Montag, Oktober 7

Die neuste Mango-Kampagne wurde mithilfe künstlicher Intelligenz erstellt. Schweizer Modelagenturen nehmen die Bilder mit Skepsis zur Kenntnis. Noch ist das Erschaffen von Kleidern und Menschen mit KI aufwendig und teuer.

Ein Model steht vor verschwommenem Hintergrund, sein Blick ist sanft, die Züge symmetrisch, die Haut makellos. Die neuste Kampagne des spanischen Fast-Fashion-Konzerns Mango ist unauffällig. Und hat genau deswegen Dutzende Schlagzeilen ausgelöst.

Kritiker sehen darin unmenschliche Schönheitsstandards, eine Täuschung des Konsumenten. Denn Mango hat die Kampagne im Ethno-Look mithilfe künstlicher Intelligenz erstellt. Die schemenhaften Lehmhäuser im Hintergrund? Gibt es nicht. Das Model? Ebenfalls nicht. Das Einzige, was in Wirklichkeit existiert, sind die Kleider. Die will Mango verkaufen.

Mango sieht in der künstlichen Intelligenz eine grosse Chance – und verkauft die Kampagne als Pionierleistung. Dabei gab es in den vergangenen Jahren schon mehrere KI-generierte Plakatkampagnen, etwa vom amerikanischen Modehändler Revolve. Auch Levi’s hat schon auf virtuelle Models gesetzt, Stradivarius hat seinen Models mithilfe künstlicher Intelligenz neue Köpfe verpasst. In einer Umfrage von McKinsey gaben 73 Prozent der Modeunternehmen an, dass KI zu ihren wichtigsten Prioritäten in diesem Jahr gehöre.

Die Firmen hoffen, dass KI in Zukunft nicht nur Werbung kreiert, sondern beim Entwerfen von Kleidung hilft, das Kaufverhalten der Kunden und neue Trends analysiert, virtuelle Kaufberatung leistet. Die KI bedroht damit Jobs von Designern, Fotografen, Models. Doch noch sind die Prozesse im Anfangsstadium: Schweizer Modelagenturen reagieren auf die Mango-Kampagne darum mit Skepsis.

KI kann Kleider schlecht darstellen

Ursula Knecht führt seit 1987 die Option Model Agency, rund hundert männliche und weibliche Models sind bei ihr unter Vertrag. Knecht zweifelt daran, dass ihre Models bald durch KI-generierte Pendants ersetzt würden. «Dafür sind die Kampagnen noch viel zu teuer», sagt sie.

Die Produktion von Werbebildern mithilfe von KI ist aufwendig. Die Proportionen sind oft falsch. Die KI hat zudem Probleme, Kleidungsstücke an die Körper anzupassen. Röcke fallen falsch, Tops sitzen nicht richtig. Das ist für Unternehmen, die Kleidung möglichst vorteilhaft präsentieren wollen, ungünstig.

Mango musste darum seine Kollektion zuerst an Körpern echter Models abfotografieren, um sie dann in die KI einzuspeisen. Die Bilder, die von der KI erstellt worden sind, sind laut Mango danach nochmals überarbeitet worden. Viel Aufwand, der nun mit dem grossen Medienecho belohnt wird. Für kleinere Labels sei KI keine Option, sagt Knecht.

Die Pandemie war die Zeit der virtuellen Models

David Ratmoko, Chef der Agentur Metro Models und Kulturwissenschafter, hat vor drei Jahren erwägt, seine Kartei von 2000 Models mit einem virtuellen zu ergänzen. Auslöser für die Überlegungen war die Pandemie. Models konnten nicht mehr reisen. Grosse Projekte waren wegen der Vorschriften nicht umsetzbar. Die Vorteile eines virtuellen Models schienen plötzlich zu überwiegen.

Ratmoko liess sich von japanischen Videogame-Entwickler beraten, die dies als Nebenprodukt anbieten. Die boten ihm die Entwicklung eines virtuellen Models für um die 150 000 Franken an. Doch damit seien die Kosten noch nicht gedeckt gewesen. «Jedes Shooting hätte nochmals 20 000 bis 50 000 Franken zusätzlich gekostet», sagt Ratmoko. Als Modelagentur profitiere man von der Vielfalt an Models, die man anbiete. «Das Risiko war zu gross, dass dieses eine Model nur wenige Aufträge generiert hätte.»

Die fehlende Transparenz ist für David Ratmoko ein klarer Schwachpunkt von virtuellen Models. Kampagnen heutzutage bestünden nicht nur aus den Bildern auf den Plakaten. Es würden auch Aufnahmen vom Set veröffentlicht, etwa die Stylistin, die das Model schminkt. So könne Transparenz und Nähe geschaffen werden. «Bei KI-generierten Kampagnen ist dies unmöglich.» Es sei unklar, was zwischen Eingabe und Endresultat passiere.

Der Mensch bevorzugt menschengemachte Kunst

Die Verwendung von KI steht immer wieder in der Kritik, auch in der Modebranche. Es ist unklar, woher die grossen Datenmengen kommen, mit der Bilder generiert werden. Zudem hat sich gezeigt, dass die KI dazu tendiert, gängige Schönheitsideale und Stereotype zu reproduzieren. In einer Branche, die seit Jahren versucht, diverser zu werden. Ein Unternehmen, das sich bereits proaktiv gegen KI entschieden hat, ist die amerikanische Kosmetikmarke Dove. Sie hat im vergangenen Herbst angekündigt, niemals künstlich generierte Bilder als Werbefotos zu nutzen.

Ausserdem wird es immer schwieriger, KI-generierte Werke zu entlarven. «Auf den ersten Blick waren die Bilder von Mango täuschend echt», sagt Ursula Knecht von Option. Erst bei genauerem Hinschauen seien ihr die zu langen Arme und die toten Augen aufgefallen. Mango hat die Bilder nicht speziell gekennzeichnet. Denn dies ist rechtlich nicht vorgeschrieben – noch nicht. Die EU hat ein umfassendes KI-Gesetz verabschiedet, das genau dies vorschreibt. Ab Februar 2025 werden die ersten Bestimmungen verpflichtend sein.

«Am Ende entscheiden die Konsumenten, ob sie KI-generierte Bilder akzeptieren», sagt David Ratmoko. Eine Studie der Universität Wien kam zum Schluss, dass computergenerierte Kunst zwar Emotionen auslöse. Menschengemachte Kunstwerke würden dennoch positiver bewertet.

Doch ein Blick auf Instagram zeigt: Virtuelle Models sind längst etabliert. Miquela Sousa etwa folgen 2,5 Millionen Menschen. Sie zeigt sich nahbar, beim Blumenkauf, im Ankleideraum im Secondhandladen, angeblich zu Tränen gerührt auf dem Bett. Das schwarze Model Shudu Gram, das als erstes digitales Supermodel gehandelt wird, präsentiert sich hingegen distanziert auf perfekt inszenierten Bildern, etwa auf dem Cover der «Vogue». Wer hinter dem Model steckt und an ihm Geld verdient, schien lange unwichtig – bis herauskam, dass es ein weisser Mann ist.

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