Donnerstag, November 14

Man kann von Street-Food-Festivals halten, was man will: Manchmal sind sie der Ursprung wunderbarer Geschichten zwischen Migration und Heimischwerden. Dies ist eine davon.

In einigen Tagen formieren sich wieder die ersten Adventshütten in der Innenstadt, um unsere Sinne umfassend mit Duftschwaden zu vernebeln. Halten wir also kurz inne für eine kleine, feine Geschichte. Sie beginnt an einem Zürcher Weihnachtsmarkt oder – was heute manchenorts fast dasselbe ist – an Street-Food-Festivals. Man kann von diesen halten, was man will. Aber auf ihrem multikulturellen Nährboden gedeihen berührende Geschichten zwischen Einwanderung und Heimischwerden, wie die inzwischen weitherum bekannte Erfolgsstory der tibetischen Tenz-Momos.

Nicht um pikante Teigtaschen geht es im vorliegenden Fall, sondern um süsse Rollen. Vor zwölf Jahren stiess ich auf dem Sechseläutenplatz auf einen Stand, an dem zwei Frauen strahlend ein mir unbekanntes Gebäck unter dessen slowakischem Namen Trdelnik anboten. Es handelte sich um die Opernsängerin Yvette Bobek, 1979 aus der heutigen Slowakei in die Freiheit der Schweiz geflohen, und ihre Tochter Nicole Toth. Mit ihrer Spezialität brachten sie eine für Schleckmäuler willkommene Abwechslung in den Markt, doch während ich ihr Gebäck kostete und pries, erwähnten sie ihren lange gehegten Traum von einem festen Standort. Dafür suchten sie einen Raum in der Innenstadt. Es sollte fast zwölf Jahre dauern, bis sie fündig wurden.

Der Zufall will es, dass ich neulich beim Flanieren an einem gelb gestrichenen Altstadthaus am Rindermarkt vorbeikomme, beschriftet mit «Toth’s Chimney Cake». Ich betrete den Raum, hinter der Theke stehen zwei Frauen, strahlend wie damals. Wieder sind es Mutter und Tochter, in diesem Fall die andere, Nathalie Toth, die in Prag und Zürich Kommunikationswissenschaften und Kulturmanagement studiert hat. Zusammen führen die beiden nun ein Take-Away-Lokal.

Anfang Jahr haben sie diesen Standort, nach einem Pop-up-Intermezzo am nahen Stüssihof, unbefristet und zu moderatem Pachtzins bezogen. Dabei lösten sie einen trendbewussten Bubble-Tea-Shop ab, zuvor hatte es viele Wechsel gegeben. Sie aber sind gekommen, um zu bleiben. Von der warmen Atmosphäre, die sie und ihre Einrichtung ihm verleihen, lebt der liebevoll ausgestattete Ort. Es gibt Kaffee, hausgemachte Suppen, Quiches – und natürlich diese traumhaften Trdelnik, deren «r» im Gaumen gerollt wird, als schnurrte eine Katze.

Das Süssgebäck gibt es in Osteuropa in diversen Spielarten unter Namen wie Baumstriezel oder Kürtöskalacs. Sein Ursprung liegt laut einer Tafel beim Eingang im 17. Jahrhundert, als die ungarischsprachigen Szekler es in Siebenbürgen erfunden hätten. Yvette Bobek setzt ihr slowakisches Familienrezept ein, das sie in ihrer Backstube im Hochparterre Schritt für Schritt zur Perfektion gebracht hat. Das Innere ihrer Trdelnik ist unvergleichlich geschmeidig und fluffig, die leicht glänzende caramelisierte Kruste knusprig, der Teig nicht zu süss.

Die Streifen aus täglich frisch zubereitetem Hefeteig wickelt Bobek um Edelstahlstäbe, bestreicht sie mit Butter und Vanillezucker und bäckt sie in halboffenen Spezialöfen innert weniger Minuten zu einer Art Röhre. Die Zubereitungsart erinnert fern an Schlangenbrote, die wir als Kinder über dem offenen Feuer brieten. Über diesem wird auch dieses Gebäck traditionsgemäss tatsächlich gebräunt – so ist es zur Touristenattraktion von meist mediokrer Qualität geworden in Prag, das Hollywood bekanntlich mitunter auch als Ersatzschauplatz für die teure Limmatstadt dient.

Kleiner cineastischer Exkurs: Oliver Stone drehte angebliche Zürcher Szenen seiner «Wall Street»-Fortsetzung von 2010 in Prag. Im Bild erschienen keine Trdelnik, aber rote statt blaue Trams, worauf ich den amerikanischen Regisseur in einem Interview ansprach. Gereizt meinte er, wir sollten froh sein, in seinem Film vorzukommen, und schickte einen Satz für die Ewigkeit nach: «No one knows, where Zurich is!»

Die Familie Toth weiss es sicher, und sie hat diese Stadt um eine Attraktion reicher gemacht. Dass sie ihre Trdelnik nun als Chimney Cakes anbietet, ist keine Konzession an Oliver Stone, eher an die Internationalisierung dieser Stadt. An Street-Food-Festivals trifft man sie nicht mehr an, dafür bieten sie auch ein Catering. Inzwischen bieten sie ihre Spezialität auch als üppig gestopftes Cornet (Fr. 14.50) an, etwa mit Vanillecrème wie Schillerlocken oder sommers mit hausgemachter Glace. Ich denke, ich bevorzuge die ungefüllte Standardversion (Fr. 11.50): nackt, warm und so unwiderstehlich duftend, dass sich sogar der Novembernebel über dem Gemüt verzieht.

Toth’s Chimney Cake
Rindermarkt 5, 8001 Zürich
Geöffnet Mittwoch bis Sonntag, 14 bis 18 Uhr.
Telefon 078 805 00 10

Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.

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