Freitag, November 7

In den deutschen Talkshows ist sie unterrepräsentiert, doch in den sozialen Netzwerken hat sich die Alternative für Deutschland ein eigenes Herrschaftsgebiet geschaffen. Für die anderen Parteien bleiben die Rechten nicht nur dort eine Herausforderung.

Karl Lauterbach ist seit kurzem da, Luisa Neubauer schon länger. Doch gegen die Reichweiten, die die Alternative für Deutschland auf der chinesischen Plattform Tiktok erzielt, haben weder der deutsche Gesundheitsminister noch die grüne Klimaaktivistin eine Chance. Dort dominiert die AfD.

Vielleicht auch deshalb gewinnt die Partei bei jungen Leuten Zuspruch. Unter den 16- und 17-Jährigen, die an den kommenden Europawahlen erstmals teilnehmen dürfen, geniesst die AfD gemeinsam mit der SPD das grösste Vertrauen. Das ergab soeben eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung. Und bei der U-18-Wahl im Oktober 2023 vor der bayrischen Landtagswahl belegte die AfD den zweiten Rang mit knapp 15 Prozent – vor den Grünen, vor der SPD. Das Ergebnis dieser Wahl hatte allerdings keine Auswirkung und nur symbolischen Charakter.

Inzwischen ist den anderen Parteien und ihren politischen Vorfeldorganisationen das Vakuum aufgefallen, das man damit lässt. Lauterbach sagte in der ARD-Sendung «Hart, aber fair»: «Ich glaube, wir dürfen die sozialen Medien nicht der AfD überlassen.» Der Minister geht mit gutem Beispiel voran und teilte Anfang März sein erstes Video auf der Plattform. Bis heute haben es sich 1,6 Millionen Menschen angeschaut, mittlerweile folgen mehr als 40 000 Menschen dem SPD-Politiker. Doch dem offiziellen Account der AfD folgen zehnmal so viele.

Noch immer ist Facebook, auch bekannt als Meta, die beliebteste Social-Media-Plattform. Doch der chinesische Konkurrent Tiktok ist in kurzer Zeit enorm wichtig geworden. Geht man auf die App, werden einem in schneller Reihenfolge kurze, unterhaltsame Videos angezeigt.

Kein Ende in Sicht: Seit seiner Gründung wächst Tiktok Jahr um Jahr

Anzahl Tiktok-Nutzer, die mindestens einmal im Monat auf die App zugreifen, pro Quartal, in Millionen

Knapp 1,7 Milliarden Nutzer wurden im März 2024 weltweit gezählt. In Deutschland nutzen über 20 Millionen Menschen pro Monat die App, in der Schweiz etwa 2 Millionen. Vor allem bei Jüngeren ist das Videoportal beliebt. Warum ist gerade die AfD so erfolgreich dort?

Auf Tiktok findet Krah: «Echte Männer sind rechts»

Ein Rückblick in den Juli des Jahres 2023: In einem Dorf in Sachsen-Anhalt referiert ein junger Mann über «Tiktok von rechts». Stolz zeigt er seinem Publikum eine Statistik, wonach 55 Prozent der Nutzer in Deutschland zwischen 14 und 18 Jahre alt sind und täglich im Durchschnitt anderthalb Stunden auf der chinesischen Plattform verbringen.

Das aber, fährt der junge Mann an der Sommerakademie des neurechten Instituts für Staatspolitik in Schnellroda fort, bedeute: «Man hat 90 Minuten am Tag ein Fenster in deren Gehirn, wo man reinsenden kann.» Er spricht von einer «unmittelbaren, parasozialen Beziehung». Als Beleg dient das von ihm erstellte Tiktok-Video des AfD-Politikers Maximilian Krah mit dem Titel «Echte Männer sind rechts». Es wurde damals von über einer Million Menschen angeschaut.

Dort spricht Krah junge Männer direkt an – auf eine Weise, wie es kein anderer deutscher Politiker tut. In die Kamera sagt er: «Jeder dritte junge Mann hatte noch nie eine Freundin. Du gehörst dazu? Schau keine Pornos. Wähl nicht die Grünen. Geh raus an die frische Luft. Steh zu dir. Sei selbstbewusst. Guck geradeaus. Und vor allem: Lass dir nicht einreden, dass du lieb, soft, schwach und links zu sein hast. Echte Männer sind rechts. Echte Männer haben Ideale. Echte Männer sind Patrioten.» Krah schliesst: «Dann klappt’s auch mit der Freundin.»

In den sozialen Netzwerken, etwa bei Facebook und X (früher Twitter), besonders aber bei Tiktok, ist die AfD der Platzhirsch unter den deutschen Parteien. Sie hat die Kunst der direkten Kommunikation auf die Spitze getrieben und erzielt gewaltige Reichweiten. Laut einer Erhebung für «ZDF heute» erreicht ein Post der AfD-Bundestagsfraktion bei Tiktok durchschnittlich 430 000 Nutzer-Ansichten. Die FDP muss sich hingegen mit 53 000, die SPD mit 22 000 Wahrnehmungen begnügen.

Tiktok ist die «perfekte Plattform für eine populistische Partei»

Eine wechselseitige Skepsis war das auslösende Moment dieses digitalen Aufstiegs. Die AfD misstraut den etablierten Medien mindestens ebenso sehr, wie diese wiederum den Rechten ablehnend gegenüberstehen. Ziel der AfD ist es, omnipräsent zu werden. So zumindest formuliert es der besagte junge Mann namens Erik Ahrens, der sich als «Experte hinter Krahs Strategie» bezeichnet, in einem Beitrag für die rechte Zeitschrift «Sezession». Dort frohlockt Ahrens, der Referent aus Schnellroda: Wer zu den «absoluten Gewinnern des Fortschritts» im digitalen Raum zähle, der gehöre zu den «künftigen Tonangebern im Staat». Darum will er eine «Tiktok-Guerilla» ins Leben rufen.

Der Digitalexperte Wolfgang Schweiger, der an der Universität Hohenheim den Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft innehat, nennt Tiktok «die perfekte Plattform für eine populistische Partei wie die AfD». Die Partei arbeite mit emotionalisierenden Botschaften und vermeintlich schnellen Lösungen. «So etwas funktioniert natürlich ganz wunderbar in einminütigen Videos», sagt Schweiger der NZZ.

Daraus folgt: Den Ton gibt die AfD bei Tiktok auch deshalb an, weil ihr der Algorithmus in die Karten spielt. Die Technik bietet automatisch thematisch verwandte Videos an, wodurch sich der Blaseneffekt verstärkt. Tiktok macht die jeweilige Weltanschauung fugendicht. Und Funktionäre und Mitglieder der AfD liefern, was dem Algorithmus gefällt: pointierte, knappe Aussagen gleich zu Beginn, die später wiederholt werden, oft mit Musik unterlegt. Krah, der Spitzenkandidat der AfD für das Europäische Parlament, provoziert besonders erfolgreich, nach «Echte Männer sind rechts» auch mit «Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher.»

Die AfD hat die meisten Follower auf Tiktok

Anzahl der Follower der jeweiligen Partei auf Tiktok*

Tiktok schränkt Krahs Reichweite ein

Der Dresdner Politiker propagiert in seinem Buch «Politik von rechts» ein «Festhalten am Volk als Schicksalsgemeinschaft» und «Harmonie durch Identität». Er betreibt zudem die Videokolumne «Hier kräht der Krah» für den AfD-nahen «Deutschland-Kurier». Auch dort plädiert er dafür, «unsere eigene Identität zu klären und Schluss zu machen mit der ständigen Selbstanklage». Die direkte Ansprache eines mehrheitlich jungen Publikums ist jedoch Tiktok vorbehalten. Dass die Plattform Krahs Reichweite vor wenigen Tagen einschränkte, indem sie seine Beiträge nicht mehr im entscheidenden «Für dich»-Feed anzeigt, setzte dem Höhenflug vorerst ein Ende. In diesem Feed, werden Nutzern nach ihrem jeweiligen Sehgewohnheiten Videos präsentiert.

Solche Sorgen muss sich Ulrich Siegmund derzeit nicht machen. Siegmund ist Co-Vorsitzender der AfD-Fraktion in Sachsen-Anhalt. Der Mann, der in der Bundespolitik eher unbekannt ist, vereint auf Tiktok etwa 380 000 Follower. Seine Videos nimmt Siegmund in den eigenen vier Wänden, unterwegs oder im Büro auf. Er kommentiert aktuelle Meldungen oder politische Absurditäten, macht sich etwa über den «Gender-Gaga» im Landtag lustig. Ausserdem gibt es kurze Clips seiner Landtagsreden. Siegmund gehörte zu den Teilnehmern des Treffens im Potsdamer Landhaus Adlon, wo Martin Sellner über Remigration sprach.

Fake News verbreiten sich schneller als nüchterne Nachrichten

Auch die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel fällt durch ihre Reden auf. Diese werden auf allen Plattformen in kurzen Videoclips ausgespielt – und erzielen enorme Reichweiten. So vollbringt es die Partei am rechten Rand, die in der politischen Arena oft ausgeschlossen ist, Millionen Menschen zu erreichen. Nicht nur durch die offiziellen Accounts, sondern auch über AfD-nahe Profile oder Influencer. So ist Weidels Rede im Bundestag vom Februar, in der sie der Bundesregierung vorwirft, Deutschland zu hassen, nicht nur auf Youtube mehr als 1 Million Mal angesehen worden, sondern verbreitete sich auch wie ein Lauffeuer auf Tiktok, Instagram und X. Bis aus wenige Ausnahmen, wie die Rede des Wirtschaftsministers Robert Habeck gegen den Antisemitismus im vergangenen Jahr, gelingt das Politikern der anderen Parteien kaum.

Sie haben einen programmatischen Nachteil. «Es ist für die klassischen Parteien schwierig, die Plattformen reichweitenstark zu bespielen, wo es eben darum geht, einfach kurze O-Töne zu bringen, Stimmung zu machen, zu emotionalisieren, Sündenböcke anzugreifen», sagt Wolfgang Schweiger. Der Kommunikationsexperte schätzt, dass die anderen Parteien nie die Reichweite der AfD erreichen werden: «Wir wissen aus Studien, dass sich in sozialen Netzwerken emotionalisierende Inhalte und auch Fake News viel schneller und weiter verbreiten als wahrheitsgemässe und nüchterne Nachrichten.»

Was können die anderen Parteien tun, um der AfD nicht das Feld zu überlassen? Schweiger rät zu einer zweigleisigen Strategie: einerseits bewusst emotionalisieren – ähnlich der in Teilen rechtsradikalen AfD. Er nennt ein Beispiel: «Wenn Politiker oder Politikerinnen zeigen, wie sie im Netz angegriffen werden, ist das sehr emotionalisierend.» Auch SPD, Grüne, FDP und CDU sollten sich trauen, die rationale, themengetriebene Kommunikation zu durchbrechen.

Andererseits könnten Vertreter der Parteien knapp die eigenen Argumente vortragen und schildern, warum die Forderungen der politischen Gegner aus der Sicht der jeweiligen Partei falsch sind. Es lohne sich, auf der nüchternen Ebene zu bleiben, «weil es einen Teil der Wählerschaft gibt, der so etwas goutiert», folgert Schweiger.

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