Jeongkwan Snim stellt ihre koreanische Tempelküche erstmals in Buchform vor. Eine Auseinandersetzung mit den Rezepten kann zur Lektion in gelassenem Scheitern werden.
So viele von uns hetzen von einem Termin zum nächsten und schlingen dazwischen ein Sandwich hinunter. Kein Wunder, lechzt diese Gesellschaft nach Inspiration für Entschleunigung. Am Herd langsam Zucker zu caramelisieren oder eine Sauce reduzieren zu lassen, ist eine gute Therapie gegen diese Rastlosigkeit, das wissen Hobbyköche. In ganz andere Dimensionen der Behutsamkeit aber stösst diese Zen-buddhistische Klosterfrau aus Südkorea vor. Sie anerkennt die Zeit, die viele als Gegnerin sehen, als «die wahre Meisterin» in ihrer Küche.
Jeongkwan Snim (Snim steht für die ordinierte Nonne) scheint eine ideale Projektionsfläche für die in Industrieländern wachsenden Sehnsüchte nach Achtsamkeit und Ursprünglichkeit zu sein. Seit sie 2017 eine Folge der zu Pathos neigenden Netflix-Serie «Chef’s Table» geprägt hat, gilt sie im Westen als Star, was mehr über den Westen aussagt als über sie. Als Galionsfigur der koreanischen Tempelküche, deren 1600-jährige Tradition seit zwei Jahrzehnten auch der Tourismusförderung dient, gibt sie Gastspiele rund um den Globus. Spitzenköche feiern ihre Ansätze als Zukunft der Gastronomie, neugierige Gäste besuchen sie scharenweise. Dabei verkörpert die 67-jährige Meisterin das Gegenteil der schnelllebigen Trends, denen Foodies heute gerne hinterherreisen.
Ein 500-jähriger Orangenbaum
Vielleicht ist es Zeit, etwas herunterzukommen. Ein Buch könnte dabei helfen: «Jeongkwan Snim – Ihre koreanische Tempelküche» heisst das im Basler Echtzeit-Verlag erschienene Werk von Hoo Nam Seelmann, einer in der Schweiz lebenden Journalistin mit südkoreanischen Wurzeln, und der Fotografin Véronique Hoegger. Üppig bebildert, werden die Geschichten und Rezepte in den Lauf der Jahreszeiten eingereiht, als befände man sich in Kim Ki Duks Spielfilm «Frühling, Sommer, Herbst, Winter . . . und Frühling». Und es beginnt märchenhaft, mit einem 500-jährigen Baum, seinen Bitterorangen und viel, viel Zeit.
Jeongkwan Snim hat das Kochen als Teenager im Tempel gelernt, wo sie Trost und Geborgenheit fand nach dem frühen Tod ihrer Mutter. So begann ihr buddhistischer Weg, zu dem ihr Wirken am Herd untrennbar gehört. Spiritualität und Kulinarik sind auch im christlichen Abendland eng verknüpft, weit über Abendmahl und Klosterfrau Melissengeist hinaus; doch das Buch schält klar heraus, wie früh der Buddhismus von Ernährungsfragen geprägt war.
Daraus sind viele Richtungen entstanden, und in der veganen Tradition des ostasiatischen Mahayana-Buddhismus ist Jeongkwan Snim daheim. Sie haust in der abgeschiedenen Chunjinam-Klause des uralten Baegyangsa-Tempels in den Bergwäldern unweit von Seoul, lebt und arbeitet im Einklang mit den Elementen, den Saisons und der Natur. Zum Geheimnis ihrer Kochkunst gehören all die Onggi-Töpfe, in denen sie Gemüse und Früchte einmacht: Das Fermentieren, das in westlichen Spitzenküchen eine Renaissance erlebt, dient der Haltbarmachung ebenso wie der Bekömmlichkeit. Sojasauce reift in diversen Jahrgängen, nach knapp drei Jahrzehnten soll sie einzigartig sämig und süss sein.
Jeongkwan Snim kocht meist ohne Waage, Messbecher und Rezepte, die sie als etwas Flüchtiges bezeichnet.
Diese Tempelküche ist eine Art Cucina povera, vom Handwerk bis zum Ergebnis schlicht. Alkohol und Fleisch sind tabu, Knoblauch und Zwiebeln ebenso, sie sollen den Körper zu sehr erregen. Zu den Zielen zählt es, den Appetit oder die Gier zu zügeln, die mit dem Essen kommt. Nach den Regeln Buddhas, der frei von Besitz und Begehren sein wollte, wird im Kloster oft nur einmal am Tag gegessen.
Jeongkwans kulinarische Bekenntnisse mögen sich gut machen in westlichen Seminaren für bewusste Ernährung (einschliesslich Intervallfasten). Doch im Grund hat sie eine ganz andere Perspektive. Das zeigt sich an ihrer Kritik, dass viele Leute auf Genuss aus seien und den Geschmack kultivierten. Sie selbst setzt andere Massstäbe, etwa die Harmonie mit der Umwelt und der eigenen Innenwelt: «Letztlich hilft das Essen, eine Identität zu formen. Denn es wird zu Immunkräften, zu Geist und Körper.»
Das Buch vermittelt eine Ahnung von der Aura dieser Frau mit dem rundlichen, kahlgeschorenen Kopf und ihrer Mischung aus Demut und Souveränität. Doch darüber hinaus ist es ihr erstes Kochbuch – obgleich sie sich stets dagegen gesträubt haben soll, ein solches herauszugeben. Sie selbst kocht meist ohne Waage, Messbecher und Rezepte, die sie als etwas Flüchtiges bezeichnet. Sie schöpft vor allem aus einer unerhörten Vertrautheit mit ihren lokalen Zutaten.
Die Tempelküche ist vom Handwerk bis zum Ergebnis schlicht. Alkohol und Fleisch sind tabu, Knoblauch und Zwiebeln ebenso, sie sollen den Körper zu sehr erregen.
Versuch mit Kimchi
Wem diese Vertrautheit fehlt, dem machen es die Rezepte nicht leicht, wie dem Verfasser dieser Zeilen: Auf Anhieb einwandfrei gelingt mir immerhin kandierter Ingwer (Pyengang) – kinderleicht. Mein Versuch aber, nach der Anleitung aus Sojabohnen ein Tofu herzustellen, mündet zweimal in kläglichem Resultat und Ertrag. Bei 60 Grad confierte Cherrytomaten geraten ungebührlich salzig. Vielleicht die Strafe dafür, dass ich die Tomätchen vor dem Blanchieren zur besseren Schälbarkeit gewohnheitsgemäss kreuzartig eingeschnitten habe (mit schlechtem Gewissen, da das Rezept das nicht vorsah)?
Fest steht: Für einen wie mich lässt das Buch gerade in der Schlichtheit seiner Rezepte zu vieles ungeklärt, von der Art des zu verwendenden Zuckers, Essigs oder Gefässes bis zur Frage, ob koreanische Pflaumen problemlos durch einheimische zu ersetzen sind.
Natürlich versuche ich mich auch an Kimchi, mit dem in unseren Breitengraden einst das Interesse an koreanischer Küche erwacht ist. Auch bei dieser jahrtausendealten Spezialität ist die Dosierung der Zeit zentral – und die des Salzes: mit zu viel wird’s zu weich, mit zu wenig zu steif. Ans «Schmoren von drei Jahre altem Kimchi» wage ich mich noch nicht heran. Das «schnelle Kimchi» aus Eichblattsalat wiederum ist innert Minuten fertig – und schmeckt entsprechend dürftig. Dafür reift seit einigen Tagen mein «Sommer-Wasser-Kimchi» mit Chinakohl und Rettich vor sich hin und schürt die Hoffnung auf Gelingen. Ich übe mich in Zen-buddhistischer Demut, Gelassenheit und Geduld.
Auf die kulinarische Erleuchtung warte ich noch. Doch das Scheitern nehme ich als Lektion: Eine Kochtradition, die so stark mit der Umgebung und deren Ernte verwachsen ist, lässt sich so wenig verpflanzen, wie ich für ein buddhistisches Klosterleben geschaffen bin.
Hoo Nam Seelmann und Véronique Hoegger: Jeongkwan Snim. Ihre koreanische Tempelküche. Echtzeit-Verlag, Basel 2024. 445 S., Fr. 62.90.