Montag, September 30

Die Börsen durchlaufen eine unruhige Phase. Gefahr droht nicht nur von politischer Seite, sondern auch von einem verlangsamten Rückgang der Inflation. Gewinne locken derzeit vor allem bei Anleihen mit kurzer Laufzeit.

Wie geht es an den Kapitalmärkten in den kommenden Monaten weiter? Um das einschätzen zu können, müssen sich Investoren derzeit mit aussergewöhnlich vielen Fragen beschäftigen: Die US-Wahl und ihre politischen Folgen sind ebenso wichtig wie Überlegungen zum Wachstums- und Ertragspotenzial der künstlichen Intelligenz. Wichtig ist auch, ob die Politik in Europa etwas gegen die anhaltende Wachstumsschwäche der Wirtschaft tun wird. Und auch die geopolitischen Krisenherde des Nahen Ostens und in der Ukraine werden weiterhin einen Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung haben.

Das ist ziemlich viel, um rasch ein klares Bild zu bekommen. Zumal die Entwicklungen miteinander zusammenhängen und es viele Unsicherheiten und denkbare Szenarien gibt. Gerade deswegen sind Anleger nach den kräftigen Gewinnen an den globalen Aktienmärkten gut beraten, volatilere Zeiten – und vier wichtige Faktoren – in ihre Überlegungen mit aufzunehmen.

Konjunktur- und Inflationstrends

Aktuelle Daten und ökonomische Zusammenhänge deuten darauf hin, dass die Weltwirtschaft trotz der kräftigen Zinserhöhungen der vergangenen zwei Jahre eine sanfte Landung hinlegen kann. Zwar belastet das noch relativ hohe Zinsniveau die Bilanzen der Unternehmen, privaten Haushalte und der Regierungen vor allem in hoch verschuldeten Staaten. Auf der anderen Seite bringt die rückläufige Inflation bei deutlich steigenden Löhnen wieder einen Kaufkraftzuwachs mit sich. Die Lohnsteigerungen sind zwar selbst eine Ursache von höheren Preisen vor allem im Dienstleistungssektor, aber in der Gesamtbilanz ist die Inflation in den meisten Ländern deutlich unter die Lohnsteigerungsraten gefallen, was den Konsum stimulieren wird.

Bei gegenläufigen Wirkungen von höheren Zinsen und positiven Reallohnentwicklungen ist mit moderatem Wachstum in den USA und Europa zu rechnen, zumal die Belastungen durch hohe Zinsen mit einer allmählichen Lockerung der Geldpolitik in den kommenden Monaten abnehmen werden. Die Notenbanken werden zwar angesichts einer nur langsam rückläufigen Inflation vorsichtig agieren, aber mit weiteren vier bis fünf kleinen Schritten bis Ende 2025 ist durchaus zu rechnen. Die Kombination eines moderaten Wachstums und einer nicht ganz zielkonformen, aber nicht allzu hohen Inflation plus graduelle Zinssenkungen ist für die Aktien- und die Anleihenmärkte positiv zu bewerten.

Sollten allerdings weitere Fortschritte bei der Rückführung der Inflationsraten ausbleiben oder inflationäre Tendenzen sogar zunehmen, wäre die Hoffnung auf deutliche Zinssenkungen und ein moderates Wirtschaftswachstum schnell dahin. Mögliche Inflationstreiber gibt es einige, wie kräftig steigende Lohnabschlüsse aufgrund von Nachholforderungen oder sehr angespannter Arbeitsmärkte, neuerliche Rohstoffpreiserhöhungen oder nicht zuletzt deutlich erhöhte Zölle, die sich gegenseitig aufschaukeln und inflationär wirken.

Politische Veränderungen

Von zentraler Bedeutung ist der Ausgang der Wahl in den USA. Trotz des geradezu euphorischen Stimmungsumschwungs für Kamala Harris ist es noch ein sehr langer Weg bis zu einem potenziellen Wahlsieg der Demokraten, der im Wesentlichen eine Fortsetzung der bisherigen Wirtschaftspolitik versprechen würde.

Allerdings sind tendenziell höhere Steuern auch für Unternehmen, verstärkte Regulierung, höhere Sozialausgaben und eine weniger restriktive Zuwanderungspolitik keine Themen, die den Wählern leicht zu vermitteln sind. Die Chancen stehen daher gut für Donald Trump, auch nach dem Rückzug von Joe Biden das Rennen zu gewinnen.

In diesem Fall müssen Anleger erhebliche Unsicherheit über die Wirtschaftspolitik in den USA und über die angespannten weltpolitischen Entwicklungen ins Kalkül einbeziehen. Kurzfristige Aktiengewinne, die mit Steuersenkungen und einer möglichen Deregulierungspolitik verbunden sein könnten, werden keine lange Lebensdauer haben, wenn Ankündigungen im Hinblick auf protektionistische Importzölle und Abschiebungen von Migranten aus den USA umgesetzt werden sollten. Solche Massnahmen sind für die Konjunktur und den Arbeitsmarkt weltweit negativ zu bewerten, – nicht zuletzt, weil sie die Inflationsraten anheben und damit die Zinssenkungsmöglichkeiten in den USA, aber auch anderenorts einschränken.

Ein ausgeweiteter internationaler Handelskrieg wäre ein grosses Risiko für die weltweiten Aktienmärkte. Ob die Gefahr von der Politik erkannt wird, ist leider nicht gesichert. Auf Handelsbeschränkungen muss man sich unter Trump gefasst machen, vor allem im Verhältnis zwischen den USA und China und in gewissem Umfang auch zwischen den USA und der EU. Selbst wenn wie in der ersten Amtszeit von Trump eine drastische Eskalation vermieden wird, wird das Wachstum der Weltwirtschaft und damit auch das Potenzial für Kurssteigerungen an den Aktienmärkten gebremst werden.

Kurstrends in der Technologiebranche

Die Technologiewerte haben in den vergangenen Monaten eine herausragende Rolle für die Kursgewinne der globalen Aktienindizes gespielt. Diese auch im historischen Vergleich äusserst hohe Konzentration dürfte kaum die nächsten zwölf Monate prägen. Dafür sprechen historische Vergleiche, aber auch zunehmende Hinweise von grossen Kapitalmarktteilnehmern, dass die Gewinnpotenziale, die mit der künstlichen Intelligenz erschlossen werden können, möglicherweise doch nicht so riesig sind, um die gewaltigen Investitionen der grossen Techunternehmen zu rechtfertigen.

Auch wenn die wirtschaftlichen Auswirkungen der künstlichen Intelligenz sehr umfassend und tiefgreifend sein werden, ist nicht zu leugnen, dass der Kursaufschwung und der Optimismus im Laufe der letzten Quartale etwas übertrieben gewesen ist. Diese Sichtweise hat in der zweiten Hälfte des Juli zu einer Rotation an den Aktienmärkten geführt. Die Diversifikation in eher traditionelle und kleinere Werte ist nachvollziehbar, auch wenn der langfristige Aufwärtstrend der KI-Unternehmen intakt ist.

Geopolitische Krisen

In die Gesamtbewertung der Kapitalmarktperspektiven müssen auch die geopolitischen Krisen im Nahen Osten und in Bezug auf die Ukraine einfliessen. Die Entwicklungen dort können wieder Kursrelevanz bekommen, wobei eine Ausweitung und Eskalation der Konflikte ebenso denkbar ist wie eine zumindest temporäre Beruhigung.

Wirklich vorhersehbar ist die Entwicklung der Krisenherde nicht. Sie kann zur Volatilität an den Kapitalmärkten beitragen. Auch das sollte Anlass für Anleger sein, sich durch Diversifizierung von Aktien- und Anleiheninvestments gegen hohe Volatilität abzusichern.

Fazit

Investoren sollten in den kommenden Monaten an den Kapitalmärkten nicht zu stark ins Risiko gehen, da die Ertragschancen deutlich verhaltener sind als zuletzt und offenkundige Unsicherheiten politischer und geopolitischer Art vorliegen. Volatilität dürfte auch durch einen zähen Rückgang der Inflation und dessen Implikationen für die Geldpolitik erzeugt werden.

An den Anleihenmärkten spricht vieles dafür, dass eher die kurzfristigen Zinsen sinken werden. Vor allem die Renditeentwicklung in den USA dürfte angesichts der hohen Verschuldung des Staates und der starken Inanspruchnahme der Kapitalmärkte durch die Neuverschuldung belastet werden. Auch wenn die Notenbank die Zinsen senken wird, dürfte die zehnjährige Staatsanleihenrendite in den USA am Jahresende einige Zehntel höher liegen, als das derzeit der Fall ist. Ähnliche Tendenzen sind auch in Europa zu erwarten. Anleger an den Anleihenmärkten können daher vor allem bei den noch höher verzinslichen kürzeren Laufzeiten gute Erträge machen.

Michael Heise

Dr. Michael Heise ist Chefökonom von HQ Trust. Er zählt zu den bekanntesten Volkswirten des deutschsprachigen Raumes. Vor seinem Start bei HQ Trust war er Leiter des Group Centers Economic Research der Allianz SE sowie Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Dr. Heise lehrt als Honorarprofessor an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Er ist Mitglied in diversen hochrangigen Ausschüssen und des Planungsstabes des House of Finance.

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