durchaus mit der Annahme einer kosmologischen Konstante verträglich. Es gibt deshalb keinen unmittelbaren Grund, das derzeitige Standardmodell der Kosmologie infrage zu stellen. Interessant wird es, wenn man die Desi-Daten mit anderen kosmologischen Beobachtungen der letzten Jahre kombiniert und explizit die Möglichkeit einer zeitlichen Veränderung zulässt. In diesem Fall gibt es eine leichte Präferenz für eine zeitlich veränderliche dunkle Energie.
Es ist noch zu früh für starke Schlüsse
Der Kosmologe Martin Kunz von der Universität Genf ist etwas ratlos, wie er die ersten Ergebnisse von Desi einordnen soll. Kunz lässt keinen Zweifel: «Der Nachweis einer zeitlich veränderlichen dunklen Energie wäre eine Sensation, die mit der Entdeckung der dunklen Energie vor fünfundzwanzig Jahren vergleichbar wäre.» Noch sei es aber zu früh, um starke Schlüsse zu ziehen.
Kunz möchte die zukünftige Entwicklung abwarten. Er rechnet damit, dass das Desi-Instrument in den nächsten Jahren genug Daten liefern wird, um statistisch signifikante Aussagen machen zu können. Neben statistischen Fehlern gebe es allerdings auch systematische Messfehler, so Kunz. Deshalb wartet er auf die ersten Ergebnisse des europäischen Euclid-Teleskops, an dem er beteiligt ist. Mit diesen sei in zwei Jahren zu rechnen. Die beiden Instrumente seien hinreichend verschieden, so Kunz. «Wenn beide das gleiche Ergebnis liefern, wird es richtig interessant.»