Sonntag, November 24

Das Startup Stash geht nach einem jahrelangen Rechtsstreit mit dem Bund in die Offensive. Es könnte ein Präzedenzfall werden, der die Schweiz nachhaltig verändert.

Geschwindigkeit ist ein Versprechen des Schweizer Lieferunternehmens Stash. Es bringt online bestellte Alltagsgüter per Velokurier innert 30 Minuten nach Hause, ins Büro, in den Park oder wohin man es auch braucht.

Seit kurzem darf es das auch am Sonntag. Die Bewilligung zu bekommen, ging aber alles andere als geschwind. Stash lieferte sich mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) in Bern einen jahrelangen Rechtsstreit. Nun darf Stash seine Kuriere sonntags zwar losschicken, fühlt sich vom Bund aber dennoch diskriminiert.

«Es ist ein Schildbürgerstreich. Die Behörden schauen sonntags und abends bei vielen Dingen nicht so genau hin. Warum nur bei uns?», sagt Benno Burkhardt, Mitgründer und Verwaltungsrat von Stash.

Seine Firma ging im Februar 2021 an den Start. Anfangs in Zürich, später auch in Luzern, Basel und Genf. Zu Corona-Zeiten hatten Lieferunternehmen Hochkonjunktur. Das Prinzip ist einfach: Stash bietet das Sortiment eines kleineren Supermarktes. Man wählt online aus und bekommt die Ware gegen eine Gebühr geliefert.

Das Geschäft lief vor allem sonntags gut. Anfangs lieferte Stash ganz selbstverständlich auch am siebten Wochentag aus. Das war vielleicht etwas naiv. Die Behörden pfiffen das Startup zurück – es brauchte für den Sonntag eine spezielle Bewilligung vom Bund in Bern. Im November 2021 wurden die Sonntagslieferungen gestoppt.

Es folgte ein juristisches Hin und Her. Nicht weniger als vier verschiedene Anträge stellte Stash. Der «NZZ am Sonntag» liegt der gesamte Briefwechsel vor. So wurde Stash erfinderisch. Die Firma tat sich mit einem Bäckereipartner zusammen, der sonntags ohnehin offen hat, um dessen Produkte auszuliefern. Auch das verbot das Seco.

Dies immer wieder mit einer anderen Begründung: Einmal hiess es, es gebe keine Bewilligung für die Lieferung von Bäckereiprodukten. Beim nächsten Mal, dass der Fokus für Essenslieferungen auf dem Abendgeschäft liege. Lieferungen am Sonntagmorgen ab 8 Uhr seien nicht bewilligungsfähig.

Schliesslich versuchte es Stash mit einem letzten Antrag: Es will genau das tun dürfen, was andere Lieferunternehmen wie Just Eat (früher Eat.ch), Uber Eats und weitere seit Jahren tun: Sonntags frisch zubereitete Speisen ausliefern. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Einen Dammbruch provozieren

Dies konnten die Bundesbeamten Stash nicht mehr verwehren. Am vergangenen 14. November erfolgte die Bewilligung – mit einer gewichtigen Einschränkung. Im Schreiben des Seco heisst es: «Ausgeschlossen sind alle Lieferungen wie Backwaren (Frühstück/Brunch), Food- oder Non-Food-Detailhandelsprodukte.»

Für Stash ist das ein Problem, denn es plant weiterhin, sonntags mit der erwähnten Bäckerei zusammenzuarbeiten. «Andere Lieferdienste liefern sonntags ganz selbstverständlich Gipfeli und Brot aus. Dass nur wir das nicht dürfen, empfinden wir als willkürlich und diskriminierend», sagt der Stash-Verwaltungsrat Benno Burkhardt.

Sonntagsarbeit

Das sind die Ausnahmen

Eigentlich ist Arbeiten am Sonntag verboten. Doch das Gesetz sieht eine lange Liste mit Ausnahmen vor. Rund vier Dutzend Branchen können sonntags ohne Ausnahmebewilligung Personal beschäftigen. Darunter sind Spitäler, Heime, Unterhaltungsbetriebe, Gastronomie oder Transportunternehmen. Zankapfel ist immer wieder der Detailhandel. An Bahnhöfen, Flughäfen und in bestimmten Tourismuszonen erlaubt das Gesetz geöffnete Geschäfte. Es kommen immer neue Ausnahmen dazu. Nun möchte der Bund solche Zonen auch auf grosse Städte ausweiten. Hinzu kommen Kioske und teilweise familiengeführte Läden. Ausserdem gewähren die Kantone verkaufsoffene Sonntage. Zählt man noch die Menschen hinzu, die etwa aus dem Home-Office etwas erledigen, dann arbeiten hierzulande laut Umfragen rund 20 Prozent aller Erwerbstätigen am Sonntag regelmässig. 

Nun gilt im Schweizer Arbeitsgesetz der Grundsatz: Die Gastronomie darf am Sonntag arbeiten, der Detailhandel jedoch nicht. Lieferdienste wie Uber Eats oder Just Eat gelten als verlängerter Arm der Gastronomie. Stash hingegen wird als Händler eingestuft.

Das stimmt zwar, aber in der Praxis sind die Grenzen längst bis zur Unkenntlichkeit verschwommen. So gibt es in grösseren Städten auf Brunch spezialisierte Lieferdienste wie Mr. Brunch oder Brunchbutler.

Aber auch bei Uber Eats oder Just Eat kann man problemlos Zmorgeprodukte für Sonntagmorgen bestellen: Gipfeli, Zopf, Kaffee. Auch kann man sich jederzeit zur frischen Pizza eine Dose Cola oder ein Glace zum Dessert nach Hause liefern lassen.

Und vor allem: Uber Eats und Just Eat führen neben Pizza, Curry oder Burger auch die Kategorie Lebensmittel, die sich sonntags bestellen lassen. Das sind typische Detailhandelsprodukte. Abgeholt werden sie bei Quartierläden, die sonntags offen haben dürfen. Zumindest bis jetzt drücken die Behörden hier ein Auge zu.

Praktisch herrscht heute also eine paradoxe Situation: Die beiden internationalen Firmen Uber und Just Eats liefern sonntags das volle Programm. Das in der Schweiz gegründete und finanzierte Startup Stash darf das hingegen nicht.

Das Seco schreibt auf Anfrage, dass es nicht zu Einzelfällen Stellung nehme. Es hält aber fest: «Das Seco darf keine Wettbewerbsverzerrungen bewirken und darf insbesondere nicht einzelnen Betrieben ermöglichen, dank einer Sonntagsarbeitsbewilligung das für alle anderen Konkurrenten geltende Sonntagsarbeitsverbot zu umgehen, um gestützt darauf Profit zu machen.»

Mit anderen Worten: Würde Stash die Bewilligung bekommen, könnte der Bund diese auch Coop, Migros und weiteren Unternehmen, die Lebensmittel ausliefern, nicht vorenthalten. Es wäre ein Dammbruch.

SBB, Migros und Coop profitieren

Genau das will Stash provozieren. «Wir werden sonntags ausliefern, das steht fest. Wir wissen aber noch nicht, wie genau und in welchem Umfang», sagt Benno Burkhardt. Am Donnerstag hat der Stash-Verwaltungsrat beschlossen, das Sonntagsgeschäft so schnell wie möglich zu starten. «Notfalls wollen wir uns unser Recht, am Sonntag zu liefern, vor Gericht erstreiten», sagt Burkhardt.

Auf Anfrage sagen weder Coop noch Migros, dass Sonntagslieferungen für sie ein Thema seien. Aber was, wenn sie plötzlich liefern dürften? Angst vor Konkurrenten wie Coop und Migros habe er nicht, sagt der Stash-Verwaltungsrat Burkhardt. Gegen diese würde sein Unternehmen ja schon von Montag bis Samstag antreten.

Die junge Schweizer Firma könnte den Schub vom Sonntagsgeschäft gebrauchen. Nach dem guten Start 2021 kam sie schnell ins Straucheln. Als die Corona-Auflagen fielen, ging auch die Nachfrage nach Lieferservices zurück. Stash musste sich aus Basel und Genf zurückziehen und liefert momentan nur in Zürich und Luzern. Letztes Jahr schrammte die Firma nur haarscharf am Konkurs vorbei. Dank frischem Geld und der Schrumpfkur sei es nun im Kerngeschäft profitabel, heisst es.

Aber: Kommt die Firma langfristig über die Runden ohne Sonntagslieferungen? Benno Burkhardt antwortet mit einer Gegenfrage: «Braucht ein Spielwarenladen das Weihnachtsgeschäft?» Und schiebt hinterher: «Es geht auch ohne, aber es ist nicht lustig.»

Der Stash-Mitgründer betont aber, dass es um mehr gehe als ums Geld. «Die Gesellschaft verändert sich und mit ihr die Bedürfnisse. Es sind oft Startups, welche diese nicht gepfadeten Wege als Erste gehen.» Stash nehme diese Vorreiterrolle gerne ein. Der Bund verhalte sich innovationsfeindlich.

Klar ist: Konsumentinnen und Konsumenten sind viel spontaner geworden. Sie decken sich heute lieber jeden Tag frisch ein, als einmal den grossen Wocheneinkauf zu erledigen. Das ist an den Bahnhöfen und Flughäfen, aber auch an Tankstellen augenfällig, wo die Läden dank einer Spezialregelung auch sonntags öffnen dürfen.

Von der heutigen Regelung profitieren neben den SBB als Vermieterin gerade auch Migros und Coop, die an den Bahnhöfen eine starke Präsenz haben. Neulinge wie Stash bleiben aussen vor.

Die Gewerkschaften sagen, dass sie das Sonntagsarbeitsverbot durch alle Böden verteidigen wollen. Die Syndicom hat zwar einen GAV für Lieferdienste ausgearbeitet, der Sonntagsarbeit ausdrücklich vorsieht. Trotzdem sagt David Roth, Leiter Vertragsentwicklung: «Die Ausnahmen an den Bahnhöfen wurden mit den Bedürfnissen von Reisenden begründet.» Eine Erweiterung auf Lieferdienste sei nicht im Sinne von Reisenden. Die Unia fordert sogar, dass auch dem Lieferunternehmen Uber Eats die Bewilligung für Sonntagslieferungen entzogen werde. Denn die Firma missachte den GAV.

Die Positionen sind also bezogen. Das Jungunternehmen Stash nimmt es nicht nur mit den Behörden, sondern mit weiteren gewichtigen Playern auf. Jetzt muss es liefern.

Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»

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