Freitag, Januar 3

Susie Armstrong verband erstmals ein Mobiltelefon mit dem Internet, liess 22 Patente registrieren und lehnte ein Angebot von Steve Jobs ab. Doch statt über ihre Erfolge redet sie lieber über Technik.

Kaum eine Erfindung hat unser Leben so nachhaltig verändert wie das Smartphone. Ein vergleichbares Beispiel wäre die Glühbirne; jedes Schulkind lernt, dass ihr Erfinder Thomas Edison heisst. Aber das Smartphone, wer hat das erfunden?

Basel, ein Donnerstag im November 2023, kurz vor dem Sonnenuntergang. Susie Armstrong steht ganz hinten im Konferenzraum. Auf den ersten Blick wirkt es, als würde sie dem Redner zuhören. Aber ihre Augenbewegungen verraten, dass sie in Wirklichkeit die Masse von Leuten betrachtet, vor der sie gleich selbst auftreten wird: Jungunternehmer, viele nicht mehr so jung, vereinzelt Frauen, rund tausend Leute, die für das Swiss Innovation Forum angereist sind. Sie alle hoffen, das zu erreichen, was Armstrong gelungen ist: durchschlagenden Erfolg mit ihren Erfindungen.

Dann ist sie dran, Verkabelung mit dem Mikrofon, jemand tupft ihr Puder aufs Gesicht, sie tritt auf die Bühne. Doch anstatt zu erzählen, wie sie das Smartphone erfunden hat, holt Armstrong weit aus, spricht über ihren Arbeitgeber, Qualcomm, über das amerikanische Patentsystem, Computerchips, künstliche Intelligenz, ein bisschen über alles, ein bisschen über nichts.

Das Publikum wird unruhig, der Tag ist schon lang, manche tippen auf ihren Smartphones. Als Armstrong endlich doch persönlich wird, sagt sie Dinge wie: In ihr steckten «ein bisschen Kreativität» und «ein bisschen Unternehmertum». Eine starke Untertreibung für eine Frau mit 22 Patenten, die eigentlich viel Spannendes zu erzählen hätte.

Smartphone entstand vor der ersten Suchmaschine

San Diego, späte 1990er Jahre: Armstrong ist frustriert. Die Informatikerin hatte sich in den vergangenen Jahren zu einer Spezialistin der Computerkommunikation entwickelt. Nun ist sie bei der Technologiefirma Qualcomm angestellt – und soll ein Faxgerät digitalisieren. «Ein Faxgerät? Das war damals schon alt», sagt Armstrong im Gespräch abseits der Bühne.

Sie beschwert sich bei Kollegen über ihre Aufgabe. Doch als eines Tages im Herbst 1996 Franklin Antonio an ihren Arbeitstisch tritt, ändert sich Armstrongs Karriere für immer. Antonio ist damals der Technologiechef von Qualcomm. Er bittet Armstrong, einen Algorithmus zu programmieren, um Internetdaten über Mobilfunk zu übertragen.

Wer verstehen will, wie revolutionär, ja irrsinnig die Idee aus damaliger Sicht ist, muss sich die IT-Landschaft der späten neunziger Jahre in Erinnerung rufen: Der Mobilfunk ist gerade dem Knochen entwachsen, also Geräten in der Grösse eines Unterarms. Das Internet ist noch eine Sammlung von unübersichtlichen Textseiten, es gibt noch keine Suchmaschinen, wer trotzdem ins Internet will, besetzt dafür die Telefonleitung.

Doch Armstrong widmet sich ihrem neuen Auftrag mit Begeisterung. Endlich kann sie ihr Vorwissen über Computer einbringen, schliesslich ist sie Spezialistin für Übermittlungstechnologien und damit die richtige Person, um das Internet ins Telefon zu bringen.

Den Mobilfunk «gehackt»

Im Zentrum ihrer Arbeit steht eine Technologie namens Packet Data. Der Begriff beschreibt eine Methode, mit der Information, also zum Beispiel Text auf einer Webseite, in kleine Datenpakete zerlegt wird, von denen eines nach dem anderen ans Empfängergerät versendet wird. Dort werden die Datenpakete wieder zu einem Ganzen zusammengefügt. Also etwa so, als würde man ein Puzzle zerlegen und jemandem Stück für Stück zusenden.

Die Übermittlungsmethode funktioniert damals bereits zwischen Computern, allerdings nur über Kabel. Wireless-Geräte gibt es keine, Mobiltelefone übertragen ausschliesslich Sprache, also Schallwellen, die beim Sprechen entstehen. Um das zu ändern, muss Armstrong die Basisprogrammierung im Mobilfunk so verändern, dass nicht nur Schallwellen, sondern auch Datenpakete durch die Verbindung fliessen.

Es gelingt ihr an einem Freitag im Februar 1997, mit einem Programm, das sowohl im Mobiltelefon wie auch in der Basisstation am Boden zur Anwendung kommt. «Im Grunde habe ich den Mobilfunk gehackt», sagt Armstrong.

Sie präsentiert das Programm dem Management-Team von Qualcomm auf dem Hellraumprojektor. Die Chefs sind begeistert und lassen kurz danach ein Patent für die Erfindung registrieren. Armstrong implementiert ihren Programmcode derweil in ein erstes Testgerät, ein aufklappbares Handy der Eigenmarke von Qualcomm. Dann lässt sie einen Browser für Mobiltelefone entwickeln. Qualcomm hat zu dieser Zeit nicht einmal eine eigene Website.

Wozu könnte ein internetfähiges Telefon bloss dienen?

Ob Armstrongs Code je in der Praxis verwendet werden würde, weiss 1997 niemand. Amerikanische Leitmedien verzichten auf eine Berichterstattung, als sie die Erfindung an der Quartalskonferenz für Investoren und Medien vorstellt. Auch Armstrong selbst hat «keine Ahnung», welch ein «revolutionäres Gerät» sie in den Händen hält.

Doch der Mobilfunkausrüster Ericsson glaubt an das Potenzial der Erfindung und baut Armstrongs Code umgehend in seine Produkte ein. Schon 1998, also im Jahr nach der Erfindung, läuft Armstrongs Programm weltweit in unzähligen Mobilfunkstationen.

Das wiederum löst einen beispiellosen Schub von Innovation aus. Vor der Erfindung sind die Mobilfunknetze über 20 000 Mal langsamer als heute – für die Übermittlung von Telefongesprächen ist das ausreichend. Doch um auch Daten durch den Mobilfunk zu schicken, braucht es immer schnellere Verbindungen. Bald wird 3G erfunden, dann 4G, nun 5G – und im Jahrestakt neue Smartphones, die immer mehr können.

Armstrongs Karriere verläuft ähnlich steil wie jene des Mobilfunks: Sie registriert in den Jahren nach ihrer ersten Erfindung 21 weitere Patente, alle im Bereich des mobilen Internets, und wird in immer höhere Positionen befördert, bis sie schliesslich Chefin der Entwicklung der gesamten Technologie hinter Smartphones wird und damit einem Unternehmensbereich mit 15 000 Angestellten vorsteht.

Die einen haben das Ego, die anderen die Arbeit

Trotzdem bleibt Armstrong weitgehend unbekannt. Keine grosse Zeitung widmete ihr je einen Artikel. Auf die Frage, ob sie sich übersehen fühle, weicht Armstrong aus: «In der Tech-Branche gibt es schon so viele grosse Egos.» Aber hinter jedem Ego steckten Tausende Ingenieurinnen und Ingenieure, die die eigentliche Arbeit machten.

Auch heute spricht sie lieber über Technik und ihren Arbeitgeber als darüber, dass ihre Erfindung immer noch jedes Mal zur Anwendung kommt, wenn jemand mit einem Smartphone einen Zeitungsartikel liest, ein Foto verschickt, eine App öffnet oder sonst irgendwie das Internet verwendet.

Als Erfinderin und erfolgreiche Frau in der Technikbranche hat Susie Armstrong zwar eine inspirierende Geschichte. Aber sie erzählt sie nicht. Ausser man bleibt lange bei ihr sitzen, so lange, dass es sich unanständig anfühlt

Doch dann sprudelt es aus ihr heraus. Wie sie in der kalifornischen Kleinstadt Truckee bei einer Mutter aufwuchs, die alles reparieren konnte: den Deckenventilator, Wasserleitungen, Küchengeräte. Das inspirierte Armstrong, eine technische Karriere zu wählen.

Wie sie sich für das Informatikstudium einschrieb, zu einer Zeit, in der es noch kein Internet gab. Wie sie in der ersten Vorlesung litt, weil das Fach so abstrakt und schwer verständlich schien, aber wie sie Freude am Problemlösen entwickelte und dann nicht mehr genug von Codes bekommen konnte.

Wie sie als Teenager so scheu war, dass sie sagte, sie würde sich lieber Nägel in die Augen stecken, als einen Vortrag zu halten. Wie sie erst lernte, offen auf Menschen zuzugehen, als sie in einem Restaurant kellnerte, um sich das Studium zu finanzieren.

Wie sie nach ihrem Studienabschluss acht Jobangebote hatte und sich für eine Anstellung im Xerox Palo Alto Research Center entschied, einer der innovativsten Firmen der damaligen Zeit, wo sie den Umgang mit Packet Data lernte.

Wie Steve Jobs sie einst als Mitarbeiterin gewinnen wollte und sie anrief, nachdem sie das Jobangebot seiner damaligen Firma, Next, schriftlich ausgeschlagen hatte: Ob sie nicht nochmals darüber nachdenken und zu einem gemeinsamen Mittagessen vorbeikommen möge? Armstrong mochte nicht. Sie hatte sich bereits für eine andere Stelle entschieden.

Es war doch nur der letzte Schritt

Tatsächlich sind Jobs und Armstrong im gleichen Team nur schwer vorstellbar. Jobs scheute sich nicht davor, als Erfinder des Smartphones inszeniert zu werden, obwohl er eigentlich vor allem dessen Design und Marketing revolutionierte.

Armstrong hingegen sagt, keine Einzelperson könne von sich behaupten, sie habe das Smartphone erfunden. Auch sie selbst habe nur die Technologie aus einem Bereich auf einen anderen Bereich angewandt. Ausserdem basiere ihre Arbeit auf der von ganz vielen anderen Ingenieuren, die das System der Packet Data und den Mobilfunk erfunden hätten.

Damit redet Armstrong ihren Erfolg klein – und steht sich deshalb selbst im Weg. Denn in ihrer heutigen Rolle als Senior Vice President bei Qualcomm versucht sie unter anderem, Mädchen und Angehörige von Minderheiten dazu zu motivieren, naturwissenschaftliche Fächer zu studieren. Denen fehlen die Vorbilder – unter anderem, weil erfolgreiche Frauen wie Armstrong sich nicht vordrängen.

Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»

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