Nicusor Dan ist gläubig, proeuropäisch und meidet ideologische Grabenkämpfe. Das machte ihn für Konservative wie Liberale wählbar. Die grösste Herausforderung steht Rumäniens neuem Präsidenten allerdings noch bevor.

Nicusor Dan ist nicht als Favorit in die Stichwahl um das rumänische Präsidentenamt gegangen. Sein Gegenkandidat, der Ultranationalist George Simion, hatte die erste Runde klar gewonnen. Doch aus Sorge, Rumänien könnte sich vom Westen abwenden, gingen am vergangenen Sonntag auch viele Nichtwähler an die Urnen – und gaben dem Proeuropäer Dan ihre Stimme. Nun muss der gewählte Präsident liefern. Die Politikverdrossenheit im Land sitzt tief. Aber er hat Erfahrung damit, Vertrauen zurückzugewinnen.

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Dan wurde 1969 in Fagaras im Zentrum Rumäniens geboren, einer ländlichen, konservativ geprägten Region. Damals war der Diktator Nicolae Ceausescu an der Macht, der über einen isolierten, autoritären Staat mit zentralisierter Planwirtschaft herrschte. Dans Vater war Arbeiter, seine Mutter Buchhalterin. Dan war ein aufgewecktes Kind, das sich für Mathematik interessierte. Als Teenager gewann er zwei Jahre in Folge die internationale Mathematik-Olympiade, kurz darauf nahm er in diesem Fachbereich ein Studium an der Universität Bukarest auf.

An der Zukunft von Rumänien mitwirken

Es war eine Zeit des Umbruchs. Nach dem Sturz des Diktators 1989 begann in Rumänien ein Kapitel des Chaos und der Unsicherheit, gepaart mit der Hoffnung auf Freiheit. Wer konnte, orientierte sich nach Westen. So auch Dan. Als talentierter Mathematiker ergatterte er ein Stipendium des französischen Staates und studierte in Paris, wo er später auch promovierte. Anders als viele seiner ausgewanderten Landsleute hatte Dan aber nie vor, dauerhaft im Ausland zu leben. Er wollte an der Zukunft seines Landes mitwirken und kehrte mit Ende zwanzig zurück.

Während er in Bukarest Mathematik lehrte und forschte, gründete er einen Verein für junge Rumänen, die sich für ihre Heimat engagieren wollen. Später setzte er sich für den Erhalt von Parks, Natur und historischen Gebäuden in der Hauptstadt ein und kämpfte gegen illegale Baugenehmigungen. Seinen ersten Anlauf auf das Bürgermeisteramt unternahm er 2012 – damals ohne Erfolg. 2020 dann gelang ihm der Wahlsieg, vier Jahre später wurde er als Bürgermeister der Hauptstadt bestätigt.

Doch zunächst gründete er eine eigene Partei, von der er sich später trennte. Es ging damals, 2017, um einen Streit über ein geplantes Referendum zur Definition der Familie. Eine konservative Bürgerinitiative wollte die Ehe ausdrücklich als Verbindung zwischen Mann und Frau in der Verfassung festschreiben. Vor allem in ländlichen und kirchennahen Milieus gab es dafür Unterstützung. Viele Mitglieder in Dans USR wollten, dass sich die Partei gegen das Referendum stelle. Dan fand das falsch. Er war der Meinung, dass sich die Partei um strukturelle Probleme wie Korruption, Verwaltung, Stadtentwicklung kümmern und offen für Liberale wie für Konservative bleiben sollte. Sein Kurs scheiterte innerhalb der Partei, weswegen er austrat.

Glaubhaftes Gegenmodell zum Status quo

Die Episode zeigt aber auch, warum Dan für eine breite rumänische Bevölkerung wählbar ist. Er gibt an, an Gott zu glauben, orthodoxer Christ zu sein, und schreibt den Menschen nicht vor, wie sie zu leben haben. Gleichzeitig gilt er als liberaler Reformer, der sich zur Westbindung Rumäniens bekennt, proeuropäisch eingestellt ist und Probleme pragmatisch anpackt.

Im Wahlkampf inszenierte er sich als Gegenmodell zum Status quo und trat als unabhängiger Kandidat an. Den etablierten Parteien wirft er vor, in erster Linie ihre eigenen Privilegien zu verteidigen und deshalb Reformen zu verhindern. Nach seinem Wahlsieg sagte er, Teile der Bevölkerung seien so empört über die politischen Verhältnisse, dass sie die Revolution forderten. «Es ist unsere Pflicht, diese Menschen davon zu überzeugen, dass die Lösung für Rumänien eine Reform der Justiz ist und eine Reform der Verwaltung», sagte er. Keine leichte Aufgabe. Um das Vertrauen der Wähler zurückzugewinnen, muss er schnell Erfolge liefern – sonst könnte die Atempause in Rumäniens politischer Krise von kurzer Dauer gewesen sein.

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