Die Stimmung an der Generalversammlung der Schauspielhaus AG wird einerseits durch erwartet negative Bilanzen getrübt. Aber es gibt auch einige theatrale Überraschungen.
Eine Generalversammlung ist kein Schauspiel, auch wenn sich die Aktionärinnen und Aktionäre der Zürcher Schauspielhaus AG versammeln. Aber eine Art Rollenspiel mit einigen rituellen Vorgaben und individuellen Darbietungen wird alleweil geboten. Das merkt man den Protagonisten an, die am Dienstagabend in einer Reihe auf der Pfauenbühne Platz genommen haben, um sich auf ihren Einsatz zu konzentrieren.
Das Publikum seinerseits erwartet zwar weder eine Komödie noch ein Drama, aber immerhin ein böses oder glückliches Ende. Ehrlich gesagt, ist man eher pessimistisch im Hinblick auf die Bilanzen. Bevor aber von nackten Zahlen die Rede sein soll, erteilt der Verwaltungsratspräsident Markus Bachofen das Wort den scheidenden Co-Intendanten. Sie sollen die Höhepunkte der Spielzeit 2022/23 Revue passieren lassen.
Szenische Zwischenspiele
Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg nutzen die Gelegenheit, um auf die ganze Zeit ihres Zürcher Engagements zurückzublicken. Sie sind stolz auf die Solidarität und die positiven Rückmeldungen seitens der lokalen Kunst- und Theaterszene. Dass sich das Publikum aber rarmacht an den Bühnen des Schauspielhauses, sei ein «Frust».
Tatsächlich ist der Rücklauf umso bedenklicher, als Stemann und von Blomberg 2022/23 in Zürich zum ersten Mal eine Saison gestalteten, die nicht durch Corona-Massnahmen beeinträchtigt wurde. Die Intendanten glauben, dass dieses Problem auch ihre Nachfolger beschäftigen wird – mehr noch: Das Theater an sich werde zur Disposition stehen.
Die beiden wollen schliesslich die «ganze Wahrheit» ans Licht bringen. «Die Wahrheit über ihre Leistungen, die Wahrheit über ihre Freunde und Verächter?», mag man sich fragen. Da plötzlich geht tatsächlich ein Theater los: Die Schauspieler-Wutbürger Lukas Vögler und Sebastian Rudolph stürmen die Bühne. Der eine, Vögler, will Dampf ablassen und den «Piepefratzen im Publikum» reinen Wein einschenken; der andere, Rudolph, kann das verhindern in seiner Rolle als Zensor. Nach diesem Zwischenspiel melden sich auch noch die sieben Zwerge auf der Bühne. Wie Stemann feststellt, sind es zwar nur vier. Allein, die vier Zwerge halten das für eine infame Lüge.
Ein Glück, überlassen sie die Zahlen schliesslich dem kaufmännischen Direktor Peter Hüttenmoser, der nun immerhin die numerische Wahrheit preisgibt: 140 000 Zuschauerinnen und Zuschauer wurden für die letzte Saison budgetiert, aber es sind nur 94 577 gekommen – bei insgesamt 477 Veranstaltungen. Das ergibt eine Auslastung von durchschnittlich unter 50 Prozent. Am meisten Publikum hatte das Kinderstück «Pinocchio» (12 500 Besucher); auf Platz zwei steht Stemanns «Ödipus Tyrann» (6400 Besucher). Für die besten Zahlen im Schiffbau sorgte wiederum Nicolas Stemann mit dem Fantasy-Spektakel «Riesenhaft in Mittelerde» (4633 Besucher).
Etwas Zuversicht
Es gab diese Saison andere negative Faktoren wie die höheren Energiepreise und den Rückzug von wichtigen Sponsoren wie der Swiss Re. Es sei aber primär auf den Besucherrückgang zurückzuführen, dass dieses Jahr ein Defizit von 1,388 Millionen Franken bleibe – zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren (in den letzten Saisons wurden Defizite durch spezielle Corona-Rückstellungen verhindert).
Dass sich die Stimmung an der Schauspielhaus-GV jüngst etwas aufhellt, hat drei Gründe. Peter Hüttenmoser verspricht, auf der Basis der letzten Saison die nächste vorsichtiger zu budgetieren. Die Co-Verwaltungsratspräsidentin Beate Eckhardt gibt ihrer Freude über die künftige Intendanz von Pinar Karabulut und Rafael Sanchez Ausdruck. Und der Verwaltungsratspräsident Bachofen stellt dem Publikum einen Apéro in Aussicht.