Mittwoch, Oktober 9

Mit #allesdichtmachen provozierte Dietrich Brüggemann während der Pandemie einen Skandal. Die satirischen Videos mit Schauspielern, die Corona-Massnahmen verspotten, seien politisch wichtig gewesen, sagt der Filmemacher. Nun müsse die «beispiellose Hetze» gegen Andersdenkende endlich aufgearbeitet werden.

Selten haben deutsche Filmschaffende von sich reden gemacht wie während Corona: In der Protestaktion #allesdichtmachen zogen im Frühjahr 2021 mehr als 50 Schauspieler die Covid-Massnahmen ins Lächerliche. Stars wie Heike Makatsch und Jan Josef Liefers machten in Youtube-Clips «von ihrem Recht auf misslungene Satire Gebrauch», wie die «FAZ» frotzelte. Die Aktion, zu deren Ideengebern der Regisseur Dietrich Brüggemann gehörte, löste Empörung aus. Verschreckte Stars löschten ihre Videos wieder. Doch drei Jahre später zeigen sich immer deutlicher die Verfehlungen der deutschen Corona-Politik. War der Protest der Schauspieler rückblickend gar nicht so verkehrt? Im Berliner Gleisdreieck-Park, in einem Café bei der Schrebergarten-Kolonie, holt Dietrich Brüggemann eine Limonade, dann legt er los.

Herr Brüggemann, erinnern Sie sich gern zurück an #allesdichtmachen oder würden Sie die Aktion lieber vergessen?

Nein, wieso? Ich rede auch gern darüber.

Wie präsent ist die Zeit noch?

Vor ein paar Tagen sprach ich mit einer Bekannten. Vor allem ihr Mann fand die Aktion damals ganz schlimm: Jetzt sagten mir beide, sie hätten die Videos noch einmal geschaut und eigentlich seien sie ja total harmlos. So geht es vielen, wenn sie die Videos heute anklicken.

Was hatte Sie zu den Clips motiviert?

Das war in dieser deutschen Massenhysterie. Die Einschränkungen waren ein ungeheurer Einschnitt in das Leben. Man konnte sie gut abfedern, wenn man eine solide Mittelstands-Existenz hatte. Aber je mehr man mit den Härten des Lebens konfrontiert ist, desto mehr hat das reingehauen.

Sie meinen die Lockdowns?

Ja, die Konsequenzen der Lockdown-Massnahmen kann man sich in ärmeren Schichten leicht vorstellen: Leute, die mit mehreren Kindern in einer kleinen Wohnung sitzen. Dann denken wir uns noch einen aggressiven Mann dazu. Nicht zu reden von den Schäden, die ganze Branchen davongetragen haben. Alles wurde dem Inzidenzwert untergeordnet, und wenn man genau hinschaute, war gar nichts.

Wie, es war nichts?

Andere Länder waren offen und es war nicht schlimmer als in Deutschland. Die Zahlen gingen etwa in der Schweiz genauso rauf und runter. Wirkte unsere sogenannte «Bundes-Notbremse» also auch in der Schweiz? Oder war sie einfach vollkommen egal und hatte keinerlei Auswirkungen?

Wer hatte die Idee zu den Videos?

Ich kam im Februar in Kontakt mit einer Gruppe von Schauspielern, sieben, acht Leute, die alle die deutsche Corona-Politik, den Lockdown-Irrsinn, hinterfragten.

Kannten Sie diese Leute näher?

Nur vom Herumstehen und ab und zu Grüssen auf Filmveranstaltungen. Aber es waren prominente Leute, die ich respektierte. Die Gruppe hatte sich schon länger Gedanken gemacht: Was könnte man machen? Dann kam ich und meinte: Aufgabe der Kunst ist doch, die herrschende Ideologie zu bejubeln.

Sie wollten es mit Ironie versuchen.

Kritik war sowieso vollkommen fruchtlos. Es verpuffte alles. Also sagte ich: «Wir müssen Werbespots machen für noch mehr Lockdown.» Viele, die wir angefragt haben, fanden es super. Natürlich nicht alle. Ein paar Schauspieler haben sich im letzten Moment zurückgezogen, sonst wären es 60 gewesen, nicht 53. Dann ging die Website an einem Donnerstagabend, 18 Uhr, online. Die ersten Reaktionen von Freunden, von Bekannten aus der Branche waren: «Hey, cool, regt zum Nachdenken an.» Und dann, gegen neun oder zehn Uhr abends, ging der Shitstorm-Hammer runter: «Ihr macht euch über Intensivpatienten lustig! Wie bescheuert kann man sein?» Ein paar Wochen war die Stimmung in Deutschland ungefähr so, als hätte man im Petersdom aufs Allerheiligste defäkiert.

Was hatten Sie erwartet?

Ich dachte schon, dass es Ärger geben könnte. Aber auch, dass es möglich wäre, dass manche Leute sich zum Nachdenken animiert fühlten. Wahrscheinlicher war aber der Ärger. Die Frage ist nur: Worüber eigentlich? Jeden Tag werden Millionen Videos auf Youtube hochgeladen. Wenn mir eines davon nicht gefällt, muss ich kein Fass aufmachen. Wir haben kein öffentlichrechtliches Geld ausgegeben. Wir haben die Videos nicht mit Steuergeldern im öffentlichen Raum plakatiert.

Können Sie nicht nachvollziehen, dass es manche Leute unangebracht fanden? Die Menschen waren verängstigt, sie gehörten vielleicht zu einer Risikogruppe oder hatten Angehörige verloren.

Ich machte mich ja nicht über Leute lustig, die Angehörige verloren haben oder zu einer Risikogruppe gehörten. Sondern über einen politischen Vorgang, der dazu führte, dass alte Menschen alleine sterben mussten, ohne dass ihre Angehörigen sie besuchen durften. Dass Kinder zu Hause eingesperrt waren. Die hysterische Reaktion kam übrigens auch nicht aus dieser Richtung. Von Risikogruppen oder von Leuten, die jemanden verloren haben, habe ich überhaupt nichts gehört. Die grosse Empörung kam von den üblichen Schreihälsen der Öffentlichkeit.

Wie haben Sie reagiert?

Ich habe ein paar Interviews gegeben und die Aktion in der Öffentlichkeit verteidigt, weil ich sie wichtig fand. Künstlerisch schlauer wäre gewesen, das Ding einfach in die Welt zu setzen und zu sagen: «Kloppt euch.» Man soll seine Werke ja eigentlich nicht kommentieren. Politisch war es mir dennoch wichtig.

Viele Interviews haben Sie nicht gegeben. Weshalb?

Von den Leitmedien wurde ich nicht gefragt. Aber so sind die. Die wenigsten gehen raus und sagen: Der Typ ist interessant, den interviewen wir jetzt. Sondern die kriegen ihren Kram durchgefüttert von der PR-Industrie. Wenn eine Veronica Kebekus oder Carolin Ferres, oder wie die alle heissen, ein Buch mit Kochrezepten für vegane Pancakes am Start haben und man nur noch diese Personen auf dem Supermarkt-Kassen-Magazin und im Bahn-Kundenmagazin sieht, ist das ja kein Zufall.

Hätten Sie mit den Leitmedien gesprochen?

Natürlich hätte ich auch mit einer «Süddeutschen Zeitung» gesprochen. Mit dem «Spiegel» hatte ich ein telefonisches Verhör, aus dem dann ein paar Sätze in einen Text eingeflossen sind. Diese «Spiegel»-, «SZ»- oder auch «Zeit»-Journalisten haben ein Vokabular drauf, da wird die ganze Zeit von der hohen Kanzel herunter «eingeordnet». Da herrscht eine unglaubliche Arroganz.

Verkehrten Sie in Querdenker-Kreisen?

Selbstverständlich. Wenn der Staat verordnet, dass wir das öffentliche Leben stilllegen, dass wir Grundrechte einfach einkassieren, uns bis auf weiteres nicht mehr treffen, zu Hause bleiben und so weiter, und jeder, der das infrage stellt als «Querdenker» beschimpft wird, dann bin ich ja ganz offensichtlich auch Querdenker.

Den Lockdown fanden Sie falsch. Waren Sie ein Impfgegner?

Die Corona-Impfung ist etwas völlig anderes als herkömmliche Impfungen. Seit Jahrzehnten wurde an mRNA geforscht, nie gab es eine Anwendung auf Menschen. Auf einmal wird sie milliardenfach ausgerollt, und dann folgt beispiellose Hetze gegen alle, die sie nicht widerspruchslos nehmen. Wie finden wir das mit etwas Abstand?

Haben Sie sich impfen lassen?

Habe ich mich impfen lassen? Liebes Publikum, das ist die spannende Frage: Schalten Sie nächste Woche wieder ein. Und bis dahin denken Sie sich Ihren Teil.

Wie hielten Sie es mit Masken?

Führende Wissenschafter wie Martin Kulldorff, ehemals Professor in Harvard, und Jay Bhattacharya haben früh dargelegt, dass Masken epidemiologisch wirkungslos seien. Man kann sich auch einfach die Kurven anschauen, Länder mit Maskenpflicht, Länder ohne: Ist es ein Unterschied? Nein. 2020 sind wir alle mit Stofflappen herumgerannt. «Alltagsmaske» hiess das. Ein Jahr später war die Alltagsmaske nicht mehr wirksam. Da musste man eine medizinische Maske tragen. Wieder ein Jahr später musste es eine FFP2-Maske sein. Aha, da sind wir also ständig mit falschen Masken herumgerannt?

Vielleicht hat man einfach dazugelernt.

Schweden hatte keine Maskenpflicht, keinen Lockdown. Es wird immer gesagt, Schweden sei so dünn besiedelt, die wohnen in Holzhäusern und können den Nachbarn nur auf Entfernung zuwinken. Christian Drosten durfte das kürzlich einmal wieder ohne Widerspruch in dieser Zeitung behaupten. Dabei ist Schweden sogar urbanisierter als Deutschland. Schweden besteht aus drei grossen Ballungsräumen, Stockholm, Malmö, Göteborg. Da wohnen die allermeisten Leute. Das Leben ging weiter. Auch in weiten Teilen der USA.

Gerade in New York hat man doch die Schreckensbilder gesehen.

Und trotzdem haben grosse Teile der USA nach dem ersten Schock nicht so weitergemacht wie Deutschland. Es ist auch völlig egal, was ich hier sage, entscheidend ist doch: Ich bin damit nicht allein. Schätzungsweise ein Drittel der Deutschen sind immer noch fassungslos und wünschen sich Aufarbeitung. Ich werde irgendwann einen Film über die Zeit machen. Das wird bestimmt interessant.

Was für ein Film?

Sieben, acht Protagonisten, die durch diese Jahre gehen. Vollkommen nüchtern, fast dokumentarisch. Menschen in der Corona-Zeit. Dafür müsste man aber gründlich recherchieren. Gespräche mit Leuten führen, es aus der Erinnerung herausholen.

Einen Corona-Film gefördert zu bekommen, wäre sicher kompliziert.

In den Gremien wäre man möglicherweise entsetzt.

Befürchten Sie, dass Sie keine Filme mehr drehen können?

Ich habe gerade einen «Tatort» gedreht, nächstes Jahr kommt noch einer. Auch Kinofilme sind in Planung. Es wird alles nicht so heiss gegessen, wie es gekocht wird. Aber es ist eine schizophrene Situation. Beim Film läuft alles weiter, im Literaturbetrieb muss ich mich hingegen nicht blicken lassen. Ich habe einen Roman geschrieben, der im Kanon-Verlag hätte erscheinen sollen. Dann wollten sie ihn plötzlich nicht mehr.

Gab es inhaltliche Einwände?

Nein. Der Vertrag war in trockenen Tüchern. Zwei Wochen nach #allesdichtmachen dachte ich: Ich ruf den Verleger mal an. Der wird mir garantiert sagen: «Junge, das ist ein Sturm im Wasserglas, schreib den Roman.» Aber dann hatte ich ihn am Telefon und er druckste herum: «Wir haben intensiv nachgedacht.» Die Leute haben immer intensiv nachgedacht. Jedenfalls hätten sie «in Abstimmung mit den Gesellschaftern», wie es auch jeweils heisst, entschieden, das Buch nicht zu machen. Und dann bittet er mich noch, niemandem davon zu erzählen. Deswegen erzähle ich sehr gerne davon.

Was war das Argument?

Bei ihm sei kein Platz für Künstler, die ihre Meinungsfreiheit missverstehen. Das waren wirklich seine Worte. Es gibt ja in der Literatur eine Tradition, dass Verleger zu politisch kontroversen Autoren stehen. Das geht zurück bis zu Heine und Julius Campe. Mein Buch landete dann übrigens bei einem Lektor von Hoffmann & Campe, der meinte, es sei grossartig, etwas vom Besten, was er in den letzten zwanzig Jahren gelesen habe. Aufgrund der Verwerfungen der vergangenen Jahre könne man es aber nicht am Markt platzieren. Oder das Label Grand Hotel van Cleef, das meine Band Theodor Shitstorm hinauswarf: Ich habe all diesen Leuten geschrieben, ob sie das heute immer noch richtig finden. Es hat nie einer geantwortet. Es ist ihnen offenbar peinlich, und das halte ich insgesamt für ein gutes Zeichen.

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