Mittwoch, Juni 26

Der Umzug der Regenbogen-Community in der Innenstadt verläuft weitgehend friedlich. Die Polizei nimmt sieben Männer in Gewahrsam, die schwulenfeindliche Parolen verbreitet hatten.

«Lasst uns laut sein heute! Wo isch Züri?» Die Menge auf dem Helvetiaplatz jubelt. Der Moderator auf der Bühne ruft zurück: «Happy Pride!» Der Grossanlass der Regenbogen-Community am Samstagnachmittag ist lanciert.

Auch dieses Jahr sind Tausende schwule, lesbische, bisexuelle Menschen, Transpersonen und Nonbinäre dabei. Und viele Männer und Frauen, die nicht queer sind und zum Teil ihre Kinder mitgebracht haben, um die Anliegen der übrigen Teilnehmer zu unterstützen. Laut Stadtpolizei zogen mehr als 20 000 Pride-Besucher durch die Strassen, deutlich weniger als im vergangenen Jahr, aber immer noch genug für eine fröhliche Party unter Gleichgesinnten.

Da wäre zum Beispiel Richard, 60, ein Amerikaner, der in Spreitenbach als Lagerist arbeitet. Er hält ein Schild hoch mit einer Aufschrift, die man vielleicht nicht unbedingt erwartet hätte: «Ikea». Das schwedische Möbelhaus ist ebenfalls vertreten, genauso wie die Automarke Mini (samt Kleinwagen), der Telekomanbieter Sunrise, die Café-Kette Starbucks und viele weitere Firmen, deren queere Angestellte am Umzug mitmarschieren.

Richards Gruppe verteilt Ikea-Einkaufstaschen in Regenbogenfarben. Auch die Aufdrucke auf den T-Shirts der Ikea-Mitarbeiter sind sympathisch, sie stehen aber auch für den Willen der Unternehmen, ihre Botschaften an der Pride zu platzieren: «Let love start at home.» Richard sagt: «‹Yeah›, in a way, it’s advertisement.» Aber er sei hier, um seine schwulen Freunde in Zürich zu unterstützen. Bei Ikea sei man divers. «We support everything.»

Er selber sei übrigens mit einer Frau verheiratet, seit 31 Jahren, sagt Richard und strahlt übers ganze Gesicht.

«Es ist Zeit für einen dritten Geschlechtseintrag!»

Etwas weniger guter Laune ist Michelle Halbheer, als sie am Helvetiaplatz ans Mikrofon tritt und eine kämpferische Rede hält. Die Co-Präsidentin der Zürcher Mitte ist eine Transfrau. Bis vor knapp zwei Jahren hiess sie Mike und war ein Mann, der eine Frau sein wollte. Seither ist sie Michelle Halbheer. Sie hat ihren Namen und ihr Geschlecht geändert.

Halbheer hat klare Vorstellungen, was sich für queere Menschen ändern müsse in der Schweiz. «Wir brauchen belastbare Zahlen, um das Ausmass der Diskriminierung sichtbar zu machen!» – «Es ist Zeit für einen dritten Geschlechtseintrag. Lieber Bundesrat, die Gesellschaft ist bereit dafür!» – Und schliesslich: «Wir dürfen nicht zulassen, dass wichtige Behandlungen für Transjugendliche verboten werden!»

Halbheer befürwortet die Abgabe von Pubertätsblockern, also von Medikamenten, die die Entwicklung des biologischen Geschlechts stoppen. Die Schweiz verfolgt hier eine liberale Praxis. Doch der Umgang mit diesen Medikamenten bei Jugendlichen ist umstritten, da die Selbsteinschätzung der Betroffenen bis anhin höher gewichtet wurde als mögliche Folgen für Körper und Psyche junger Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren können, mit dem sie zur Welt gekommen sind.

Halbheer will von solchen Bedenken nichts wissen, zumindest nicht bei ihrem Auftritt an der Pride: «Mir geht es heute viel besser dank dieser Behandlung! Das ist kein Luxus, sondern für viele Transjugendliche überlebenswichtig. Wir müssen hier als Community zusammenstehen!», ruft sie den applaudierenden Demonstranten zu.

«Ihr Hass stoppt unsere Liebe nicht»

Ob alle Anwesenden damit einverstanden sind oder die komplexe Thematik der Pubertätsblocker verstanden haben, lässt sich nicht sagen. Die meisten der übrigen Forderungen an der Pride sind knapper formuliert: «Kiss more Girls», «Free Hugs» steht auf selbstgebastelten Plakaten, oder auch: «Fuck Rainbow Capitalism» – eine Spitze gegen Ikea und die anderen Unternehmen an der Pride?

Eine Frau lässt die wenigen Zuschauer am Strassenrand auf einem Pappschild wissen: «Wänn’s dich juckt, wie mir liebet, dänn gang di go wäsche!»

Die Route der Zurich Pride

Der Umzug startete am Samstagnachmittag am Helvetiaplatz

An dem Umzug vom Helvetiaplatz zur Landiwiese laufen neben Jungen und Junggebliebenen auch ältere Menschen mit («queer altern»). Ebenso vertreten ist eine Gruppe jüdischer Demonstranten. Eine israelisch-schweizerische Doppelbürgerin sagt: «Wir solidarisieren uns mit jüdischen Queers.» Und die Gruppe «Queers for Palestine», die ebenfalls mitläuft an der Pride, obwohl sie sich nicht angemeldet hat? «Schade», sagt die Frau. «Aber was will man machen? Ihr Hass stoppt unsere Liebe nicht.»

Die antiisraelischen Trittbrettfahrer haben es sich nicht nehmen lassen, trotzdem am Umzug mitzumarschieren. Mitten in der Demo, in sicherem Abstand von den jüdischen Teilnehmern: Ungefähr 50 Personen schwenken Palästina-Flaggen und skandieren die üblichen Parolen, die sonst am 1. Mai herumgeboten werden und in den vergangenen Wochen auch an Sitzstreiks an der Universität und ETH Zürich zu hören waren («Hoch! Die! Internationale Solidarität!» / «Stop the Genocide! End the Occupation!»).

Homophobe Flyer per Drohne verteilt

Ein Mann im Regenbogen-T-Shirt am Strassenrand kann da nur den Kopf schütteln. «Furchtbar. Das ist zynisch. Die haben keine Ahnung, dass Homosexuelle in Palästina um ihr Leben fürchten müssen», sagt er, als die kreischenden Israel-Kritiker an ihm vorbeiziehen. Es passierte also genau das, was die Organisatoren der Pride im Vorfeld zu verhindern versucht hatten: Der Umzug wurde für eine Aktion missbraucht, die nichts mit den Anliegen queerer Menschen zu tun hat.

Laut Angaben der Stadtpolizei indes verlief der Umzug «grundsätzlich friedlich». Allerdings gab es ein weiteres Grüppchen, das den Umzug zu stören versuchte. Sechs Schweizer und ein Deutscher wurden für weitere Abklärungen auf eine Polizeiwache gebracht. Wie die Stadtpolizei in einer Medienmitteilung schreibt, gehören die Männer zur rechtsextremen Szene. Demnach waren sie unter anderem mit einem Motorboot unterwegs und hatten homophobe Flyer verteilt – per Drohne.

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