Montag, September 30

Im Sommer produzieren Solarzellen mehr Energie, als verbraucht wird, im Winter fehlt der Strom. Forscher der ETH Zürich wollen den Überschuss in Fässern voll Eisenerz saisonal speichern.

Drei grosse Edelstahlfässer stehen auf einer überdachten Holzplattform im Campus Hönggerberg der ETH Zürich. Sie sind je 2,3 Meter hoch, haben einen Durchmesser von 1,5 Metern und sind mit Eisenerz gefüllt. Ein paar Kabel und mit Alufolie umwickelte Rohre führen hinein und hinaus. «Wir haben den langweiligsten Reaktor der Welt gebaut», sagt Wendelin Stark verschmitzt. Er ist Professor für technische Chemie an der ETH Zürich und hat die Anlage mit seinem Team entwickelt. «Dafür funktioniert der Prototyp ohne Zwischenfälle.»

Strom ist im Sommer billig, im Winter teuer

Die Fässer sind langfristige Energiespeicher. Damit möchten die Forscher um Stark etwas ermöglichen, das Avenir Suisse kürzlich als illusorisch präsentiert hat: den Stromüberschuss aus dem Sommer in den Winter zu retten.

Wer eine Solaranlage auf dem Dach hat, kennt das Dilemma: Im Sommer produziert die Anlage mehr Strom, als man benötigt. Den überschüssigen Strom speist man ins Netz ein. Doch weil das alle tun, ist der Strom wenig wert. Meist verdient man pro Kilowattstunde nur wenige Rappen beziehungsweise Cent.

Selbst diese kleinen Beträge bekommt man häufig nur dank Subventionen, die einen minimalen Fixpreis garantieren, um Solarzellen finanziell attraktiv zu machen. An sonnigen Sommertagen sinken die Preise am Strommarkt regelmässig auf nahe null, zum Teil sind sie sogar negativ. Dann gibt es so viel überschüssigen Strom, dass Produzenten dafür zahlen müssen, um ihn loszuwerden.

Im Winter kehrt sich die Situation um: Die Sonne scheint selten und schwach, und die Solaranlage generiert nicht genug Strom, um den eigenen Bedarf zu decken. Man ist gezwungen, Strom aus dem Netz zu entnehmen, und zahlt dafür viel.

Überschuss im Sommer, Stromlücke im Winter: Was die Besitzer von Solaranlagen im Kleinen spüren, ist auch im Grossen ein Problem, für das man noch keine Lösung hat. Mit dem Voranschreiten der Energiewende wird es sich weiter verschärfen.

Wasserstoff als Eisen speichern

Die Idee, den überschüssigen Strom aus dem Sommer im Winter zu verwenden, ist daher naheliegend. Doch Experten sind sich einig: Herkömmliche Batterien taugen zu diesem Zweck nicht. Sie verlieren mit der Zeit ihre Ladung, sind teuer, gross und schlicht nicht dafür gemacht, riesige Energiemengen aufzunehmen. Sie eignen sich für die kurzfristige Speicherung, beispielsweise, um Solarstrom vom Tag in der Nacht zu nutzen. Doch für die saisonale Energiespeicherung braucht es andere Ansätze.

Einer davon ist die Pilotanlage an der ETH. Statt den Strom direkt zu speichern, nehmen die Wissenschafter einen Umweg über Wasserstoff. Dieser wird im Sommer mit überschüssiger Energie aus Wasser hergestellt, mit einem sogenannten Elektrolyseur. Im Winter verbrennt man den Wasserstoff wieder und gewinnt dabei Strom und Wärme.

So weit handelt es sich um eine bekannte Idee. In Brütten steht bereits das erste energieautarke Mehrfamilienhaus der Schweiz, das auf dieser Idee beruht. Der Wasserstoff wird hier in grossen Tanks unter Druck gelagert. Doch diese Art der Lagerung birgt Risiken. Denn wenn Wasserstoff aus dem Tank austritt und mit dem Sauerstoff in der Luft in Kontakt kommt, ergibt sich ein hochexplosives Gasgemisch.

Deswegen gehen die Forscher der ETH einen anderen Weg. Statt den Wasserstoff direkt zu speichern, nutzen sie eine chemische Reaktion aus, die sich umkehren lässt. Im Sommer leiten sie den Wasserstoff in das Fass voll Eisenerz. Der Wasserstoff löst den Sauerstoff vom Eisenerz ab, es entstehen Wasser und elementares Eisen. Im voll geladenen Zustand ist der Energiespeicher deshalb einfach ein Fass voller Eisen. Explosionsgefahr gleich null. Im Winter leitet man Wasserdampf in das Fass ein. Das Wasser reagiert mit dem Eisen, und es entstehen wieder Eisenerz und Wasserstoff, den man anschliessend verbrennen kann.

Die Vorteile der Speichermethode: Sie ist sicher, billig und leicht skalierbar. Das Eisenerz ist günstig und in grossen Mengen verfügbar, darüber hinaus braucht es praktisch nur ein dünnwandiges Stahlfass und Isolationsmaterial. Denn damit die Reaktion des Wasserstoffs mit dem Eisenerz stattfindet, muss das Fass im Inneren auf 400 Grad Celsius aufgeheizt werden.

Der Nachteil: Es ist ineffizient. Die vielen Zwischenschritte führen dazu, dass ein grosser Teil der Energie verlorengeht. Nur etwa ein Drittel des Stroms, den man zum Laden verwendet, gewinnt man am Schluss wieder als Strom zurück. Das liegt vor allem daran, dass man Wasserstoff nur ineffizient wieder zu Strom umwandeln kann. Die Hälfte der Energie beim Verbrennen entsteht in Form von Wärme. Auch bei der Herstellung des Wasserstoffs und zum Heizen beim Aufladen des Speichers geht ein Teil der Energie verloren.

Es gibt viele Ansätze, um Energie saisonal zu speichern

Über die Bedeutung von Wasserstoff als Energieträger der Zukunft wird viel diskutiert. In einem vom deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz in Auftrag gegebenen Bericht von Anfang des Jahres heisst es: «Wasserstoffspeicher werden in Zukunft energetisch voraussichtlich die bedeutsamste Speichertechnologie sein.» Konkret könnten Salzkavernen, in denen bis jetzt Erdgas gespeichert wird, als riesige Wasserstoffspeicher genutzt werden.

In der Schweiz gibt es keine solchen Salzkavernen, stattdessen müsste man wohl auf mit Stahl verkleidete Steinhöhlen zurückgreifen, um Wasserstoff in grossen Mengen zu speichern. Oder man wagt einen weiteren chemischen Zwischenschritt und pumpt Wasserstoff zusammen mit Kohlendioxid in den Boden, wo Mikroben das Gasgemisch in Methan, also Erdgas, umwandeln. Das österreichische Energieunternehmen RAG Austria AG hat zu diesem Prinzip eine Pilotanlage gebaut.

Gleich mehrere junge Unternehmen in der Schweiz und im Ausland setzen auf sogenannte Metallhydridspeicher. Sie funktionieren, indem Wasserstoff sich chemisch an ein Metall oder eine Metalllegierung anlagert. Ähnlich wie beim Eisenspeicher von der ETH braucht es keinen hohen Druck, um den Wasserstoff so zu speichern. Die Metalle sind jedoch deutlich teurer als das unbehandelte Eisenerz, auf das die ETH-Wissenschafter zurückgreifen.

Statt auf chemische Energieträger wie Wasserstoff und Erdgas zu setzen, kann man Energie auch in Form von Wärme speichern. Diese Technik verwendet man im energieautarken Suurstoffi-Areal in Rotkreuz. Hier wird im Sommer mit überschüssiger Energie Wasser aufgeheizt und in den Boden gepumpt. Das abgekühlte Wasser pumpt man wieder hoch, die Wärme bleibt im Boden. Im Winter kehrt man den Prozess um und gewinnt warmes Wasser.

Christian Schaffner vom Energy Science Center der ETH argumentiert ausserdem, dass die Schweiz saisonale Energiedifferenzen zum Teil durch Stromhandel mit dem europäischen Ausland ausgleichen könne. Schliesslich werde andernorts, beispielsweise in Deutschland, vor allem Windkraft ausgebaut. Diese bringt im Winterhalbjahr die grössten Überschüsse. Das könne sich mit der vom Solarstrom bestimmten Saisonalität in der Schweiz gut ausgleichen.

Für Wasserstoff als Energiespeicher sieht Schaffner in der Schweiz nur bedingt Potenzial. «Wasserkraft ist in der Schweiz so gut ausgebaut, dass andere Technologien es schwer haben», sagt er. Doch nur wenige Länder können mit günstigem Strom Wasser in hoch gelegene Stauseen pumpen. «Weltweit ist der Bedarf an saisonalen Speichern riesig», sagt Schaffner.

Für Länder ohne praktische Bergketten hat das Unternehmen Energy Vault eine Lösung entwickelt, die nach dem gleichen Prinzip funktioniert. Statt Wasser heben sie schwere Blöcke hoch, um Energie zu speichern. Wird die Energie wieder benötigt, werden die Gewichte heruntergelassen und treiben dabei Generatoren an. In China in der Provinz Rudong nahe Schanghai ist letztes Jahr die erste Anlage von Energy Vault ans Netz gegangen.

Die neue Speichertechnologie muss ihre Nische finden

Im Energiesystem der Zukunft wird es wohl Platz für mehrere Lösungen geben. Auch die Eisenerz-Fässer von Wendelin Stark und seinen Kollegen an der ETH könnten ihre Nische finden, zum Beispiel, um Einfamilienhäusern oder Nachbarschaften eine autarke Energieversorgung zu ermöglichen.

Simon Stocker, einer der Autoren der Studie der Avenir Suisse, beurteilt die Technologie als innovativ und spricht von einem Fortschritt für die saisonale Energiespeicherung. Ob sie sich jedoch am Markt durchsetze, hänge von der Wirtschaftlichkeit ab. Und die könnte von den hohen Fixkosten für Elektrolyseure bedroht sein. Denn um rentabel zu sein, müssten diese stark ausgelastet sein, was allein mit überschüssigem Solarstrom nicht erreichbar sei.

Vorerst planen Stark und sein Team eine deutlich grössere Pilotanlage am Hönggerberg. Sie soll bis 2026 fertig sein und im Winter ein Fünftel des Strombedarfs des Campus decken.

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