Montag, Oktober 21

Das Museum Rietberg und das Völkerkundemuseum zeigen Kunstwerke aus dem Königreich Benin. Nigeria fordert die Objekte zurück. Jetzt wehren sich amerikanische Aktivisten gegen diese Pläne.

Die Skulptur des Oba Osemwende hat riesige Augen und keine Pupillen. Sie ist derzeit im Museum Rietberg in Zürich zu sehen, 4500 Kilometer entfernt von ihrem Herkunftsort, der nigerianischen Stadt Benin City. Benin City hiess einst Edo und war die Hauptstadt des früheren Königreichs Benin, das im heutigen Nigeria liegt. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Osemwende dessen Herrscher, ein Oba.

Auf der Texttafel zur Skulptur im Museum Rietberg klebt ein roter Sticker. Darauf steht: «Restitution im Dialog». Das bedeutet: Die Statue des Oba könnte an Nigeria zurückgegeben werden.

Denn die Skulptur wurde zusammen mit mehreren tausend anderen Kunstwerken geraubt. Die Briten erbeuteten sie bei einem Angriff auf Benin City im Jahr 1897, brannten den Palast nieder und verbannten den damaligen Oba. Danach wurde das Königreich Kolonie.

In Zürich stehen insgesamt 30 Benin-Bronzen, 14 im Völkerkundemuseum der Universität, 16 im Museum Rietberg. Nigeria fordert von beiden Museen, dass sie die Kunstwerke zurückgeben. Dem wollen die Museen nachkommen. Das halten sie zusammen mit anderen Schweizer Museen in einer Erklärung fest, die auch ein Vertreter des amtierenden Oba unterstützt.

Vergangenes Jahr hat der damalige nigerianische Präsident Muhammadu Buhari entschieden, dass alle Benin-Bronzen zum Privatbesitz des Oba gehören. Die Entscheidung des Präsidenten betrifft auch die Benin-Bronzen, die heute noch nicht in Nigeria sind. Zum Beispiel jene in Zürich, aber auch jene in London, Wien, New York. Es geht um Tausende Objekte im Wert von Hunderten Millionen Dollar.

«Verbrechen gegen die Menschlichkeit»

Nun wehrt sich eine Anwältin aus New York gegen die Rückgabepläne der Zürcher Museen. Deadria Farmer-Paellmann ist Direktorin der Restitution Study Group und setzt sich seit über zwanzig Jahren dafür ein, dass Nachfahren versklavter Menschen Reparationen erhalten.

Farmer-Paellmann schreibt in einem Brief an das Museum Rietberg, der der NZZ vorliegt: «Diese Bronzen sind aus Blutmetall. Ihr unterstützt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.»

Aus ihrer Sicht sind die Obas nicht Opfer, sondern Täter. Denn die Herrscher des Königreichs Benin verdienten ihr Vermögen, indem sie Europäern Sklaven verkauften, die dann in die Karibik und in die USA verschleppt wurden. Eine Frau kostete 50 Messingringe. Ein Mann 57. Aus diesen Messingringen wurden dann Bronzen gegossen.

Farmer-Paellmann ist selber Nachfahrin beninischer Sklaven. Sie findet, der heutige Oba habe kein Recht auf die Bronzen, sondern nur die Nachfahren der Versklavten – weil die Bronzen nie hätten entstehen können, wenn die Obas keine Menschen verkauft hätten.

Damit schaltet sich Farmer-Paellmann in den laufenden politischen Prozess in Zürich ein. Die Universität ist dabei, die Rückgabeforderung Nigerias zu diskutieren, die bei ihr eingegangen ist. Die Stadt Zürich, der das Museum Rietberg gehört, ebenso.

Das Völkerkundemuseum der Universität vertritt einen anderen Standpunkt als Farmer-Paellmann. «Die Profiteure des Handels mit versklavten Menschen waren vor allem Europäer. Die Objekte in Europa zu belassen, wäre widersinnig», schreibt es auf Anfrage. Und weiter: «Dass Objekte, die geraubt wurden, zurückgegeben werden sollten, entspricht einer ethischen Haltung.»

Das Museum Rietberg schreibt, dass in die Diskussionen zur Rückgabe der Benin-Bronzen alle Argumente einfliessen würden. «Forschung und Ausstellung binden verschiedenste Stimmen aus der Wissenschaft, der Kunst und Museumswelt aus Nigeria und der afrikanischen Diaspora in der Schweiz mit ein.»

Die Ausstellung thematisiere den transatlantischen Sklavenhandel an mehreren Stellen. Ausserdem habe sich eine karibische Künstlerin im Rahmen einer Veranstaltung im Museum mit ihrer Geschichte als Nachfahrin versklavter Menschen auseinandergesetzt.

Ein Blick in die Ausstellung zeigt: Informationen über den Sklavenhandel finden sich auf drei Texttafeln. Auch die Position der Restitution Study Group wird erwähnt, separat auf einem weiteren Schild mit dem Titel: «Restitutionskritik».

Jetzt sind der Stadtrat und die Universität am Zug

Ob die Zürcher Benin-Bronzen zurück nach Nigeria geschickt werden, entscheiden der Stadtrat und die Universität. Stimmen beide einer Rückgabe zu, würden die Eigentumsrechte der Benin-Bronzen an Nigeria übertragen.

Und was geschieht danach mit den Bronzen?

«Wenn anerkannt wird, dass die Objekte gestohlen wurden und nigerianisches Kulturerbe sind, sollte man Nigeria auch zugestehen, selbst darüber zu entscheiden, wie es mit seinem Kulturerbe umgeht», schreibt das Völkerkundemuseum.

Möglich ist, dass die Benin-Bronzen zurückgeschickt werden, dass sie als Dauerleihgaben oder in gemeinsamen Ausstellungen Nigerias und der Zürcher Museen zu sehen sein werden.

Deadria Farmer-Paellmann ist mit keiner dieser Optionen zufrieden. Sie möchte, schreibt sie der NZZ, dass Nachfahren wie sie zusammen mit westlichen Institutionen zu Besitzerinnen der Objekte werden. Im Brief ans Rietberg schreibt sie: «Keep these relics at your museum.»

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