Postfinance, UBS und Co. gestehen indirekt ein, dass die von der Kryptobranche entwickelte Blockchain-Technologie ihrer eigenen IT überlegen ist. Diese gilt als hoffnungslos veraltet.
Hinter der staubtrockenen Medienmitteilung verbirgt sich ein bemerkenswertes Eingeständnis: Die Schweizer Banken haben diese Woche indirekt zugegeben, dass ihre Geschäftsprozesse und IT-Systeme überholt sind. Und dass sie stattdessen eine Technologie evaluieren, die in einem klandestin entstandenen Finanzsystem entwickelt wurde: in der obskuren Krypto-Branche.
Blockchain-Protokolle erlauben jeder Person mit einem Internetanschluss, eigene Konten zu eröffnen, rund um die Uhr Geld anzulegen und dieses auch weltweit zu versenden. Oder Kredite aufzunehmen und zu vergeben. Und zwar ohne ein einziges Formular auszufüllen oder jemandem um Erlaubnis für eine Transaktion fragen zu müssen.
Der neue Goldstandard
Zuvor hat sich schon auf der Anlageseite abgezeichnet, dass die Blockchain-Technologie wohl der neue Goldstandard wird: weil grosse Vermögensverwalter wie Blackrock damit begonnen haben, herkömmliche Anlagen wie etwa Anleihen zu digitalisieren.
Doch der Reihe nach: Der Branchenverband der Banken teilte am Mittwoch mit, dass seine Mitglieder Postfinance, UBS und Sygnum «unter dem Dach der Schweizerischen Bankiervereinigung eine Absichtserklärung zur Prüfung eines Schweizerfranken-Buchgeld-Tokens unterzeichnen».
Übersetzt heisst das: Die drei Banken proben stellvertretend für die ganze Branche, ob sie die Kontoguthaben ihrer Kunden auf die Blockchain bringen können. Buchgeld steht ganz im Zentrum der Geschäftstätigkeit der Banken.
Radikale Pläne
Dieses zu digitalisieren, ist also ein viel radikalerer Schritt, als wenn jetzt etwa Kantonalbanken ihren Kunden eine Anlage in Bitcoin und Co. ermöglichen. Es geht vielmehr darum, dass Banken die Technologie, die hinter solchen Protokollen steckt, für sich selbst nutzen. Oder Dienstleistungen gleich auf einer öffentlichen Blockchain wie Ethereum aufbauen.
«Meines Wissens wurde Buchgeld bisher noch nie direkt auf einer Blockchain ausgegeben. Das ist sehr innovativ von den beteiligten Schweizer Banken», sagt Remo Nyffenegger, wirtschaftswissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Basel. «Es handelt sich aber um eine komplexe Machbarkeitsstudie, weil dafür zuerst der regulatorische Rahmen definiert werden muss.» Insbesondere brauche es Klarheit darüber, ob Buchwert-Token auch im Ausland verwendet werden dürfen und wie stark sie mit Vermögenswerten hinterlegt sein müssen.
«Falls die Banken sich für eine öffentliche Blockchain entscheiden würden – eine Möglichkeit, die sie in ihrem Whitepaper genannt haben –, wäre das sogar revolutionär: Denn auf öffentlichen Blockchains sind Transaktionen ja grundsätzlich für alle einsehbar», sagt Nyffenegger.
Auch andere Fachleute finden den Schritt der Banken richtig: «Die Nationalbank will keinen digitalen Franken für Retail-Kunden einführen, weil sie befürchten müsste, dass die weltweite Nachfrage nach Franken und somit auch der Kurs steigt. Es ist daher sehr zu begrüssen, dass sich jetzt die bisher zögerlichen Geschäftsbanken bewegen», sagt Daniel Diemers, Blockchain-Experte und Wagniskapitalgeber.
Überholte Bank-IT-Systeme
Er sieht allerdings auch grössere Herausforderungen auf die meist etwas schwerfälligen Institute zukommen: «Es wird für viele eine Herausforderung werden, in ihre während Jahrzehnten gewachsenen IT-Systeme nun auch noch einen Blockchain-Stack zu integrieren.»
Das sieht auch Stefan Grasmann so. Er ist Leiter Blockchain beim Innovationsentwickler Zühlke: «Es ist unter Experten unbestritten, dass die IT-Systeme der Banken hoffnungslos veraltet sind. Sie basieren zum Beispiel auf der Logik, dass es nach 18 Uhr keine Geschäfte mehr gibt und dass dann die Transaktionen des Tages verarbeitet werden können.» In der Blockchain-Welt sind die Finanzmärkte dagegen an 7 Tagen 24 Stunden lang offen.
Weil die Bankenbranche und das dezentrale Finanzsystem auf der Blockchain grundverschieden sind, fragen sich die Experten allerdings, wie viele Vorteile noch bleiben, wenn die beiden Welten zusammenwachsen: ob die stark regulierte Bankenwelt mit ihren hohen Gebühren obsiegt oder die Krypto-Welt, wo Nutzer weitgehend selbst die Kontrolle über ihr Geld haben.
Die Finma hat die Branche kürzlich brüskiert, als sie in Eigenregie überaus strikte Regeln für digitale Währungen, auch Stablecoins genannt, erliess. Die von der Finma geforderte flächendeckende Identifikation aller Nutzer von digitalen Währungen habe keine erkennbare gesetzliche Grundlage, kritisierte darauf der Branchenverband Swiss Blockchain Federation. Diese Anforderungen verunmöglichten die Ausgabe von konkurrenzfähigen Stablecoins durch Schweizer Emittenten.
Werden die Banken oder die Kunden geschützt?
Eine Rundum-Kontrolle davon, wer eine Digitalwährung wie benutzt, um mögliche Geldwäscherei-Fälle ausfindig machen zu können, entspricht bestimmt nicht einem Kundenbedürfnis. Und es ist ein schlechtes Omen dafür, was mit der dezentralen Finanzwelt geschehen könnte, wenn übervorsichtige Behörden mit Maximalforderungen einfahren.
«Die konkreten Regeln werden zeigen, wen die Regulatoren wirklich schützen wollen: die Banken oder die Endkunden», sagt Stefan Grasmann. Ebenso wird sich weisen, ob Banken versuchen werden, Geschäfte auf privaten Blockchains abzuwickeln, die sie kontrollieren – statt auf öffentliche zu setzen, an deren Entwicklung sich jeder beteiligen kann. Der Vermögensverwalter Blackrock hat sich für Ethereum entschieden, und auch die Schweizer Banken ziehen öffentliche Blockchains in Erwägung.
Abgesehen von diesen Fragen überwiegt bei Insidern die Freude darüber, dass es offenbar vorwärtsgeht mit dem digitalen Franken, der als programmierbare Währung vielseitig einsetzbar wäre. «Der Buchgeld-Token ist für die Banken ein wichtiger Schritt, um fit für die Zukunft zu werden», sagt etwa Daniel Diemers.
Aber er persönlich findet die Anwendungen, die ein digitaler Franken ermögliche, viel spannender. «Wir investieren zum Beispiel in Drohnen-Highways. Wenn Maschinen für die Benutzung einer Infrastruktur wie einen Luftkorridor bezahlen, wird die Transaktion natürlich nicht per Kreditkarte erfolgen. Dafür braucht es Token», sagt Diemers.
Sogar Konkurrenten applaudieren
Sogar bei der Firma Swiss Stablecoin zeigt man sich erfreut – obwohl die eigenen Pläne für einen digitalen Franken durch den Vorstoss der Bankiervereinigung womöglich Konkurrenz erfahren. «Wir begrüssen es sehr, dass die Banken einen Buchgeld-Token prüfen», sagt Christian Bieri, Geschäftsführer Swiss Stablecoin.
«Wir verfolgen das Ziel, der Schweizer Wirtschaft und Bevölkerung einen breit zugänglichen digitalen Franken als Zahlungsmittel anzubieten. Dabei setzen wir auf die Zusammenarbeit mit Banken und sind deshalb darauf angewiesen, dass sie sich diese intensiv mit der Technologie auseinandersetzen», sagt Bieri. Man sehe sich nicht als Konkurrenten, sondern könne sich viele Synergien vorstellen.