Freitag, Dezember 27

Gemüseküche soll und muss Fleisch weder verteufeln noch imitieren: So lustvoll und locker wie in Meret Bisseggers «Casa Merogusto» im Nordtessin wird sie selten präsentiert.

Den Ausklang dieses Jahres widme ich einer meiner kulinarischen Sternstunden, ihre Beschreibung habe ich mir hierfür eigens aufgespart. Sie führt uns zurück in den Spätsommer und ins sonnige Bleniotal, genauer ins Dörfchen Malvaglia und die «Casa Merogusto». Dort vermittelt Meret Bissegger seit bald zwanzig Jahren ihre Cucina naturale, in Kochkursen, Genusswochen – und zwei- bis dreimal im Monat mit ihrer Tavolata, um die es hier geht.

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An der Tafel finden gut zwanzig Gäste Platz, sie vereint an diesem Abend wildfremde Leute zur Tischgesellschaft. Die universelle Sprache des Essens verbindet, parliert wird in Deutsch und Italienisch; zweisprachig erklärt auch die liebenswürdige Gastgeberin, die mit Helferinnen tagelang in der grossen Küche gewirkt haben muss, jedes Gericht. Die Atmosphäre ist entspannt, als wäre man zu Gast bei Freunden, und die Hausherrin kündigt an, der Abend werde lang – kein leeres Versprechen: Nach über fünf Stunden werden die Gäste gegen Mitternacht an den im Garten blühenden Nachtkerzen vorbei heimwärts trotten (es gäbe im Haus auch aparte Zimmer zum Übernachten).

Bisseggers Albtraum ist nach eigenem Bekunden, dass es nicht genug für alle haben könnte. Dieser Angst beugt sie umfassend vor. Das Buffet biegt sich, insgesamt gegen zwei Dutzend verschiedene Speisen werden in vier Gängen darauf angerichtet. Was hier für Augen, Nasen und Gaumen geboten wird, ist sensationell, nicht nur angesichts des Preises von 120 Franken samt Apéritif und Digestif.

Einige Impressionen nur, von den Vor- bis zu den Nachspeisen: Karotten werden hinreissend, wenn sie «con tanto amore» mit Limetten, Salz und Zucker geschüttelt werden wie hier; die «Bömbeli-Butter» verdankt ihre neckische Note wie auch ihren Namen Bärlauchknospen, kurz nach der Blüte gepflückt und eingefroren; Kohldistel fügt sich mit Ricotta und Hirse zum Gratin, Kürbis paart sich mit Bergamotte, gebratene Peperoni mit Zuckermais und Honig, Wassermelone mit Spitzkabis und Sesamöl.

Das Herz dieses Schmauses bilden Gemüse und Kräuter aus Garten und Umgebung, beim Würzen ergänzt die in der Slow-Food-Bewegung verankerte Köchin ihr Hohelied des Regionalen um exotische Noten, von Galgant bis zu Kaffirlimettenblättern. Ersatzprodukte kommen ihr nicht auf den Tisch – wenn Fleisch, dann Fleisch, nämlich in feinen Lamm-Polpette als Hauptgang. Die dazu servierten Salzkartoffeln sind statt in Peterli in Trieben des als Unkraut verrufenen Franzosenkrauts gewendet, beim Tsatsiki vom Vorspeisenbuffet vertreten Blüten des Rosengewächses Mädesüss die Pfefferminze. So erhalten bekannte Gerichte eine überraschende Wendung, ohne dass es elaboriert wirkt.

Bei den Desserts ist eine Panna cotta grosszügig mit Veilchensirup beträufelt, den die Chefin nicht ohne Grund als flüssiges Gold angekündigt hat. Dass von den Glacesorten nicht alle perfekt geraten sind, räumt sie mit Humor und der ihr eigenen Lockerheit ein. Zum Schliessen der Mägen stellt sich am Ende eine ganze Kompanie einheimischer Schnäpse und Liköre stramm zur Auswahl, darunter einige Raritäten.

Wie bei den meisten Leidenschaften, die zur Meisterschaft reifen, ist auch jene von Bissegger von Kindheitserinnerungen genährt. Als Mädchen mit der Familie von Basel ins Centovalli gezogen, wuchs sie in einer ehemaligen Mühle mit Gemüsegarten in Intragna auf. Ihre Cucina naturale formte die ausgebildete Kindergärtnerin in den neunziger Jahren in ihrem Restaurant «Ponte dei Cavalli» im Centovalli, lange bevor saisonale Gemüseküche und Terroir en vogue waren. Ihre Kreativität hat dabei eine Erdung und Selbstverständlichkeit erlangt, die vielen Trendgastronomen als Inspiration dienen müsste. Genau so begeistert man Gäste für Grünzeug aller Art, ohne tierische Produkte zu imitieren oder zu verteufeln.

Vom Können und Ruhm dieser Köchin zeugt kein Wikipedia-Eintrag, dafür die bundesrätliche Auszeichnung «Kulinarische Meriten» der Schweiz. Das Werk lobt die Meisterin. Ihr Wissen über essbare Wildpflanzen und Saisongemüse gibt sie in drei Kochbüchern weiter, in mehrtägigen Kursen, auf Kräuterwanderungen zu Berg und Tal. Anfang März endet die Winterpause, auf der Homepage sind seit kurzem die Termine publiziert. Es empfiehlt sich eine frühzeitige Reservation, gerade bei den Tavolate, und zu lange warten sollte man ohnehin nicht: Bissegger lässt im Gespräch durchblicken, wohl ab Ende 2026 kürzertreten zu wollen. Dann wird sie im Pensionsalter sein, und schon jetzt hat sie gegen 1500 Anlässe in ihrer «Casa» hinter sich.

Casa Merogusto
Via Somergo 30, 6713 Malvaglia (TI)
Termine: www.meretbissegger.ch
Tel. 091 870 13 00

Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.

Die Sammlung aller NZZ-Restaurantkritiken der letzten fünf Jahre finden Sie hier.

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