Der Türke Merih Demiral bedient sich beim 2:1 gegen Österreich der Symbolik der «Grauen Wölfe». Damit lenkt er die Aufmerksamkeit auf den türkischen Rechtsextremismus.

Mit seinen zwei Toren im EM-Achtelfinal gegen Österreich hätte Merih Demiral der sportliche Held der Türken werden können. Sein Team gewann die Partie 2:1. Doch der Verteidiger wird wegen einer politischen Geste in Erinnerung bleiben. Demiral führte in Leipzig seine Finger zum «Wolfsgruss» zusammen, einer Symbolik der rechtsextremen «Grauen Wölfe». Er selbst wollte darin keine Provokation sehen. «Wir sind alle Türken, ich bin sehr stolz darauf, Türke zu sein, und das ist der Sinn dieser Geste», sagte der 26-Jährige. «Ich wollte einfach nur demonstrieren, wie sehr ich mich freue und wie stolz ich bin.»

Den Nationalismus normalisieren

Merih Demiral sagte, dass er im Stadion viele Menschen gesehen habe, die den «Wolfsgruss» ebenfalls zeigten. Und das gilt nicht nur für Leipzig. Auch an den Vorrundenspielen der türkischen Mannschaft, zweimal in Dortmund und einmal in Hamburg, dokumentierten Experten, die sich mit den «Grauen Wölfen» befassen, Gesänge, Tätowierungen und Flaggen der ultranationalistischen türkischen Bewegung. «Der Fussball ist für die ‹Grauen Wölfe› eine wichtige Plattform, um neue Mitglieder zu gewinnen», sagt der Duisburger Pädagoge Burak Yilmaz. «In dieser vermeintlich fröhlichen Atmosphäre können sie ihre Symbole normalisieren.»

Für viele Menschen in der Türkei und für viele türkischstämmige Menschen in Westeuropa ist der «Wolfsgruss» ein gängiges Ausdrucksmittel ihres Nationalismus. Doch Experten wie Burak Yilmaz wollen das nicht hinnehmen und verweisen auf die gefährlichen Konsequenzen. Seit dem Ursprung ihrer Bewegung in den 1970er Jahren verüben Anhänger der «Grauen Wölfe» immer wieder körperliche Angriffe, vor allem gegen kurdische und alevitische Menschen. Seit Jahrzehnten arbeiten die «Grauen Wölfe» in der Türkei mit der rechtsextremen MHP zusammen, mit der «Partei der Nationalistischen Bewegungen».

Diese Netzwerke spielen auch in der deutsch-türkischen Gemeinde eine wichtige Rolle. Vor allem im Ruhrgebiet sind die «Grauen Wölfe» eng vernetzt mit Moscheegemeinden, Kulturvereinen und lokalen Fussballklubs. In deren sozialen Netzwerken stösst man auf Verbindungen zur rechtsextremen Partei MHP und zu gewaltverherrlichenden türkischen Musikern. Einige Sportvereine bezeichnen sich als «Turanspor». Turan gilt als Synonym für ein angestrebtes grosstürkisches Reich.

Die Geste des Fussballers Merih Demiral wird in Deutschland nun eine Debatte befeuern, die in anderen Ländern schon intensiver läuft. In Frankreich hatte der Ministerrat die Auflösung der «Grauen Wölfe» bereits 2020 angeordnet. In Österreich sind Zeichen der «Grauen Wölfe», darunter der «Wolfsgruss», seit 2019 verboten. Trotzdem bestehen dort alte Netzwerke fort. Und auch in Deutschland gibt es juristische Bedenken: Bei den «Grauen Wölfen» handelt es sich nicht um eine zentral organisierte Partei, sondern um eine verzweigte Bewegung mit unterschiedlichen Verbänden und Vereinen.

Die Uefa ermittelt: Demiral dürfte gesperrt werden

«Wir brauchen auch im Fussball mehr Aufklärung und Prävention», sagt der Politikwissenschaftler Mahir Tokatli, der an der RWTH Aachen lehrt und forscht. Zwar haben Fussballverbände wie die Uefa oder der Deutsche Fussball-Bund (DFB) mittlerweile etliche Kampagnen und Bildungsangebote gegen Rassismus und Antisemitismus angestossen, doch der türkische Rechtsextremismus spielt dabei kaum eine Rolle. In Deutschland gibt es lediglich in Nordrhein-Westfalen eine Meldestelle zu diesem Thema im Fussball, doch dieses Projekt wird nur von einer Person betreut und ist zeitlich befristet.

Der «Wolfsgruss» von Merih Demiral könnte nun dazu beitragen, dass im Fussball mehr Geld und Energie in Aufklärung investiert wird. Bald könnten weitere Anschauungsbeispiele dazukommen. Denn am Samstag spielt die Türkei im Berliner Olympiastadion im Viertelfinal gegen die Niederlande. Merih Demiral dürfte dann wohl zuschauen. Die Uefa ermittelt gegen ihn, eine Sperre ist wahrscheinlich.

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