Dienstag, Oktober 8

Bei nachhaltigen Themen wie der Frauenförderung wächst die Abwehrhaltung von Chefs und Mitarbeitern. Auch die UBS will in diesem Bereich Geld sparen.

Microsoft machte im Juli Schlagzeilen mit der Entlassung eines internen Teams, das sich auf die Förderung von Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion (kurz DIE für «Diversity, Equity, Inclusion») konzentriert hatte.

Ein Teamleiter hatte dies laut «Business Insider» in einer internen E-Mail an Tausende von Mitarbeitern damit begründet, dass «echte Systemveränderungsarbeit, die mit DIE-Programmen überall verbunden ist, nicht mehr so geschäftsrelevant oder schlau ist wie im Jahr 2020».

Nach der Ermordung von George Floyd durch einen Polizeibeamten in Minneapolis in den USA hatten sich viele Technologieunternehmen wie Microsoft verpflichtet, sich verstärkt um Vielfalt zu kümmern.

Auch weitere Firmen wie etwa Google, der Facebook-Mutterkonzern Meta, Zoom, der Traktorhersteller John Deere oder der TV-Sender CNN würden bei ihren Diversity-Aktivitäten sparen, schreiben Medien. Jene beschwichtigten und erklärten, weiterhin grössten Wert auf Vielfalt und Inklusion zu legen.

So sagte Microsoft gegenüber «20 Minuten», dass von diesem Abbau nur gerade zwei Positionen in einem Team betroffen seien, das überschneidende Aufgaben mit dem Diversity-Team gehabt habe.

Dennoch sei es bei Themen wie Diversität zu einem Backlash gekommen, also einer Gegenreaktion, auch in der Schweiz, erklärt Alexander Vogel. Der Partner der Anwaltskanzlei MLL berät Firmenkunden in der Schweiz auch zu diesem Thema.

Ursprünglich stammt die Entwicklung, dass Firmen Minderheiten und Vielfalt fördern, aus den USA. Von dort aus formiert sich jetzt der Widerstand: «Grund sind der Rechtsrutsch in den USA und mehrere Gerichtsurteile, die Programme zur Minderheitenförderung abschaffen wollen», so Vogel.

Firmenchefs an der Belastungsgrenze

Beispielsweise muss die Harvard-Universität bei der Verpflichtung neuer Professoren künftig auf die Berücksichtigung von Diversity-Kriterien verzichten. Argumentiert wird, dass beispielsweise die Bevorzugung von Frauen bei Stellenbesetzungen andere Personen diskriminiere. «Noch sind wir in Kontinentaleuropa nicht so weit», sagt Vogel, doch sei das Thema Diversität auf den Agenden auch von Schweizer Firmen in der letzten Zeit teilweise etwas nach unten gerutscht.

«Ich kenne kein Unternehmen, das sagt, dass diese Themen nicht wichtig sind. Das wäre auch gegen die gesetzlichen Vorgaben, in der EU die Nachhaltigkeitsrichtlinie oder in der Schweiz die nichtfinanziellen Berichtspflichten und die Geschlechterquoten für grosse Aktiengesellschaften», erklärt Daniel Lucien Bühr, Nachhaltigkeitsspezialist bei der Anwaltskanzlei Lalive.

Er beobachtet aber ein «breites Phänomen stark geforderter Chefs». In einem schwierigen wirtschaftlichen und geopolitischen Umfeld agierten viele Firmenchefs an der Belastungsgrenze, und die Förderung von Frauen beispielsweise werde dann unter Umständen als ein Muss betrachtet. Die Regeldichte nehme aber weiter zu, wegducken sei keine Option, so Bühr.

Seit der Übernahme der Credit Suisse (CS) steht auch bei der UBS das Kostensparen im Zentrum. Rechtsanwälte der Grossbank sollen im Mai und Juni dieses Jahres auch alle Bereiche durchforstet haben, welche die Nachhaltigkeit betreffen. «Überall, wo es um die europäischen Richtlinien ging, wurden die Aufwände, die über die minimalen Anforderungen gingen, zusammengestrichen», erzählt eine mit den Vorgängen vertraute Person.

Schwierige Messbarkeit

Firmen, die in Europa tätig sind, unterliegen einer zusätzlichen, sehr aufwendigen Berichterstattung zu Umwelt, Sozialem, Arbeitnehmern, der Achtung von Menschenrechten und der Bekämpfung der Korruption. Hinter vorgehaltener Hand beklagen sich viele Kaderleute über den riesigen Aufwand, der in keinem Verhältnis zum Ertrag stehe. Mitarbeiter kritisieren hier vor allem die Frauenförderung, Frauen hätten doch heute alle Chancen auf Karriere.

Nun hatte Ralph Hamers, der Vorgänger des UBS-Chefs Sergio Ermotti, gerade diese Förderung ganz weit oben auf seiner Agenda. Unter seiner Ägide wurden zwischen Herbst 2020 und April 2023 sehr viele Frauen auf Kaderpositionen befördert. Mit Suni Harford hatte ab 2021 zudem ein Konzernleitungsmitglied die weltweite Verantwortung für den Bereich Nachhaltigkeit und Impact inne, die «brannte für diese Themen und dafür, Frauen zu fördern», so Befragte.

Mit dem Abgang von Harford habe sich das geändert, ist zu hören. Seit März führt Beatriz Martin Jimenez den Bereich, ihr Fokus liege vor allem darauf, die Kosten zu senken. Dafür habe sie Ermotti auch auf diesen Posten gesetzt, heisst es. Jimenez leitet den Bereich Nicht-Kerngeschäft und Altlasten, hier konnte sie im Halbjahr deutlich höhere Kostensenkungen als budgetiert vorweisen. Mit besonderem Interesse an der Nachhaltigkeit oder der Diversität sei Jimenez bis jetzt nicht aufgefallen, ist weiter zu hören.

Ein Insider ist davon überzeugt, dass die UBS hier bald ein grosses Abbauprogramm bekannt gibt. Auf Seite der Credit Suisse (CS) soll es bereits im Mai zu einem Abbau gekommen sein, vereinzelt wurden auch UBS-Leute entlassen, ist zu hören. Der grosse Schritt dürfte im Herbst folgen, so der Insider. Denn wegen der Zusammenlegung der Teams aus UBS und der früheren Credit Suisse (CS) sei das Team deutlich gewachsen, insgesamt auf über 250 Personen.

Keine «Special Forces» mehr nötig

Die UBS betont vehement, dass das Engagement in Bezug auf Nachhaltigkeit und Diversität nicht zurückgefahren werde. Allerdings liege das Interesse von Markt und Investoren derzeit auf der Integration der CS. Im Zentrum stünden hier die Fortschritte in Bezug auf die Kosten, die Bilanzoptimierung und die Reduktion der von der CS übernommenen Risiken, sagt die Bank.

Das heisse aber nicht, dass das Thema weniger wichtig sei, nur weil man derzeit weniger darüber spreche. Zu allfälligen Entlassungen macht sie keine Angaben, verweist aber auf den grosszügigen Sozialplan und darauf, dass die Entlassungen «zum grössten Teil über natürliche Fluktuation, Pensionierungen und interne Mobilität» erfolgen solle.

Der Headhunter Guido Schilling dokumentiert mit seinem Schilling-Report seit Jahren den Aufstieg der Frauen an die Spitze der Wirtschaft. Er sieht nicht unbedingt einen Nachteil darin, wenn die Diversität bei Firmen nicht mehr ganz oben auf der Agenda stehe. «Die UBS hat ihre Hausaufgaben gemacht, da braucht es jetzt keine Special Forces mehr, die Diversität ist heute in den Prozessen in der Bank integriert», sagt Schilling. Das sei auch bei anderen global tätigen Schweizer Firmen so. Nachholbedarf hätten hier vor allem kleinere und mittelgrosse Firmen.

Belegt ist, dass die Entwicklung des Frauenanteils in den Geschäftsleitungen der grössten kotierten Schweizer Firmen abflacht. Erklärungen könnten Erkenntnisse der emeritierten Wirtschaftsprofessorin Margit Osterloh liefern. «Unsere Daten zeigen, dass Frauen im Schnitt nur halb so lange, nämlich 3,5 Jahre, in einer Topposition verbleiben wie Männer, bei ihnen sind es 7 Jahre», sagt Osterloh.

Frauen in der relevanten Altersgruppe zwischen 45 und 55 Jahren nähmen zudem mit 26 Prozent fast sechsmal so oft eine Auszeit wie Männer, bei denen das nur 4,5 Prozent machten. «Wir haben noch keine klare Evidenz, warum das so ist, aber der Sachverhalt dürfte für Unternehmen relevant sein», so Osterloh.

Professorin Julia Nentwich von der Universität St. Gallen zeigt sich überzeugt, dass es Frauen in Toppositionen weiterhin schwieriger hätten als Männer, und dass sie sich, vor allem in einem Männerumfeld, weiterhin mehr beweisen müssten als Männer, was deutlich kräftezehrender sei. Zudem können Frauen den Erfolg in solchen Positionen weniger selbstwertstärkend nutzen, als dies bei Männern der Fall ist.

Ob die Entwicklung so weitergeht, wird sich zeigen. Eine Expertin einer Personalfirma verweist auf die grossen Abbauprogramme von Firmen wie der UBS, Migros, Novartis, Roche, Bayer, Rieter oder Nestlé. Ob hier allerdings tatsächlich mehr Frauen aus den Topjobs entlassen würden als Männer, müsste dann aber explizit untersucht werden, so die Spezialistin.

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