Sonntag, März 16

Wie soll der Westen angesichts von Putins Krieg gegen die Ukraine mit Literatur aus dem Russischen umgehen?

Die Klassiker der russischen Literatur hätten «fleissig an dem Tarnnetz für die russischen Panzer mitgeknüpft» und den Bomben den Weg geebnet, schrieb die ukrainische Schriftstellerin Oksana Sabuschko nach dem Butscha-Massaker 2022 in einem Essay. Tolstoi, Turgenjew, Dostojewski hätten die imperiale Haltung Russlands vorbereitet. Es sei höchste Zeit, unsere Bücherregale strengen Blickes durchzusehen. Denn die russische Kultur gehöre nicht zu Europa.

Ukrainische Literaturinstitutionen wie der PEN und das Buchinstitut forderten nach der russischen Invasion in die Ukraine sogar, dass weltweit keine russischen Bücher mehr verkauft sowie die Übersetzung russischer Texte nicht mehr gefördert werden solle. So soll Russlands Expansion mit kulturellen Mitteln gestoppt werden.

Der russisch-schweizerische Schriftsteller und Kremlkritiker Michail Schischkin geht nun den entgegengesetzten Weg: Er will einen neuen Literaturpreis schaffen, um russischsprachige Literatur am Leben zu halten.

Die westliche Sichtweise sei zu eng. Die russische Sprache gehöre nicht zur Russischen Föderation. Denn auf Russisch schreibe auch Swetlana Alexijewitsch aus Weissrussland oder Andrei Kurkow aus der Ukraine. Es gebe russischsprachige Schriftstellerinnen und Schriftsteller in Litauen, Kasachstan, Georgien oder Deutschland.

Die Erfahrung der Literatur in russischer Sprache müsse überdacht, das imperiale Denken überwunden werden, sagt Schischkin. «Mörder, Kriegsverbrecher begehen Straftaten, nicht die Sprache», sagt Schischkin. Er verweist auf den deutschsprachigen Lyriker Paul Celan. Die Sprache seiner Gedichte war im Zweiten Weltkrieg auch die Sprache der Mörder seiner Mutter.

Kremlnahe Schriftsteller werden nicht mehr verlegt

Doch die ukrainischen Buchzentren urteilen strenger. 2022 schrieben sie, in vielen Büchern aus Russland sei russische Propaganda eingewoben, die sie «zu Waffen und Vorwänden für den Krieg» mache.

Der Slawistik-Professor Ulrich Schmid, der beim Projekt des neuen Literaturpreises ebenfalls mitwirkt, sagt, man müsse differenzieren. Imperialistisches Denken finde man etwa in den Texten des russischen Nationaldichters Puschkin. Darin verherrliche er den russischen Feldzug im Kaukasus oder rechtfertige die Niederschlagung des politischen Aufstandes im 19. Jahrhundert. Der prominente ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan hatte Puschkin in einem Facebook-Post die Schuld gegeben, dass «in Russland Kriegsverbrechen geboren werden». In der Ukraine werden seither Puschkins Denkmäler abgebaut.

Auch heute gebe es russischsprachige Schriftsteller aus dem Donbass, die den imperialen Anspruch von Russland auf die Ostukraine in ihren Büchern unterstützten, sagt Schmid. Propagandabücher seien aber ein verschwindend kleiner Teil der russischen Gegenwartsliteratur.

Daneben gebe es eine Reihe ernsthafter Schriftsteller, die sich positiv äusserten über den neoimperialen Kurs Putins. Autoren, die zum Kern der Kriegsbefürworter gehören, würden im Westen nicht mehr verlegt, sagt Schmid. In der deutschen Verlagsgesellschaft gebe es eine Art Selbstregulierung.

Das zeigt sich etwa am Beispiel von Zahkar Prilepin. Sein erster Roman wurde 2012 vom Berliner Verlag Matthes & Seitz verlegt. Seit er sich aber hinter den imperialistischen Kurs von Putin gestellt hat und «die Rückgabe Kiews an Russland» gefordert hat, sind die neuen Romane des kremlnahen Autors nicht mehr auf Deutsch erschienen.

Auch für Schischkin ist klar: «Russland ist Aggressor. Diejenigen, die diese Aggression unterstützen, sollen das Geld für diesen Krieg nicht bei westlichen Verlagen verdienen.» Im putinschen Russland werde das freie Wort erwürgt. «An den Büchern, die dort heute noch erscheinen können, haftet der Geruch von Blut und Schande.» Das seien die Worte Thomas Manns in Bezug auf die deutschen Bücher in der Nazizeit gewesen. Sie gälten auch jetzt für die Bücher, die in Russland veröffentlicht würden.

Kritische Schriftsteller sind im Exil

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs geht die russische Regierung verschärft gegen kritische öffentliche Stimmen vor. Viele Verlage hätten Angst vor Repressionen, wenn sie Autoren verlegten, die zu «ausländischen Agenten» oder «unerwünschten Personen» erklärt worden seien, sagt Schmid.

Auf diese Weise wurde etwa Boris Akunin abgesetzt. Er war einst der am meisten gelesene Krimiautor Russlands. Bücher von Autoren wie Akunin, Dmitri Bykow oder Ljudmila Ulizkaja, die sich kritisch über den Ukraine-Krieg und Putins Regime äussern, verschwinden systematisch aus russischen Buchhandlungen und in den Bibliotheken. Ihr Hauptmarkt bricht weg.

Neu sei die Situation nicht, sagt Schmid. Russland habe eine lange Tradition von literarischem Schreiben unter schwierigen politischen Umständen. Nicht nur zu Sowjetzeiten, sondern auch im Zarenreich waren die Autoren nicht frei.

Ihre Arbeit setzen sie im Exil fort. Schriftsteller von Rang und Namen hätten Russland längst verlassen, sagt Schmid. Sie dürften keine Probleme haben, im Westen weiterhin ihre Werke zu veröffentlichen. Schischkins aktuelles Buch (2023) etwa erschien in 20 Sprachen, obwohl er aus Moskau stammt.

Gütesiegel für russischsprachige Literatur

Wenig bekannten jungen, auf Russisch schreibenden Autoren bleibt der Zugang zum Buchmarkt im Westen aber praktisch verschlossen. Vor dem Krieg erhielten westliche Verlage für Übersetzungen Zuschüsse aus den Stiftungen in Moskau. Nun sei die Unterstützung aus Russland für die Autorinnen und Autoren, die sich gegen den Krieg aussprechen, so gut wie ausgeschlossen, sagt Schischkin.

Beim Literaturpreis gewinnen kann man deshalb ein Übersetzungsstipendium. Allerdings ist der Verein selbst noch auf finanzielle Unterstützung angewiesen, um die Idee zu verwirklichen.

Der Literaturpreis soll auch als eine Art Gütesiegel wirken. Er soll ein Nachweis sein, dass die ausgezeichneten Werke einerseits einem literarischen Massstab genügen. Und andererseits auf der politisch richtigen Seite stehen. Denn zwischen Verlegern und Büchern stehe oft die Mauer der Sprache, sagt Schischkin. «Niemand will eine ‹Katze im Sack› kaufen und viel Geld in die Übersetzung eines unbekannten Schriftstellers investieren.» Für westliche Verleger spiele deshalb die politische Position eines Autors eine wichtige Rolle.

Wer sich für den Literaturpreis bewirbt, erklärt ausdrücklich, dass er die Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine verurteilt und die Ukraine in ihrem Kampf um Freiheit unterstützt.

Das freie Wort werde aber gewährleistet, eine «Zensur» werde es nicht geben, sagt Schischkin. Diese Frage erübrige sich. «Denn die putinschen ‹Patrioten› werden ihre Werke bei dem Preis der ‹Nationalverräter› nicht einreichen, sonst werden sie in Russland auch als ‹Verräter› betrachtet.» Für die Autoren, die die putinsche Aggression unterstützten, gebe es genug Preise in Moskau.

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