Mittwoch, Oktober 2

15 deutsche Werte zeigten zuletzt mehr Auftriebskraft als der US-Technologieindex. Der Rüstungskonzern Rheinmetall schafft es sogar in die internationalen Top Ten der stärksten Aktien. Weitere Industriewerte, Banken und Wohnungsverwalter haben das Momentum auf ihrer Seite.

15 deutsche Mitglieder des Leitindex Stoxx Europe 600 sind stärker als der Nasdaq 100. Sie zeigen einen grösseren Kursauftrieb als der technologielastige US-Index, der die übrigen grossen Börsenbarometer weltweit in dieser Hinsicht erneut übertroffen hat.

Der Rüstungskonzern Rheinmetall schafft es sogar unter die zehn auftriebsstärksten Aktien aller rund 1300 Mitglieder des europäischen Stoxx 600, des US-Leitindex S&P 500 und des Swiss Performance Index. Der Kursanstieg ist durch die starke Nachfrage nach Rüstungsgütern infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine getrieben. An den erwarteten Gewinnen gemessen ist Rheinmetall immer noch moderat bewertet, wie die The-Market-Analyse von Mitte April zeigt.

Wie The Market das Kursmomentum bestimmt

The Market rangiert die rund 1300 Titel, die im amerikanischen S&P 500, im europäischen Stoxx Europe 600 und im heimischen SPI vertreten sind, nach der Kursveränderung über sechs und zwölf Monate. Dies, weil diverse akademische Studien gezeigt haben, dass Valoren, die über diese Perioden gut abgeschnitten haben, auch in den darauffolgenden Monaten die Nase vorn haben. Beide Komponenten erhalten das gleiche Gewicht. Gewinner ist die Aktie mit der im Durchschnitt besten Kursentwicklung.

Unter den 15 deutschen Momentum-Werten rangieren ausser Rheinmetall vier weitere Industrieunternehmen: der Lastwagenbauer Daimler Truck, der Profi-Küchengerätehersteller Rational, der Gabelstabler- und Lagerlogistikfertiger Kion sowie Siemens.

International treiben vor allem Industrie-, Finanz- und Technologiewerte die Indizes höher. Wenig gefragt sind dagegen defensive Branchen wie Versorger, Basiskonsum und Energie.

Titel mit dem höchsten Momentum nicht zwingend die besten Investments. Riskant sind Aktien, die sich in einer Preisblase befinden. Die Favoriten der Anlegermassen erreichen gelegentlich Bewertungsniveaus, die mit den Geschäftszahlen der Unternehmen längst nicht mehr zu rechtfertigen sind. Nach der Euphorie droht dann der Kursabsturz. Oft jedoch hält der Kursanstieg noch einige Monate länger an.

Drei Industriewerte in starken Marktnischen

Das Trio Daimler Truck, Rational und Kion eint, dass alle drei in Marktnischen eine auch technologisch führende Position einnehmen und dort auf eine überschaubare Zahl von Konkurrenten treffen. Dies ist die Stärke des deutschen Fertigungssektors, der bei Standardware wegen der vergleichsweise hohen Kosten weniger punkten kann.

Daimler Truck (Platz 139) ist einer der drei weltweit führenden Lastwagenhersteller neben der Volkswagen-Tochter Traton und Volvo Group. Die erst seit 2021 an der Börse geführte frühere Daimler-Sparte, an der Mercedes-Benz noch 30% hält, ist operativ derzeit kein Wachstumstar. Analysten sagen für das laufende Jahr sogar einen um mehr als 3% schrumpfenden Umsatz voraus. In den Folgejahren soll der Lastwagenhersteller dann aber um mehr als 7 Prozent pro Jahr zulegen. Ähnlich stark klettern soll der Jahresüberschuss, und das auch schon 2024. Die Marge auf Ebene Ebitda liegt bei 11%.

Der Hersteller von Profiküchengeräten Rational (Platz 204) wächst dagegen seit mehr als zwei Dekaden im Durchschnitt mit knapp 10% pro Jahr, so auch 2023. Der Aktienkurs ist in dieser Zeit um durchschnittlich 14% pro Jahr gestiegen. Das Unternehmen gilt als einer der zuverlässigsten Wertsteigerer an der deutschen Börse. Daran gemessen ist die aktuelle Aktienbewertung vertretbar.

Kion (Platz 205) stellt Gabelstapler her und automatisiert Lagerhäuser. Einst gehörte das Geschäft zu Linde, heute hält der chinesische Nutzfahrzeugproduzent Weichai Power 46,5% der Anteile. Das schöne am Gabelstaplergeschäft: Mehr als die Hälfte des Umsatzes sind margenstarke Serviceeinnahmen. Trotz des jüngsten Kursauftriebs liegt die Aktie immer noch mehr als 50 Prozent unter dem Hoch von 2022 bei 100€. Die Bewertung wirkt attraktiv: Der Kurs entspricht nur dem 11-fachen des für die kommenden zwölf Monate geschätzten Gewinns. Durchschnittlich wurde Kion in der vergangenen Dekade mit dem 15-fachen des geschätzten Gewinns bewertet.

Auftrieb für Dax-Schwergewicht Siemens

Siemens (Platz 233) wird dagegen mit dem 16-fachen des geschätzten Gewinns für die kommenden zwölf Monate gehandelt, etwas über dem zehnjährigen Durchschnittswert von gut dem 15-fachen Gewinn. Der Jahresüberschuss soll auch in den kommenden Jahren um gut 10% zulegen, erwarten die Analysten.

Noch stärkeren Auftrieb als Siemens hat der französische Rivale Schneider Electric: Der schafft es sogar auf Platz 101 der Momentum-Liste. Auch der Schweizer Konkurrent ABB ist nach dem erfolgreichen Turnaround der vergangenen Jahre deutlich weiter vorn platziert (114).

Banken geniessen die höheren Zinsen

Deutsche Bank (Platz 37) und Commerzbank (Platz 175) haben von den höheren Zinsen profitiert. Sie konnten die Zinseinnahmen auf das von Kunden eingelegte Kapital kräftig steigern. Besonders erfreulich für die Banker: Lange Zeit mussten sie die Einlagenzinsen, die sie ihrerseits den Kunden zahlen, deutlich weniger stark anheben. Doch inzwischen fordern die Kunden höhere Zinsen oder wechseln zu attraktiveren Anbietern. «Das Umfeld für die Banken war sehr gut, es wird aber nicht mehr besser», sagt Harald Braun, Geschäftsführender Gesellschafter des Fontis Family Office in Stuttgart.

Besonders starken Auftrieb hat die Deutsche Bank. Sie unterscheidet sich von der Commerzbank durch das grosse Investmentbankgeschäft. Und diese Investmentbank der Frankfurter steigerte die Erträge im ersten Jahresviertel um 13%. Sie profitiert vom auflebenden Geschäft im Wertpapierhandel und in der Beratung bei Fusionen und Börsengängen. Die Belebung im Investmentbanking könnte noch einige Quartale anhalten, sagt Yoann Ignatiew, ehemaliger Wertpapierhändler bei Morgan Stanley und Fondsmanager bei Rothschild & Co Asset Management.

Gerade das Investmentbanking ist mittelfristig jedoch anfällig für hohe Verluste. Von aussen sind die damit verbundenen Risiken noch dazu nur sehr schwer einzuschätzen.

Wohnungsverwalter hoffen auf sinkende Zinsen

Gleich drei Verwalter von Wohnungen haben es in die Liste geschafft: TAG Immobilien (Platz 121), LEG Immobilien (165) und der grösste deutsche Vermieter Vonovia (284). Seit den Höchstständen von 2020 sind die Aktienkurse nach dem Ende der Niedrigzinsära stark eingebrochen. Denn die Wohnungsportfolios der Verwalter sind in erheblichem Masse per Kredit finanziert. Von der Höhe der Zinsen hängt auch ab, welche Preise in der Branche für solche Wohnungspakete geboten werden. Steigende Zinsen führen zu sinkenden Transaktionspreisen; die Verwalter müssen dann die Bewertung ihrer Bestände senken, wie in den vergangenen Jahren gesehen.

Die Hoffnung auf wieder fallende Zinsen hat in den zurückliegenden zwölf Monaten die Kurse der Betonverwalter beflügelt. Branchenprimus Vonovia konnte zuletzt einige Pakete zum Buchwert verkaufen, sagte Unternehmenschef Rolf Buch bei der Vorstellung des Quartalsergebnisses. Doch falls die Hoffnung auf eine Trendwende der Notenbanken weiter schwindet, könnten die Bewertungen nochmals fallen. Immobilienaktien bleiben eine Wette auf sinkende Zinsen.

SAP: Abo-Verkauf bringt eine höhere Bewertung

Da es keine härtere Hardware gibt als Beton, ist Softwarehersteller SAP genau am entgegengesetzten Ende der Geschäftswelt anzusiedeln. Während Vonovia Nettoschulden von 42 Mrd. € tragen muss, besitzt SAP eine Netto-Cashposition von 2,5 Mrd. €.

Der Wandel vom Lizenzverkäufer zum Softwarevermieter (Neudeutsch: «Software as a Service», SaaS) in der Datenwolke («Cloud») kommt voran. Neuerdings spricht SAP-Chef Christian Klein noch dazu häufiger als in den Vorjahren das Zauberwort von der künstlichen Intelligenz aus.

Bei der Bewertung hat die Aktie ein ganz neues Niveau erreicht: Der Kurs entspricht dem 32-fachen des für die kommenden zwölf Monate geschätzten Gewinns. Der Durchschnitt seit 2010 lag nur beim 19-fachen Gewinn. Schliesslich soll das Abo-Modell die Kunden noch stärker binden als ohnehin schon, so die Hoffnung der SaaS-Fans.

Der Wechsel zu einem anderen Unternehmenssoftware-Anbieter war allerdings von jeher mit abschreckendem Aufwand verbunden. Allerdings sind in der Cloud auch grosse Rivalen erwachsen wie Salesforce, ServiceNow oder Workday, die SAP in Teilbereichen in Beliebtheit und Fähigkeiten übertreffen sollen.

Seit November hat die SAP-Aktie den Ausbruch zu einem stabilen Aufwärtstrend geschafft. Es ist also gut möglich, dass das Rekordhoch von 182,60 € von Ende März bald Geschichte ist.

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